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Ein Jahr Krieg in der Ukraine

24. Februar 2023
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Vor genau einem Jahr, in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2022, marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Es war die gewaltsame Entladung eines Gewitters, das sich zwar lange im Voraus angekündigt hatte, aber dann doch jeden zusammenfahren ließ. Konventioneller Krieg! Und dann noch in Europa! Endlich konnten Reporter wieder ihre liebste Floskel hervorkramen: „Die Welt ist seit heute Morgen eine andere.“

Im Schatten des Ukrainekrieges wird sich in Kürze ein weiterer Krieg jähren: Am 20. März 2003 marschierte die „Koalition der Willigen“, allen voran die USA und Großbritannien, im Irak ein. Sie tat das im Windschatten der Anschläge vom 11. September 2001, der Casus Belli waren die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Diktators Saddam Hussein.

In der Nacht vom 19. auf den 20. März bombardierte die Koalition Bagdad. Dabei war die Liveschaltung gar nicht so spektakulär, wie man das von einem Luftangriff auf eine Millionenstadt erwarten könnte. Über der nächtlichen Silhouette der irakischen Hauptstadt blitzte es bunt, Flakfeuer spritzte in den schwarzen Himmel. Man sah keine Häuser in sich zusammenstürzen, man sah keine Toten. Es waren Bilder, auf die man in den USA großen Wert legte: ein sauberer Krieg, chirurgische Schläge, wenige Kollateralschäden, keine Fragen. „Embedded Journalism“, also eingebetteter Journalismus, hieß das Zauberwort. Die deutsche Presse thematisierte das und überhaupt den Krieg außerordentlich kritisch, aber die Sache mit der Einbettung sollte auch hierzulande Schule machen.

Die irakische Armee wurde innerhalb weniger Wochen weggewischt. Die Koalition hatte die „Full-spectrum dominance“. Kein irakischer Panzer, kein Schützenloch, nicht mal der Diktator selbst konnte sich dem Auge der Weltmacht entziehen. Schon am 1. Mai 2003 konnte George Bush auf einem Flugzeugträger landen und erklären: „Mission Accomplished“.

Aus europäischer, vor allem deutscher Sicht war das hollywoodesker Klamauk. Die USA zeigten sich, nach dem Vietnamkrieg einmal mehr, von ihrer schlechtesten Seite: der Präsident und sein Kabinett als diabolische Lügner und Kriegstreiber, die US Army als ein Haufen kaugummikauender, unterbelichteter Hünen, unter deren Stiefeln sich die Wiege der Menschheit zwischen Euphrat und Tigris in eine Trümmerwüste verwandelte. Und dann kam Abu Ghuraib: In einem Gefangenenlager westlich von Bagdad folterte und erniedrigte das US-amerikanische Wachpersonal zahlreiche Internierte. Muslimische Männer, entkleidet, zu menschlichen Pyramiden aufgestapelt, darüber die hyänenhaft grinsende Wärterin Sabrina Harman – in der westlichen Welt rief das blankes Entsetzen hervor, in der islamischen Welt rekrutierte man damit eine ganze Generation von Terroristen.

In dieser Zeit erholte sich Russland von der Abwicklung der Sowjetunion. Mit Tschetschenien lieferte sich die wankende Großmacht einen Krieg, der in seiner Verrohung dem Irakkrieg in nichts nachstand. Tschetschenische Terroristen hatten um die Jahrtausendwende in einer Reihe von aufsehenerregenden Anschlägen Hunderte russische Zivilisten ermordet. Die russische Antwort war zwar hart, aber – so der Eindruck damals – irgendwie gerecht. Außerdem bekam man im Westen kaum etwas aus Tschetschenien mit. Was nicht in der „Tagesschau“ kam oder im „Spiegel“ stand, das fand auch nicht statt. Und das sollte irgendwann auch für den Irak gelten: Spätestens seit einem Jahr ist das Land uninteressant geworden. Aufgehört hat der Krieg dort aber nie.


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Um den Bogen zum Ukrainekrieg zu schlagen: Hier spiegelt sich in gewisser Weise das, was 20 Jahre zuvor im Irak geschah, und irgendwie auch wieder nicht. Beide Invasionen waren, sind und bleiben völkerrechtswidrig. Die USA konstruierten sich das Narrativ der „Massenvernichtungswaffen“, Russland hingegen schwankt bei seiner einordnenden Erzählung: Nach wie vor ist die „Entnazifizierung“ das Ziel, zeitweise war die Rede von geheimen Waffenlaboren, aber im Grunde genommen steht alles unter dem Vorhaben, die Ukraine nicht als Aufmarschgebiet an die NATO zu verlieren.

Das irakische Militär war innerhalb weniger Wochen zerschlagen, die militärische Macht der USA wurde zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt. In der Ukraine hingegen zeigte sich selbst für Militärexperten überraschend, dass der Großteil der russischen Armee in einem desolaten Zustand ist. Russlands Beste, die Luftlandetruppen, tappten bei Hostomel in eine Falle. Während sie aufgerieben wurden, verstopften die Entsatztruppen die Straßen. War das die Armee, die in den Jahren zuvor am 9. Mai so geleckt über den Roten Platz paradierte? Hatten die „Grünen Männchen“ nicht 2014 im Handstreich die gesamte Krim besetzt? Im April versank dann auch noch die „Moskwa“, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte. Man stelle sich vor, im Persischen Golf wäre 2003 ein amerikanischer Flugzeugträger abgesoffen.

Medial hatte Russland den Krieg von Tag eins an verloren, was nicht nur am „David gegen Goliath“-Narrativ lag. Den russischen Kanälen wurde im Westen einfach der Saft abgedreht, stattdessen blickte die Welt auf den unrasierten und olivgrün gekleideten Präsidenten der Ukraine. Butscha bestätigte das Bild des verrohten Russensoldaten, der aus Langeweile, Suff und Mordlust unschuldige Zivilisten massakriert. Was an der Front passierte, bestimmten von Beginn an durchweg ukrainische Quellen, und das hat sich bis heute nicht geändert. Wie oft wurde jetzt der innere Zusammenbruch Russlands angekündigt? Sollten im Winter nicht Tausende Mobiks erfrieren, weil Russland keine Winteruniformen zur Verfügung stellte? Was ist aus den Verschwörern geworden, die dem vom Kriegsglück verlassenen Putin das Messer in den Rücken rammen?

Diese Fragen bleiben wohl auch weiterhin ungeklärt, denn der Krieg in der Ukraine wird andauern. Städte wie etwa Bachmut verwandeln sich unter dem Hagel Tausender Granaten in Trümmerwüsten, Schützengräben fressen sich durch Hunderte und Aberhunderte Kilometer Ackerland. Hier scheint nichts mehr schnell zu gehen und schon gar nicht sauber und präzise. Mich würde es nicht wundern, wenn wir nächstes Jahr genau da weitermachen, wo wir heute stehen.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

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