Hat das Auswärtige Amt gerade den Wahlausschluss von Le Pen kritisiert? In einer Pressemeldung verurteilt das Auswärtige Amt den Missbrauch der Justiz im politischen Wettbewerb. Ein „schwerer Rückschlag für die Demokratie“; so bewertet das Auswärtige Amt das aktuelle Geschehen und stellt klar: „Politischer Wettbewerb darf nicht mit Gerichten und Gefängnissen geführt werden.“
Doch die Pressemeldung ist nicht vom 31.03.2025 – dem Tag der Verurteilung Le Pens –, sondern vom 23.03.2025 und bezieht sich auf die Inhaftierung des türkischen Oppositionspolitikers Ekrem İmamoğlu. Dieser wurde in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ festgenommen und sitzt nun wegen der Vorwürfe der Korruption und der Unterstützung einer Terrororganisation in Untersuchungshaft.
In diesem Fall scheinen sich das Auswärtige Amt, die Öffentlich-Rechtlichen und die Vertreter der Altparteien einig zu sein: „Erdoğan geht es letztlich nur darum, seinen größten Konkurrenten kaltzustellen“, untermauert der SPD-Abgeordnete Macit Karaahmetoğlu; ähnliche Aussagen finden sich bei CDU und Grünen.
Nun weist der Fall in der Türkei nicht wenige Parallelen zu dem in Frankreich auf: In beiden Fällen handelt es sich bei den Betroffenen um die größten Konkurrenten der amtierenden Präsidenten. In beiden Fällen werden die aktuellen Präsidenten zur nächsten Wahl nicht mehr antreten. In beiden Fällen geht es bei den Vorwürfen gegen die Konkurrenten vor allem um den Missbrauch von EU-Geldern. In beiden Fällen hatten die Staatsanwaltschaften Maßnahmen beantragt, die die Wahlmöglichkeit der Kandidaten mindern oder ganz ausschließen. In beiden Fällen scheut die Justiz nicht davor zurück, genau diesen Forderungen zu entsprechen.
So ordnete das türkische Gericht auf Antrag der Istanbuler Staatsanwaltschaft allein aufgrund der Vorwürfe der Korruption Untersuchungshaft für İmamoğlu an. Aus der Haft heraus lässt sich bekanntlich schlecht Wahlkampf betreiben. In Frankreich befand das Gericht Le Pen erstinstanzlich für schuldig und befahl sowohl den Ausschluss vom passiven Wahlrecht als auch den sofortigen Vollzug des Urteils. Die Berufung Le Pens hat somit keine aufschiebende Wirkung. Ihr Antritt zur Präsidentschaftswahl ist damit aktuell ausgeschlossen.
Doch während aus den Reihen der Etablierten zu den Vorgängen in der Türkei von Erdoğans autokratischem Regime und einer Gefahr für die Demokratie gesprochen wird, schweigt man zu Frankreich oder freut sich sogar über das Urteil gegen Le Pen – wie „Apollo News“ berichtet. In der Frage der Kritik geht es also nicht um die objektiven Vorgänge, sondern um die Betroffenen. Und da gehört Le Pen eben nicht zu den Personen, die vom Establishment bemitleidet werden. Besonders deutlich wird das im Kommentar des grünen Europaabgeordneten Michael Bloss, der in dem Zusammenhang auch direkt ein Verbot der AfD fordert:
Und es ist fast schon ironisch, wenn man im ZDF bezogen auf die Türkei herausstellt, dass Experten betonen, der Vorwurf der „Korruption“ sei ein „gängige(s) Mittel, um gegen Oppositionelle vorzugehen“, wenn man den Beitrag des ehemaligen Wahlkampfchefs Habecks – Andreas Audretsch – beachtet, der mit genau dem gleichen Vorwurf all jene versieht, die man in eine geistige Opposition zu seinen linken Denkmustern stellen kann:
Jetzt lassen sich durchaus Argumente finden, warum die Fälle nicht komplett deckungsgleich sind, doch darum soll es hier nicht gehen, sondern um Parallelen und Tendenzen. Eine weitere ist in diesem Zusammenhang die Ankündigung der zukünftigen schwarz-roten Regierung in ihrem Koalitionspapier, zukünftig das passive Wahlrecht „bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung“ entziehen und den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen zu wollen.
Damit hätte die kommende Bundesregierung sogar einen entscheidenden Vorteil gegenüber ihren türkischen und französischen Pendants. Denn während der Vorwurf der Korruption auch gerne mal sie selbst treffen könnte, wenngleich eine tatsächliche rechtliche Verfolgung und Verurteilung ungleich unwahrscheinlicher wäre, hat sie mit der Volksverhetzung einen Straftatbestand gefunden, der sich in der aktuellen Deutung fast ausschließlich auf rechts und damit auf die AfD beziehen kann.
Wie sich in Frankreich und der Türkei zeigt, ist das Volk selbst mit solchen Entwicklungen alles andere als zufrieden, sondern erkennt ihren inneren Kern. Um die Worte des Auswärtigen Amtes zu wiederholen: „Politischer Wettbewerb darf nicht mit Gerichten und Gefängnissen geführt werden.“
Das trifft auf die Türkei, aber auch auf Frankreich und auf die Bundesrepublik zu. Versperrt sich die kommende Bundesregierung dieser Einsicht und macht aus ihrer Androhung Realität, dürfte das nicht nur dem Ansehen der Demokratie schaden, sondern vor allem auch der Justiz. In der Türkei ist der Glaube an die Unabhängigkeit der Justiz verloren gegangen. Ebensolche Vorstöße wie das aktuelle schwarz-rote Koalitionspapier sind es, die solche Zustände auch in Deutschland weiter anfeuern. Wer die politische Debatte meidet, indem er die Entscheidung auf die Gerichte verlagert, entzieht sich seiner eigenen Verantwortung als Politiker und bürdet den Richtern eine Entscheidung auf, die sie nicht treffen sollten.
Das ist immer falsch. Wer hier danach unterscheidet, wer als Ankläger und wer als Angeklagter auftritt, missachtet ein fundamentales Prinzip des Rechtsstaats: Justitia ist blind. Auch wenn zunehmend Kräfte daran interessiert scheinen, ihren Schleier zu lüften.