China und die USA im KI-Wettlauf

23. April 2025
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„Alea iacta est!“soll Cäsar gerufen haben, als er am 10. Januar 49 v. Chr. mit seiner Armee den Rubikon überschritt, der die Provinz Gallia cisalpina vom italienischen Kernland trennte. Damit war die Entscheidung für den römischen Bürgerkrieg gefallen. Als Donald Trump am 10. April Zölle in Höhe von 145 Prozent gegen China verhängte, war auch Staats- und Parteichef Xi Jinping der Meinung, die Würfel seien gefallen: Für Peking, das mit einem Zollsatz von 125 Prozent konterte, schien der Handelskrieg gegen die USA jetzt unausweichlich zu sein.

Doch im Grunde geht es um viel mehr – es geht um die globale Führungsrolle, die seit 1945 die Amerikaner innehaben. Im Westen ist die Verwunderung nach wie vor groß, wie es der 1949 gegründeten Volksrepublik, einem Staat ohne individuelle Freiheitsrechte, gelungen ist, auf technologisch-wirtschaftlichem Gebiet an der Spitze des Fortschritts zu stehen. Noch in diesem Jahr, so die Einschätzung der Pekinger „ Volkszeitung“, würden in China mehr als 10.000 „humanoide Roboter“ hergestellt, das entspreche rund der Hälfte der weltweiten Produktion. Humanoide Roboter verbinden künstliche Intelligenz mit physischer Interaktion und werden in der Industrie, in der Medizin und diversen anderen Zweigen eingesetzt.

Im März hatte Chinas Regierungschef Li Qiang auf der Eröffnungssitzung des Volkskongresses, der jährlichen Parlamentstagung, die Entwicklung Künstlicher Intelligenz zur nationalen Priorität erklärt. Dabei stellte er Investitionen in Milliardenhöhe für moderne Sprachmodelle, autonome Systeme und KI-gestützte Produktionsprozesse in Aussicht, verbunden mit einem Risikokapital-Fonds von umgerechnet rund 130 Milliarden Euro für die Bereiche Robotik und KI. Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ wies Antonia Hmaidi, eine Expertin des Berliner Merics-Instituts, auf den entscheidenden Unterschied der Vorgehensweise zwischen Chinesen und Amerikanern hin: In der Volksrepublik würden KI-Modelle gezielt dort eingesetzt, wo bereits einfache, weniger leistungsstarke Chips Effizienzgewinne ermöglichten. In Bereichen wie Spracherkennung, Kundenservice oder Industrieautomatisierung zählten Zuverlässigkeit und niedrige Kosten mehr als die absolute Spitzenleistung von Chips. Gleichzeitig, so die Merics-Expertin, entstehe durch den flächendeckenden industriellen KI-Einsatz ein Schatz an Daten, der langfristig heimische KI-Modelle verbessern solle.

Hmaidi: „Diese praxisnahen Daten sind ein wichtiger strategischer Vorteil gegenüber den USA, wo KI-Systeme oft stärker auf individuelle Verbraucher zugeschnitten sind.“ So richteten sich die Funktionen westlicher KI-Plattformen wie Chat-GPT oder KI-Assistenten von Apple und Google hauptsächlich an private Nutzer, um alltägliche Aufgaben zu erleichtern. In China hingegen sollen damit hauptsächlich Fließbänder und Maschinen koordiniert werden. Doch mittlerweile hat sogar ein tanzender und winkender Roboter die Herzen vieler Chinesen erobert. Auch die Peking-Korrespondentin der SZ sah das „Modell H1″ bei der Frühlingsgala zum chinesischen Neujahrsfest in Aktion. Mittlerweile vermieten private Anbieter den Roboter je nach Modell und Ausstattung für 1.800 bis 8.000 Euro pro Tag. Wer möchte, so die SZ, bekomme noch einen Roboter-Hund dazu.

Entwickelt wurde der Tanzstar vom Start-up Unitree Robotics, einem der sogenannten „sechs kleinen Drachen“ – einer Gruppe junger Privatunternehmen, die nach Alibaba und Tencent als neue Hoffnung in Chinas Tech-Sektor gelten. Dazu gehören das auch im Westen mit Staunen aufgenommene KI-Wunder Deep Seek, Brainco, ein Unternehmen für Gehirn-Computer-Schnittstellen, und Manycore, spezialisiert auf KI-gestütztes 3D-Design. Unitree wurde 2016 von dem damals 26jährigen Ingenieur Wang Xingxing gegründet.

Sollte Donald Trump glauben, er könne China in einem Handelskrieg besiegen, dürfte er sich täuschen. Seit Jahren hat sich Peking mit Hilfe seines Seidenstraßen-Konzepts neue Märkte in Südamerika, Afrika und Asien erschlossen. Die Volksrepublik, warnt Robin Brooks, früherer Devisenchef von Goldman Sachs, könnte als Vergeltung eine gezielte Schwächung ihrer Währung einleiten, was dramatische Auswirkungen hätte:

„Bei einer zehnprozentigen Abwertung des Yuans wäre an den US-Märkten der Teufel los, sie würden zusammenbrechen. Die chaotischen Handelstage, die ich erlebt habe, waren immer die, wenn die Chinesen ihre Währung abgewertet haben.“

Ob es so weit kommen wird, liegt bei Trump. Die Chinesen haben nicht vergessen, daß ihnen ausländische Mächte im 19. Jahrhundert Handelsbedingungen diktierten und damit das „Jahrhundert der Demütigung“ einleiteten. Zur Zeit wird in China eine Mao-Rede von 1953 anläßlich des Korea-Krieges millionenfach online geteilt:

„Wie lange dieser Krieg dauert, liegt nicht an uns. Aber ganz egal, wie lange er dauert – wir werden niemals aufgeben. Wir kämpfen bis zum Triumph!“

PS: Nach einem Treffen in Genf teilten Vertreter beider Seiten am 12. Mai mit, vorerst die Zölle für 90 Tage rigoros zu senken – die amerikanischen von 145 auf 30, die chinesischen von 125 auf 10 Prozent. Im Westen sahen viele darin eine „Kehrtwende Trumps“, in China hieß es, auch die USA seien „nur ein Papiertiger“.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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