Der Bundestag wird zur Festung, und das nicht bloß metaphorisch. Vor dem Reichstagsgebäude wird bald ein 137 Meter breiter Graben eine tiefe Schneise in die Rasenfläche vor dem Parlament schneiden. Aber warum eigentlich, und was ist daran problematisch?
Das Reichstagsgebäude gehört als Sitz des Deutschen Bundestags zu den wohl bekanntesten Wahrzeichen der Bundesrepublik. Doch das Herz unserer Demokratie ist in Gefahr – zumindest, wenn es nach der Bau- und Raumkommission des Ältestenrates des Deutschen Bundestags geht.
Diese hat nach dem islamistischen Anschlag auf den Breitscheidplatz 2016 durch den Tunesier Anis Amri realisiert, wie einfach und gleichzeitig gefährlich es sein kann, wenn jemand mit den falschen Intentionen in ein Fahrzeug steigt und Gas gibt.
„Denn nichts wäre schlimmer als ein weltweites Bild, dass das Parlamentsgebäude in Deutschland weggesprengt wird“ – meint Wolfgang Kubicki (FDP).
Der Anschlag auf den Breitscheidplatz sei nicht der einzige Grund für die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen. Auch ein islamistischer Anschlag auf das Parlamentsgebäude in Kanada 2014 habe bereits Bedenken bezüglich der Sicherheit des Reichstags hervorgerufen, äußert Kubicki.
Doch wer jetzt denkt, demnächst vor dem Parlament eine Reihe sogenannter „Merkel-Poller“ zu sehen, wird überrascht. Denn stattdessen wird der klassische alte Burggraben zum Zug kommen, wenngleich in etwas modernerer Form. „Aha-Graben“ heißt die 137 Meter breite Schneise, die sich vor der Front des Reichstagsgebäudes parallel zum Eingang in die Wiese ziehen wird. Dabei ist der Zusatz „Aha“ keine Abkürzung für eine technische Beschreibung, sondern soll die Überraschung ausdrücken, die man verspürt, wenn man den Graben das erste Mal sieht.
Denn das ist das Hauptargument gegen die schweren Block-Barrikaden, die seit Merkels Grenzöffnung unsere Weihnachtsmärkte und andere öffentliche Feste zieren: Sie fallen auf und könnten ein störendes Bild hervorrufen. Ganz so, als wäre man in Deutschland nicht mehr sicher. Genau dieses Bild möchten die Politiker aber verhindern. Daher bietet sich der Graben an. Da er ebenerdig beginnt und sich Richtung Reichstagsgebäude in einer Schräge immer tiefer ins Erdreich bewegt, fällt er kaum auf und kann auf Fotografien komplett verschwinden.
Der Graben täuscht damit eine Offenheit vor, die gar nicht mehr besteht. Aber dieses Konzept ist nichts Neues im politischen Berlin. So säumen viele Gebäude des Deutschen Bundestages große Glasfronten. Die Botschaft dahinter: Hier ist alles transparent und es gibt nichts zu verstecken. Mehr als ein Symbol ist das zwar nicht, aber genau darum geht es. Vorzutäuschen, was nicht da ist.
In Kombination mit dem neuen Burggraben soll auch ein neues Besucherzentrum auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Reichstagsgebäude entstehen. Von hier aus soll der Zugang zum Reichstagsgebäude dann über einen Tunnel erfolgen, der vor dem Eingang des Reichstags hinter dem Aha-Graben endet. Das Besucherzentrum sollte ursprünglich bereits 2018 fertiggestellt werden, aktuell peilt man aber eher 2028 an; wenn alles gut geht. Dabei zieht sich nicht nur die Bauzeit in die Länge.
Wie wir es von der öffentlichen Hand kennen und fast schon erwarten, haben auch die dafür veranschlagten Kosten einen enormen Sprung gemacht. Von den ursprünglich veranschlagten 150 Millionen Euro hat man sich längst entfernt. Kubicki prognostiziert nun Kosten in Höhe von 270 Millionen Euro; wenn alles gut läuft, wohlgemerkt. Die Kosten für den Graben und den Tunnel kommen da noch obendrauf. Da kann man ja fast schon froh sein, dass die Altparteien sich ihre Billionen-Schulden gerade für Infrastruktur bewilligt haben.
Doch genauso wie die großen Glasfronten und der Graben nur symbolisch dazu einladen sollen, sich von der Berliner Politik willkommen und als Teil ihrer Demokratie zu fühlen, genauso wenig löst dieser Burggraben vor dem Reichstag die Sicherheitsprobleme in unserem Land. Denn noch vor nicht allzu langer Zeit brauchte der Reichstag weder Graben noch Poller oder Container und Absperrungen, um die Politiker zu schützen. Auch ein Besuch im Deutschen Bundestag war viel einfacher. Und dass sich das geändert hat, liegt gerade an jenen Politikern, die sich nun hinter ihren Burggraben zurückziehen wollen.
Denn auch ohne Graben, Poller und Co. hätten die Anschläge in Kanada und auf dem Berliner Breitscheidplatz verhindert werden können. Beide Täter waren zum Tatzeitpunkt bereits mehrfach vorbestraft. Beide Täter hatten einen islamistischen Hintergrund. Der Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri kam aus Tunesien illegal nach Deutschland. Michael Zehaf-Bibeau – der Attentäter am kanadischen Parlament – war der Sohn eines libyschen Migranten.
Wenn man das Reichstagsgebäude nun vor schlechten Bildern bewahren will, wie Kubicki es sagt, dann, muss man zugestehen, hat die Idee eines Grabens einiges für sich. Will man jedoch Deutschland als Gesamtes sicherer machen und solche Anschläge nicht nur ausbremsen, sondern in ihrer Gesamtheit verhindern, bedürfte es anderer politischer Maßnahmen. Denn das, was die Altparteien hier machen, lässt sich symbolisch sehr gut mit der Bundestagskuppel vergleichen.
Folgt man dort der Rampenkonstruktion immer in die gleiche Richtung, kommt man am Ende genau an dem Punkt wieder an, an dem man gestartet ist. Wenn wir den eingeschlagenen Weg in der Migrationsfrage nicht ändern, wird es zukünftig mehr als nur einen Aha-Graben brauchen.