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Angst und Gewöhnung

9. Mai 2024
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Ich habe seit einiger Zeit lähmende Angst vor Metalloberflächen. Nicht vor irgendwelchen bestimmten, sondern generell vor jedem Gegenstand aus Metall, den der Alltag mich zwingt anzufassen. Den Winter über habe ich nämlich eine Menge Stromschläge bekommen. Nicht weil Faeser mir eine Autobatterie an die Eier geklemmt hat, um in Erfahrung zu bringen, wo Höcke seine Lavendelwasser-Vorräte versteckt, diese Staffel kommt noch, sondern weil ich mit Wollmütze und Handschuhen unterwegs war, so dass ich mich beim Spazieren elektrisch auflud wie eine Katze, die zu lange gestreichelt wurde.

Über die kalte Jahreszeit habe ich mir so schätzungsweise 70 kleine Handbrutzler eingehandelt. In dieser Weise konditioniert zu werden, bringt einen zu der Erkenntnis, eine nur bedingt vernunftbegabte, programmierbare Biomaschine zu sein. Der einzelne Stromschlag ist nämlich so schwach, dass selbst die Gewissheit, ihn spüren zu werden, sobald man die nächste Türklinke anfasst, keinerlei Angst davor rechtfertigen würde. Auf einer Skala von 1 bis 10, auf der 1 ein Steinchen im Schuh wäre, 5 erreicht würde, wenn man sich ordentlich den Zeh stößt, und 10 den unermesslichen Qualen von Lauterbach, wenn es statt fischvegetarischem Lachsfisch mit Spinat vegane Bratwurst im Gesundheitsministerium gibt, vorbehalten wäre, reden wir vielleicht über eine 2. Über einen Schmerz, dem man sich für ‘nen Fuffi in einer Sitzung 70 Mal aussetzen würde. Und trotzdem sträubt sich nun alles in mir, wenn der Türknauf ruft. Umso absurder, da das Risiko, gezwickt zu werden, nun, in der warmen Jahreshälfte, in der die Wollmütze im Schrank bleibt, auch noch gen null tendiert.

Diese Programmierbarkeit funktioniert auch andersrum: Wenn einen über einen längeren Zeitraum vielleicht sogar begründete Sorgen vor etwas plagen, aber unmittelbare negative Folgen sowohl im Kleinen als auch im Großen ausbleiben, nehmen die Sorgen ab, selbst wenn die Gründe für diese Sorgen zeitgleich sogar gewichtiger werden. Ein Paradebeispiel dafür ist die Gefahr einer militärischen, vielleicht sogar nuklearen Eskalation mit Russland. Gegen Anfang des Ukrainekrieges habe ich mich ordentlich davor eingeschissen. Die Angst war frisch und unverbraucht sowie nicht gänzlich unbegründet. Inzwischen, mehr als zwei Jahre später, ist sie aufgebraucht, während die rationalen Gründe dafür sich insbesondere seit Jahresbeginn gemehrt haben.

Im Februar sagte Macron erstmals, dass er sich den Einsatz von NATO-Bodentruppen in der Ukraine vorstellen könne. Eine Weltkriegs-Androhung, die er Ende vergangener Woche erneuerte und konkretisierte: Wenn die Russen die ukrainischen Verteidigungslinien im Donbass durchbrechen sollten, woran sie gerade immer erfolgreicher arbeiten (kürzlich sind sie nordwestlich von Awdijiwka in die zweite eingebrochen), und die Ukraine darum bäte, müsse man sich eine direkte Kriegsbeteiligung der NATO ernsthaft überlegen. Dass die Ukraine darum bitten würde, ist vollkommen klar, die Ukraine würde auch um strategische Atomwaffen bitten, wenn sie sich realistische Chancen ausmalen würde, sie zu bekommen.

Stichwort „Atomwaffen“: In direkter Reaktion auf Macrons Drohungen führt Russland ost- und südwärts der Ukraine in den kommenden Tagen Kriegsspiele durch, in denen der Einsatz von taktischen Atomwaffen trainiert wird. Die Bundeswehr bereitet sich währenddessen darauf vor, im Falle einer direkten Konfrontation mit Russland normale Zivilisten zwangseinzuziehen, und erfasst zu diesem Zweck „alle Wehrfähigen in Deutschland“.

„Im Kern brauche es dafür eine sicherheitspolitische Begründung. ‚Die ist momentan eindeutig gegeben‘, sagte der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.“

Und selbst während ich über all das unterrichtet wurde, zum Teil von einem Welt-TV-Beitrag mit dem Weltuntergangs-Titel „Eskalation? Frankreich will Soldaten in Ukraine schicken – Einsatz-Ort wohl bekannt“, regte sich weit weniger in meiner Magengrube als damals, als ich im Februar 2022 die Z-Panzer live über die ukrainische Grenze rollen sah.

Ich möchte betonen: Mir geht es hier nicht darum, Panik vor dem nahenden nuklearen Armageddon oder unserer baldigen Verheizung in polnischen Schützengräben zu schüren. Meine Aussage ist: Was auch immer die Wahrscheinlichkeit dafür vor gut zwei Jahren war, selbst wenn sie im Null-Komma-Bereich gelegen haben sollte, heute ist sie nicht unbedeutend höher, während meine Sorgen darüber, so wie sicherlich auch die vieler Leser, ihren Zenit weit überschritten haben. Selbst wir, die wir sicherlich in größerer Tiefe hinter die Mechanismen des Weltgeschehens blicken als der Durchschnitts-Dulli, sind auf emotionaler Ebene nicht rational, sondern konditioniert.

Beim Thema Migration, Kriminalität und Balkanisierung ist dasselbe der Fall. Der Verstand orientiert sich an alltäglichen Reizen und großen Symbolereignissen, eine Erkenntnis, nach der der Mainstream schon lange seine Propaganda ausrichtet. Die Probleme, die wir thematisieren, müssen der Allgemeinheit sowohl alltäglich präsent gemacht werden als auch durch bedeutungsschwangere Großereignisse wie 2015 tief ins öffentliche Bewusstsein einsickern, ansonsten existieren sie für den normalen Menschen nicht. In anderen Worten: Die „Honigwaben“-Segmente „Straftat der Woche“ und „How I Met Your Messer“ sollen auf sein, und die Deutungshoheit über den nächsten Migrantenmord, die nächste Gruppenvergewaltigung oder den nächsten Terroranschlag ist etwas, um das es sich zu kämpfen lohnt.

Shlomo Finkelstein

Shlomo Finkelstein wollte immer schon irgendwas mit Hass machen. Seit 2015 erstellt er als "Die vulgäre Analyse" Videos, und seit 2019 zusammen mit Idiotenwatch den Podcast "Honigwabe".

Belltower News schreibt über ihn: "Da er vorgibt, sein Hass sei rational begründet, sind besonders junge Menschen der Gefahr ausgesetzt, die Thesen für bare Münze zu nehmen und sich so zu radikalisieren."

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