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Buchkritik: Zur Soziologie des Parteienwesens (Robert Michels)

26. Februar 2023
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Von Wolfang Thurmann

Seit dem 18. Jahrhundert hat die deutschösterreichische Sozialphilosophie die prägendsten Gestalten der gesamten Fachhistorie aufzuweisen. Justus Möser, Wilhelm Heinrich Riehl, Ferdinand Tönnies, Georg Simmel, Max Weber, Oswald Spengler, Werner Sombart oder auch Othmar Spann, um nur einige zu nennen, haben die Soziologie an die Spitze der einschlägigen Wissenschaftsgeschichte gebracht. Bemerkenswerterweise waren diese Geistesgrößen eher konservativen Zuschnitts.

Der Kölner Gelehrte Robert (später Roberto) Michels bildet wohl einen besonders brillanten Stein in dieser Kette. Michels (1876 – 1936) entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, die sich dessen Privatunterricht durchaus leisten konnte. Studien der Geschichte und Nationalökonomie an der Pariser Sorbonne, in München, Leipzig, Halle und schließlich Turin sollten folgen. Und dort wurde er letztlich auch allmählich „italienisiert“. Man könnte Michels sicher auch als einen frühen Querdenker bezeichnen, der zunächst zwischen Parteien und Ideologien sozusagen changierte.

Seltsamerweise trat Robert Michels zuerst 1901 der sozialistischen italienischen PSI bei, sodann 1903 erst der deutschen SPD, für die er erfolglos kandidierte. Ab 1907 lehrte Michels als Privatdozent endgültig in Turin und erwarb einige Jahre später die italienische Staatsbürgerschaft. Letztlich lernte er Machenschaften und innerparteiliches Getriebe durch sein politisches Engagement also von Grund auf kennen und zog daraus seine klaren empirisch-wissenschaftlichen Konsequenzen, nämlich mit seiner 1911 veröffentlichten Studie „Zur Soziologie des Parteienwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens“.

Tatsächlich hatte der immer mehr Aufmerksamkeit erweckende Gelehrte Michels aufgrund seiner ganz persönlichen Erfahrungen dann sozusagen eine geistige Kehre vollzogen. Nicht zuletzt durch seine Freundschaft mit dem Soziologen und Elitentheoretiker Vilfredo Pareto bekannte er sich zum revolutionären Syndikalismus. Der Weg in die faschistische Partei PNF war damit nicht mehr weit, er trat dieser 1928 bei und wurde fortan von Mussolini höchstselbst gefördert, der ihm einen Lehrstuhl für Ökonomie und Korporation in Perugia verschaffte. Michels verstarb 1936 in Rom.

Hätte er nur einige Jahre länger gelebt, dann wäre ihm vielleicht auch das gleiche Schicksal des Politikers Nicola Bombacci sicher gewesen, der ursprünglich als Edelkommunist und Freund Lenins zu Mussolini übergelaufen war und Ende April 1945 zusammen mit ihm und anderen Funktionären in Dongo am Comersee erschossen wurde. Es gab noch eine Reihe anderer unkonventioneller Denker in dieser Zeit, welche heute der Vergessenheit anheimgefallen sind und die den herkömmlichen Parteienstaat samt seinen gesellschaftlichen wie ökonomischen Strukturen extrem kritisierten. Dies waren beispielsweise Giovanni Gentile, Julius Evola, der bereits genannten Vilfredo Pareto, Luigi Ambroso, Alfredo Rocco, Gaetano Mosca oder Othmar Spann, um nur einige zu nennen.

Was aber macht das soziologische Denken, die gesellschaftspolitische Kritik am Parteiensystem von Michels auch noch 112 Jahren so brisant und nach wie vor so aktuell? Der Denker beschreibt akribisch und hellsichtig – dies eben auch aus ureigener Anschauung – den Veränderungsprozess demokratischer Wahlparteien, nämlich u. a.  die allmähliche Aufgabe weltanschaulicher Ziele und die Entfremdung vom Wähler, die Verzweckung und Indienststellung für andere Interessen, Clubzwang, Parasitismus am Staatsganzen bzw. dessen Usurpation, Korruption, Bürokratentum und die üblichen innerparteilichen Machtkämpfe nebst den entsprechenden Hierarchien, die meist in einer Dauer-Oligarchie enden.

Michels sieht dies alles gleichsam als ehernes Gesetz, als ewig gleichen Kreislauf an. In der rund 400 Seiten starken Studie, die 1911 in Leipzig (Verlag Dr. W. Klinkhardt) erschienen ist, geht er höchst systematisch vor. Sehr vieles davon ist dem eigenen Erleben geschuldet, Michels war stets ein der totalen Apperzeption verbundener Geist, der in seine Schlussfolgerungen vor allem die direkte Anschauung, Psychologie und anthropologische Grundkonstanten mit einbezog.

Freilich ist Michels „Zur Soziologie des Parteienwesens“ naturgemäß zumindest teilweise wohl nur aus der unmittelbaren Publikationszeit heraus zu verstehen, dies vor allem, was seine eher abschätzigen Anmerkungen zur damaligen Aristokratenschicht anbelangt, doch könnte man diese heute ja unschwer mit den global-privilegierten Eliten konnotieren. Die enorme Erkenntnisdichte der Studie würde hier auf alle Fälle jeden Rahmen sprengen, sie war schließlich auch für Michels weitere Laufbahn als Wissenschaftler in den nächsten 25 Jahren wegweisend. Er analysierte das Parteienwesen anhand der Vorkriegs–SPD stupend und trug damit entlarvend zur allgemeinen Lebenslüge des Kaiserreichs bei. „Geschichte ist die Lüge, auf die wir uns geeinigt haben“, schrieb einmal der göttliche Spötter Voltaire, der öfter als einmal mit den Herrschenden tafeln durfte.

