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Wikicommons, Mvs.gov.ua, CC BY 4.0

Das Eskalationspotential im Ukrainekrieg

5. Oktober 2022
in 3 min lesen

Als Streitkräfte der russischen Föderation am 24. Februar in die Ukraine einmarschierten, konnte sich keiner vorstellen, dass diese „Spezialoperation“ länger als wenige Wochen dauern würde. Zu mächtig schienen die Russen, zu unbedeutend die Ukraine. Nur die andauernde Versorgung mit finanziellen Mitteln und Kriegsgerät aus dem Westen versetzte die Ukraine in die Lage, ihren Abwehrkampf bis zum heutigen Tag recht erfolgreich aufrechtzuerhalten. Ohne diese Zuwendungen wären die entsprechenden Fakten sehr wahrscheinlich schon geschaffen, weswegen Russland aus seiner Sicht längst nicht mehr allein gegen die Ukraine, sondern vielmehr gegen die gesamte westliche Staatengemeinschaft kämpft.

Unbestritten ist, dass die westlichen Nationen in erheblichem Maße investiert sind. Von allen Seiten wird beteuert, dass die Urkaine um jeden Preis verteidigt werden müsse. Laut der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, werden dort – wie könnte es anders sein – die westliche Werteordnung, Demokratie und die Freiheit verteidigt. Es geht also um das große Ganze und in gewisser Weise hat sie recht. Nicht im Sinne der von ihr vorgebrachten plumpen, transatlantischen Propaganda, die ein mal mehr den Kampf des ewig Guten gegen das Böse evozieren will, sondern im Hinblick auf das Eskalationspotential dieses Konflikts.

Spätestens seit der Sprengung der beiden Nordstream-Pipelines ist klar, dass es offenbar keine Verständigung, keinen Kompromiss und keine damit verbundene Stabilisierung der Energiepreise geben soll. Warum diese Zuspitzung? Die Vorstellung, dass es sich (immer noch) um einen Behauptungskampf eines postsowjetischen Staates im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts der Völker handelt, kann die Unnachgiebigkeit aller Beteiligten nicht erklären. Vielmehr müssten die Geschehnisse dahingehend interpretiert werden, dass es sich hier um einen existenziellen Kampf zweier Supermächte handelt, namentlich Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Gründe, weshalb Russland sich keine Niederlage leisten kann, dürften allgemein bekannt sein. Aus strategischer Sicht ist ein Nato-Beitritt der Ukraine inakzeptabel. Die Russen müssen schließlich eine Tiefebene verteidigen und je weiter die Panzer fahren und die Raketen fliegen müssen, bis sie Moskau erreichen, desto besser. Innenpolitisch ist Moskau darauf angewiesen die Föderation zusammenzuhalten. Die russische Führungsrolle beruht auf Stärke, daher könnte eine Niederlage in der Ostukraine eben diese in Frage stellen und anderen Autonomiebewegungen Auftrieb verleihen. Weniger offensichtlich ist die ernste Bedrohung für das amerikanische Imperium, das durch seine vorbehaltlose Parteinahme in diesem Konflikt ebenfalls hoch gepokert hat.



Ebenso wie Russland hat Amerika eine Führungsrolle zu verteidigen, nämlich die des US-Dollars als Weltwährung. Das amerikanische Zentralbanksystem ist im Grunde ein Ponzi-Schema. Der Italiener Charles Ponzi brachte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Anleger dazu, in Internationale Antwortscheine zu investieren, die es real aber gar nicht gab. Geworben wurde mit astronomischen Renditen, die Zahl der Investoren stieg stetig. Forderte ein Investor eine Gewinnausschüttung, dann wurde er mit Geld bezahlt, das neu angeworbene vertrauensselige Anleger gerade eingezahlt hatten. So entstand ein System, das auf Expansion angewiesen war. Es existierte, so lange es in der Lage war, mit „neuem“ Geld alte Löcher zu stopfen, und implodierte in genau dem Moment, in dem die Anleger ihr Vertrauen verloren und versuchten, das investierte Geld wieder herauszuziehen.

Die Stellung des US-Dollars als Leit- und Reservewährung beruht in gleicher Weise nicht auf der Tatsache, dass sich ihm ein reeller Gegenwert widerspiegelt, sondern auf der Tatsache, dass man an ihn „glaubt“. Und man glaubt, wenn schon nicht an den tatsächlichen Wert des Dollars, doch zumindest an die Macht der Amerikaner, die Herrschaft des Dollars notfalls militärisch durchzusetzen.

Würde die Ukraine, als Stellvertreter des Westens, eine Niederlage erleiden, wäre dieses Vertrauen erschüttert, mit unabsehbaren Folgen für die US-Finanzhegemonie. Auch und gerade vor dem Hintergrund, dass die sogenannten BRICS-Staaten – die aufstrebenden Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika – im Juni 2022 ankündigten, eine eigene Reservewährung auf den Weg bringen zu wollen.

Die sich anbahnende multipolare Weltordnung ist aus Sicht der Amerikaner nicht hinnehmbar. Die konstante Ausdehnung der US-amerikanischen Einflusssphäre ist gewissermaßen die einzige Möglichkeit, den Zusammenbruch des Kartenhauses „US-Dollar“ hinauszuzögern. Ich bin mir daher nicht sicher, ob die Einschätzung des ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zutrifft, der verkündete, „dass die Amerikaner den Einstatz jeder Waffe in diesem Konflikt schlucken werden“, also auch den Einsatz von taktischen Atomwaffen. Die Ukraine wäre für die westliche Staatengemeinschaft lediglich ein unbedeutender Absatzmarkt für Kriegsgerät, und ihr Schicksal nichts, wofür man die Sicherheit von Brüssel, London und Washington riskieren würde.

Ob es sich so verhält, wird sich in den kommenden Tagen und Wochen zeigen. Fest steht: beide Seiten haben viel zu verlieren, daher ist ein Ende der Eskalation nicht in Sicht.

Gastautor

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