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Foto: Eigene Bearbeitung, Reinhard Kraasch, Lizenz: CC-BY-SA 4.0 DE

Der hat „Judenstern“ gesagt!

4. Mai 2023
in 3 min lesen

Jede Menge Trubel gab es in den letzten Tagen um Boris Palmer, Oberbürgermeister der württembergischen Stadt Tübingen und bis neulich Mitglied der Grünen. Palmer gilt schon seit einiger Zeit als Enfant terrible seiner ehemaligen Partei und provozierte – zumindest im Mainstream – mit einigen halbgaren Kritiken gegenüber der aktuellen Migrations- und Integrationspolitik der Bundesrepublik. Halbgar? Ja, genau, denn Fundamentalkritik zu üben war dieser Mann nie in der Lage.

Warum ist Palmer ein schwarzes Schaf? Er verwickelte sich in den letzten Jahren regelmäßig in Rassismus-Kontroversen. Der größte dieser „Skandale“ ist aus dem Jahre 2021, als er sich zum ehemaligen Fußballspieler Dennis Aogo (der eben schwarz ist) äußerte und das Wort „Negerschwanz“ in einem Facebook-Kommentar verwendete. Kurzum: Er warf Aogo Rassismus vor, weil dieser Damen angeblich sein Gemächt anbot. Ja, genau: Rassismus war der Vorwurf. Nicht der seiner Kritiker, sondern Palmers eigener. Vor der Meute der Medien und Parteikollegen schützte ihn das alles nicht, es führte sogar dazu, dass Palmer seine Parteimitgliedschaft ruhen ließ.

Diese ganze Aogo-Sache holte ihn ein, als er Ende April zu einer Konferenz an der Uni Frankfurt eingeladen wurde, auf der er seine Ansätze zur Migrationspolitik vorstellen sollte. Vor dem Veranstaltungsgebäude wurde er von einem wütenden Mob, bestehend aus Studenten, Antifanten und anderem Gesocks, würdevoll empfangen und – wie in unseren Zeiten so üblich – für den wiederholten Gebrauch des Wortes „Neger“ als Rassist und Nazi bezeichnet. Dass die Meute alles andere als dazu bereit war, vernünftig und respektvoll zu diskutieren, war eigentlich abzusehen, aber der missratene Sohn der Grünen versuchte trotzdem sein Glück und stellte sich den Protestlern.

Es kam zu Wortgefechten, Palmer verteidigte seine Redefreiheit und griff dann zu einem Vergleich, der die Stimmung, statt zu beruhigen, nur noch weiter aufkochen ließ: Er verglich die Stigmatisierung seiner Person aufgrund eines einzigen Wortes mit dem Tragen des Judensterns im Dritten Reich. Äußerst dämlich, aber symptomatisch, wie ich gleich ausführen werde; die Menge tobte noch mehr. Auf der Konferenz wurde es auch nicht besser, als der Moderator der Runde sich brüskiert weigerte, die Diskussion weiter zu moderieren – und daraufhin, emotional völlig aufgelöst, den Saal verließ. Am 1. Mai kam schließlich die Nachricht: Palmer tritt aus den Grünen aus – und der Spuk für die Partei der Schönen Neuen Welt ist vorbei. Fürs Erste.

Diese ganze Geschichte ist natürlich eine einzige Farce. Eine Hexenjagd wegen eines Wortes – lächerlich. Palmer hat „Jehova“ gesagt, und jetzt wird er medial gesteinigt. Die Mob-Mentalität der Studenten ist erschütternd, aber auch nichts Neues. Der gemeine Student kann schnell mal zur Bestie werden. Das war schon bei den 68ern so, und auch die Generation, die 30 Jahre vor ihnen studiert hatte, konnte schnell mal in dionysischen Zorn verfallen und Unliebsames den Flammen übergeben, wenn sie wollte. Was wirklich symptomatisch und in gewisser Weise einzigartig für unsere Zeit ist, ist die Tatsache, dass beide Parteien an denselben Mythos glauben, auch wenn sie ihn unterschiedlich auslegen sollten. Was ich damit meine? Nun, was, glauben Sie, wollte Palmer mit der spontan gefallenen Judenstern-Bemerkung bezwecken?


Die Herrschaft des Volkes

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Den Ewigen Boomer wollte er ansprechen. Er wollte den antifaschistischen Reflex in uns auslösen, er wollte sein Gegenüber zusammenzucken lassen. Denn das Allerböseste, was es für unsere Zeitgenossen auf dieser Welt je gab, ist das Zwölfjährige Reich, und alles ist gut und richtig, was sich dem widersetzt(e). Wer glaubt, die Gesellschaft habe, nur weil sie Gott abschaffte, den Teufel überwunden, der irrt: Der Teufel ward Mensch und erschoss sich am 30. April 1945 in Berlin. Alles, was auch nur mit ihm assoziiert werden könnte, muss gemieden werden. Palmer wähnte sich sicher, als er den Radikalen Teufelei unterstellte, ohne begriffen zu haben, dass diese die größeren Teufelshasser sind: Der Versuch, den Gegner mit den eigenen, aber weniger radikalen Waffen zu schlagen, schlug fehl.

Darum ist die Causa Palmer eine Lehre für uns: Dieser Mann ist in einem Weltbild verfangen, das es zu überwinden gilt, wollten wir in diesem Land etwas zum Guten ändern. Sein Weltbild ist der Grund dafür, dass Palmer nie in der Lage sein wird, tatsächlich fundamentale Kritik an irgendeinem Aspekt der jetzigen Politik zu äußern: Er vertritt die niedere, veraltete evolutionäre Stufe derselben. Daher kann er nicht anders, als zu versuchen, seine Gegner ebenfalls mit Rassismus- und NS-Vorwürfen zu konfrontieren – und wird dafür in den Staub geworfen. Leute wie Palmer verstehen dann die Welt nicht mehr – waren sie doch jahrelang die Guten, die sich dem Bösen widersetzten…

Was lernen wir daraus? Erstens: Es gilt, den inneren Boomer zu überwinden. Das heißt nicht, erneut ins Gegenteil zu verfallen und eine bestimmte Zeit der deutschen Geschichte zu verherrlichen, sondern vielmehr das „Böse“ in vielen Ideologien zu erkennen, ohne krampfhaft gegenteilig handeln zu müssen. Und zweitens: Leute wie Palmer sind keine Verbündeten. Sie werden umkippen, sie werden die falschen Lehren ziehen und die falschen Argumente bringen. Wer diesen Leuten vertraut, hat auf Sand gebaut – und wird dafür den Preis zahlen müssen.

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

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