Im Vorsatz schrieb der Autor eine herzliche Widmung an seinen Freund Max Weber, dann den Vorspruch: „Niemandem zu Leide, der Wissenschaft zu Liebe.“ Das Buch umfasst im ersten Teil „Ätiologie des Führerwesens“, „Die Notwendigkeit der Organisation“, sodann „Die mechanische wie technische Unmöglichkeit direkter Massenherrschaft“. Wir sehen schon, dass Michels naturgemäß die virtuellen Optionen noch nicht erahnen konnte. Hierauf beschäftig er sich mit den psychologischen Voraussetzungen der „Massenführung“, deren Verführungsmöglichkeiten (siehe Gustave Le Bon) und den akzessorischen Eigenschaften der Anführer, wobei er die intellektuelle Inkompetenz der Anhängerschaft betont.

Die Stabilität der Führerschaft – und hier im Besonderen der Sozialdemokratie – mitsamt der nötigen Kooperation mit anderen Parteien wird exakt analysiert. Hier werden vor allem diverse finanzielle Abhängigkeiten vom kapitalistischen Umfeld in den Fokus genommen. Es folgen Bürokratismus bzw. Verknöcherung der Bewegung und die Rivalitäten zwischen den einzelnen politischen Protagonisten, dies vor allem aufgrund ihrer Herkunft und den Verlockungen, wenn schon nicht der totalen, so doch partiellen Macht. Das fulminante Abschlusskapitel findet sich zum Thema „Die oligarchischen Tendenzen der Organisation“ bzw. „Die Demokratie und das eherne Gesetz der Oligarchie“. Ausnahmslos alle Parteien seien einem „soziologischen Grundgesetz“ unterworfen, nämlich: „Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden.“

Damit stellt Robert Michels wohl die entscheidende Frage, ob kraft Parteien (und nicht nur der Sozialisten) überhaupt eine Demokratie als Idealtypus herstellbar sei. Das Volk als Souverän wird einem Staatsganzen unterworfen, das von Parteien (und Lobbyisten, siehe EU etc.) und einer größtenteils hörigen, weil weisungsgebundenen Beamtenschaft (Exekutive, Gerichtsbarkeit und Verwaltung) vollkommen beherrscht wird. Wer aber dieses undurchsichtige Konglomerat heute durschaut und vehement kritisiert, wird plötzlich als Feind der Gesellschaft (veraltet „Volksfeind“) auf die mediale Bühne gezerrt, ja nicht zuletzt von Gesetzes wegen als „Delegitimierer des Staates“ öffentlicher Verfolgung ausgesetzt!

Robert Michels setzt hier drei Bausteine seines „ehernen Gesetzes“ voraus, die das ganze demokratisch sein wollende Staatstheater gleichsam demaskieren. Seine diesbezüglichen Hypothesen lauten:

„Bürokratie ist unvermeidlich. Große Organisationen bilden inzwischen immer bürokratische Strukturen aus, wegen des Bedarfs an Effizienz, die eine hierarchische Arbeitsteilung erfordert. Mit zunehmender Bürokratie nimmt die Macht zu. Diese konzentriert sich unter anderem wegen der Inkompetenz der Massen mit Wissen und Ressourcen in der professionellen Führung, einer Machtelite. Mit zunehmender Machtkonzentration erfolgt die Korrumpierung der Macht. Sie wird nach ihrer Konzentration ihre Autorität auch gegen die Interessen ihrer Mitglieder verteidigen, nötigenfalls mit undemokratischen Methoden.“

Auffällig ist jedenfalls, dass in Michels Untersuchung besonderes Augenmerk auf die Psychologie der Protagonisten bzw. Schichten gelegt wird, daher wird natürlich Gustave Le Bon zitiert. Bemerkenswerterweise findet übrigens der Erfinder und Sozialrevolutionär Rudolf Diesel mit seiner grundlegenden Schrift zur Überwindung von Parteienwirtschaft und Gewerkschaften „Solidarismus – Natürliche wirtschaftliche Erlösung des Menschen“ (1903) keinerlei Erwähnung.

Dazu schuf der deutsch-italienische Soziologe am Schluss seines Werkes ein luzides Schema, das eindringlicher nicht sein könnte! Betrachtet man hierzu z. B. die Parteiengeschichte der deutschen und österreichischen “Grünen“, deren ausgesprochen bizarre Umkehrung aller ihrer einstigen Werte uns heute geradezu grotesk erscheinen, wird kraft Robert Michels Analysen vielleicht so manches verständlicher. Tragisch nur, dass auch und gerade die faschistische PNF, deren Anhänger er offensichtlich war, genau diesen Weg sozusagen paradigmatisch zu gehen hatte.

Dennoch hat Michels „Zur Soziologie des Parteienwesens in der modernen Demokratie“ keineswegs an Strahlkraft und Wirkmächtigkeit verloren. Auf letztere könnte man schon auch einmal noch setzen, wenn man dieses Buch – neu aufgelegt und kommentiert – den intelligenteren politischen Köpfen in unserer aktuellen Parteienlandschaft ans Herz legen würde. Sicher, Robert Michels ist stark in der soziologischen Analyse, weniger aber bei Vorschlägen zur Abhilfe entsprechender Dysfunktionen. Nun ja, es mag aber noch so etwas wie ein Prinzip Hoffnung geben, indem man diesen fulminanten Text endlich wieder ernst nehmen würde.


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