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Aber der gesunde Menschenverstand!

20. September 2024
in 3 min lesen

Das Wochenende steht vor der Tür, also fokussieren wir uns darauf, die letzten Stunden bis zum verdienten „lecker Bierchen“ zu verkürzen. Dafür habe ich ein kleines Ratespiel. Achtung, aufgepasst: Wie heißt der mit Abstand wichtigste Politiker der FDP? Denken Sie in Ruhe darüber nach, hier kommt auch schon die nächste Frage: Wie heißt der mit Abstand wichtigste Politiker der CDU? Halt, noch nichts sagen, letzte Frage: Was haben diese beiden Politiker gemeinsam? So, jetzt dürfen Sie!

Die Antworten lauten: Kubicki, Bosbach, gesunder Menschenverstand.

Wolfgang Kubicki und Wolfgang Bosbach teilen sich nicht nur denselben Vornamen, sie gehören auch beide jeweils einer Partei an, die im bundesrepublikanischen Kontext von sich behaupten kann, so etwas wie den „gesunden Menschenverstand“ zu verkörpern. Was wie eine Floskel klingt und eigentlich auch nicht viel mehr ist, hat im bundesrepublikanischen Kontext einen mythenhaften Klang. Die Boomer und nicht unerhebliche Teile der Generation X haben den „gesunden Menschenverstand“ zu so etwas wie ihrer Hauptprogrammierung erklärt. Besagte Generationen sind im „normalsten Deutschland, das es jemals gegeben hat“, voll und ganz sozialisiert worden, wobei „normal“ hier vor allem eines meint: langweilig.

Das klingt böse, ist aber nicht so gemeint. Keiner sucht sich die Zeit aus, in der er leben muss, und dennoch muss man mit Blick auf die 75-jährige Geschichte unseres Landes konstatieren, dass die meiste Zeit eben nicht sehr viel passiert ist. Wenn wir mal die Insassen der „Ehemaligen“ ausklammern, so gab es für den überwiegenden Teil der von mir ins Auge gefassten Deutschen keine historischen Eruptionen, die sich in der kollektiven Biografie niedergeschlagen haben. Man hatte eine normale Kindheit, darauf folgte eine normale Schulzeit, dann ging es in die normale Lehre – Abstecher in einen normalen Wehr- oder Zivildienst –, es wurde normal geheiratet, normal gearbeitet, normal gereist, man fuhr ein normales Auto, der eine oder andere ließ sich normal scheiden, und das ist sie eben, die „normale BRD-Experience“ der Deutschen, die heute etwa zwischen 50 und 80 Jahre alt sind.

Die von mir angesprochene Alterskohorte konnte all die Jahrzehnte über leben und arbeiten, ohne dass ihr ein Krieg oder eine Hyperinflation einen Strich durch die Rechnung machte. Sie hatte Glück, ganz im Gegensatz zu den Generationen vor ihr, die von solchen historischen Unwettern mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit heimgesucht wurden. Wie das aber so ist mit dem Glück – zu oft wissen wir es nicht zu schätzen, weil wir es für selbstverständlich halten. Und so ist der von mir angesprochenen Alterskohorte ein Charakterzug eigen, der so etwas wie mangelnde Demut zum Ausdruck bringt. Ein ganz typischer Satz:

„Wir haben uns das alles selbst erarbeitet.“

Jetzt will ich diesen durchaus geschätzten Mitbürgern nicht den Fleiß oder die Expertise absprechen – die überwiegende Mehrheit von ihnen arbeitet gut und gerne. Aber sie neigt eben auch dazu, jeden leicht nachvollziehbaren Gedankengang einer Autoritätsperson – und dazu zählen für diese Alterskohorte noch Politiker – für ihren eigenen zu halten. Und so wandeln dann Kubicki und Bosbach durch die Talkshows und überbieten sich abwechselnd in gespielter Empörung über die Zustände, die ihre Parteien maßgeblich verursacht haben, und appellieren dabei gleichzeitig „an den gesunden Menschenverstand“ – also an das Kryptonit der über 50-jährigen Deutschen. „Gesunder Menschenverstand“, den hat jeder, außer er wählt grün, klare Sache – wobei hier die Frage, wie die Grünen es „ohne gesunden Menschenverstand“ fertiggebracht haben, Kultur, Medien und Politik aufzurollen, regelrecht verpufft. Die von mir angesprochene Alterskohorte hat darauf einfach keine Antwort.

