Zum Tod von Henry Kissinger

5. Dezember 2023
in 2 min lesen

Von Karl-Heinz Stiegler

Als Henry Kissinger am Mittwoch, dem 29. November 2023 starb, konnte niemand erwarten, dass De mortuis nil nisi bene beherzigt würde. Aus vielen Richtungen hallte 1987 das Presseecho über den „Tod des Carl Schmitt“ zwei Jahre zuvor wider. Damals kartographierte Günter Maschke die Gipfel der deutschen Nachrufslandschaft, zu denen sich nicht nur wohlwollende Andenken auftürmten. Er hielt damit das Schicksal großer Geister nach ihrem Ableben fest: Wenn diese den Kommentator nicht länger durch ihr Ignorieren in seiner Bedeutungslosigkeit bestärken können, wittern all jene Morgenluft, die ihr Mitteilungsbedürfnis bisher nicht aus ihrer Kompetenz heraus begründen konnten.

Vergangene Woche ist nun kein Staatsrechtler verstorben, sondern ein Politiker und politischer Berater, der die Weltpolitik der in zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so prägend mitgestaltete wie kaum ein zweiter. Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik blieb er bis zuletzt eine diskursive Autorität. Und ähnlich zum posthumen Schicksal Schmitts verlaufen die Nachrufe auf Kissinger entlang verschiedener Argumentationslinien, die in diesem „Meta-Nachruf“ im Folgenden skizziert werden sollen.

Verschiedene Mainstream-Medien haben entdeckt, dass der Ex-Außenminister der USA eine Verfolgungs- und Migrationsgeschichte hatte. Die jüdische Familie des geborenen Heinz Alfred ist denn auch tatsächlich 1938 aus Fürth in die USA emigriert. Die Biographie des Politikers mit der großen Brille und dem deutschen Akzent aber auf die antifaschistische Freiheitsliebe seiner Familie hin abzuklopfen und sie im Nachruf mit Amerikabegeisterung zu vermischen, greift sehr kurz. Vermutlich liegt die Motivation für einen derartigen Beitrag eher im Mantra der sogenannten Vergangenheitsbewältigung als in dem Bedürfnis, über den Verstorbenen zu informieren, geschweige denn ihn zu ehren.

Schon eher wurden diese Ansprüche von derjenigen Presse erfüllt, die nicht nur faktisch linksgrün ausgerichtet ist, sondern sich auch offen so erklärt. Demnach ist die Akte Kissinger ambivalent einzuordnen: irgendwo zwischen kluger Politik und den Verbrechen wie anderen moralischen Verwerfungen, die eine derart hohe Machtposition scheinbar zwangsläufig mit sich bringt.

Ähnlich zwiespältig, vielleicht kenntnisreicher, fällt das Urteil im Schnitt in dezidiert rechten Medien aus. Anders als auf linker Seite, schlägt der Zeiger hier aber eher in Richtung einer Bewunderung für Kissingers realpolitischen Weitblick und seine realistische Machtpolitik aus. Über Verbrechen wie in Kambodscha wäre man eher gewillt hinwegzusehen, wenn sie im Namen der eigenen Außenpolitik begangen worden wären. Dann träte ihr vermeintlicher Nutzen in den Vordergrund, gepaart mit Verweisen auf den zweckrationalen Charakter des Politischen. Da sie aber wenigstens für die amerikafeindliche rechte Sparte vom ideologischen Weltfeind Nr. 1 zu verantworten sind, werden sie auch weiterhin Kissingers Nachruhm trüben.

Die alternativen Medien haben bei der Bewertung von Kissingers Bedeutung nach der Vollendung seines Lebens versagt. Zwar boten sie ein tatsächlich alternatives Bild – von Freude über Hohn bis zur Verteufelung – damit helfen sie dem alternativen Spektrum aber nur schwerlich. Nimmt man sich Realpolitiker und geniale Strategen wie Henry Kissinger als abschreckendes statt als vorbildhaftes Beispiel, verharrt man in machtloser und angreifbarer Position.

Verbrechen als solche zu benennen und sie zu ahnden, ist grundsätzlich richtig. Jeden „da oben“ aber zum Feind zu erklären, weil er an Verbrechen beteiligt war oder ist, ist grundsätzlich falsch. Denn so wird kein Vergehen verhindert und die Distanz zur Macht nur erhöht. Besser ist es, sich mit den Mächtigen auseinanderzusetzen und von ihnen zu lernen. Was wirft man ihnen vor? Besser machen kann man Dinge nur, wenn man in der gleichen Verantwortung steht. Und wer kann ehrlich von sich behaupten, den Verlockungen der Macht widerstehen zu können? Wer hat darin Erfahrung?

Wichtiger als andere für ihren, wenn auch zweifelhaften Erfolg zu kritisieren ist es, an eigenen Ideen und Zielen zu arbeiten. Das oppositionelle Lager kann keinen langfristigen Erfolg haben, indem es die Macher der Politik verteufelt. Es muss selbst zum Macher werden. Und dazu kann die Orientierung an den „großen“ der Vergangenheit nur helfen.

Ich jedenfalls habe mir gestern Kissingers letztes Buch „Staatskunst“ gekauft, dass es nun endlich als günstigeres Taschenbuch gibt…

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