Und deswegen wird die nächste Bundesregierung wieder von der CDU angeführt werden, denn die Aura des „gesunden Menschenverstands“ überträgt sich auf magische Weise auch auf jene Akteure, die in der öffentlichen Wahrnehmung etwas windiger, etwas fadenscheiniger, etwas unsteter daherkommen. Man merkt hier einmal mehr, dass es nicht in der Politik und schon gar nicht in ihrer Wahrnehmung um so etwas wie Inhalte geht. Was zählt, ist das Gefühl. Und hier wird es diffus, denn wenn etwas die Generation 50+ und die jüngeren Deutschen unterscheidet, dann ist es die schrittweise Hinkehr (oder Rückkehr) zur Ideologie. Man beobachtet das in seiner deutlichsten Ausprägung bei der Generation Z, also jenen, die etwa zwischen 1995 und 2010 geboren wurden.

„Ideologie“ – ein Begriff, der von älteren Deutschen nicht gerne gehört wird. Man will sich nicht verdächtig machen! Andererseits: An die Ränder welcher Abgründe hat uns ihr vielbeschworener „gesunder Menschenverstand“ nicht hingetrieben?

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

2 Comments

  1. Franzi Schübner

    Die echte Person!

    Der Autor Franzi Schübner handelt als echte Person und ist nachweislich kein Bot.
    Alle Tests gegen Spam-Bots bestanden. Anti-Spam von CleanTalk.

    Die echte Person!

    Der Autor Franzi Schübner handelt als echte Person und ist nachweislich kein Bot.
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    sagt:

    Jain, verehrter Herr Fechter. Grundsätzlich muss konsterniert werden, daß auf die Dummen immer verlass ist – ganz gleich, mit welcher Generation wir es zu tun haben. Geboren im (langweilig-normalen) bundesrepublikanischen Paradies habe ich einige Generationen beim heranwachsen beobachten können. Nach meinem Dafürhalten ging es seit Generation X (90er Jahre?) aber erst abwärts. Beraubt aller (kommunistischen) Feinde in rasender Geschwindigkeit. Ziel? Keine Ahnung, aber raus kam die infantile Gesellschaft. Wir haben keine Männer mehr. Was wir haben, sind rollerfahrende, 40-jährige Düttchenträger, mit elenden Dreitagebart, in Chucks und T-Shirt. Weicheier, die sich nie quälen mussten und es auch nie wollen werden und es auch nicht können würden, wenn sie es denn doch wollen würden. So geht ein Land vor die Hunde. Und da sind wir nun. Daher, werter Herr Fechter, pauschal auf die Boomer zu dreschen, ist nach meinem Geschmack etwas kurz, wenngleich in weiten Teilen gerecht. Denn, wie gesagt, auf die Dummen ist stets Verlass. (Boomer, Bj. 1968) PS. Ich freue mich diebisch über Sie und die ganze Krautzone!

  2. Fridolin Friedeberg

    Die echte Person!

    Der Autor Fridolin Friedeberg handelt als echte Person und ist nachweislich kein Bot.
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    Die echte Person!

    Der Autor Fridolin Friedeberg handelt als echte Person und ist nachweislich kein Bot.
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    sagt:

    Menschen mit Brillen jener Art, wie sie von den beiden Politikern im Artikel getragen werden, darf man wahrscheinlich begrenzte Aufgaben mit begrenzter Gestaltungsmöglichkeit geben, indes disqualifizieren ihre Qualitäten sie gleichermaßen für höheres. Warum? Weil Ihre Gründlichkeit und Seriösität sie ebenfalls unkreativ und spröde macht. Existentielle Krisen sind mit solchen Leuten in Führungspositionen nicht zu machen. Immerhin taugen sie u.a. als gute Verwalter und Techniker.

    Das ihre eigenen Ehefrauen das Desaster gewählt haben, haben sie übrigens weder begriffen, noch überhaupt jemals erfasst, und genau das ist Problem. Sie haben auch nie verstanden, warum der Sohn immer noch keine Freundin hat, was man ja heute aber auch nicht mehr muss, wenn man nicht will, oder die Tochter keine Kinder, aber vielleicht kommt das noch, und das wäre zwar auch schön, aber es ist ja ihr Leben, aber warum sie immer noch kein Wohneigentum gekauft haben, ja das versteht man wirklich nicht, naja, immerhin leben sie heute alle umweltbewusst und interessieren sich für Nachhaltigkeit. Der Merz, der erscheint jedenfalls gar nicht so schlecht, der konnte auch nicht so gut mit Angela Merkel. Der ist immerhin auch in Sparkassenland aufgewachsen.

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