Es wird mal wieder Zeit für ein bisschen Musik. Wie in der vorletzten Kolumne angekündigt, soll es diesmal um die „Königin der Instrumente“ gehen: die Orgel. Dieses Instrument existierte zwar schon in der Antike, das Abendland aber sollte es zu seinem kulturellen Höhepunkt führen. Geistig bestätigt fühlte ich mich, da ich ja selbst Orgel spiele, als Oswald Spengler in seinem Hauptwerk beschrieb, dass die Orgel mit ihrem den scheinbar unendlichen Raum des gotischen Domes ausfüllenden Klang das Instrument des „faustischen Geistes“ sei.
„Faustisch“ ist dabei nicht untertrieben: Der Aufwand, die Orgel zum Klingen zu bringen – vom groben Aufbau an sich, über die Klangerzeugung und das „Innenleben“ des Instruments, bis hin zu den Klangfarben und schließlich zur richtigen Spielweise – ist wohl bei keinem anderen Instrument auf der Welt so groß wie bei diesem. Man kann sie zurecht als Instrument der Superlative bezeichnen; wenn man bedenkt, dass in der größten Domorgel der Welt, die im St. Stephansdom im bayrischen Passau steht, über 17.000 (!) Pfeifen stehen.
Im Laufe der abendländischen Geschichte wandelte sich der Klangstil der Orgel immer wieder – eine romantische Orgel klingt (natürlich) anders als eine aus der Renaissancezeit –, aber um die Sache so kurz wie möglich zu halten, konzentriere ich mich auf die Orgel des Barock; in dieser Zeit erlebte die Orgelkultur ihren ersten Höhepunkt.
Wenn man in eine Kirche eintritt, so blickt man erst in Richtung Altar. Erst wenn man sich im Kirchenschiff umdreht, sieht man auf die auf der Westempore thronende Orgel. Oder eher gesagt: Man sieht den Orgelprospekt mit den Prospektpfeifen. Im Barock war der Prospekt meisten sehr stark ornamentiert, wie man z. B. an der Orgel von 1734 im schwäbischen Ochsenfurt sehen kann:
Vieles spielt sich jedoch hinter dem Prospekt, also innerhalb der Orgel ab – so sind die meisten Pfeifen dahinter versteckt. Allein die Lufterzeugung – die Luft, die die Pfeifen zum Klingen bringt, wird im Orgelbau Wind genannt – ist ein großer Aufwand.
Bevor Elektromotoren den Wind in das Instrument bliesen, wurde diese Aufgabe von Kalkanten übernommen: Meist junge Männer, die dazu verpflichtet wurden, die Blasebälge der Orgel zu bedienen. Je größer die Orgel ist, desto mehr Wind braucht sie und desto mehr Kalkanten mussten ihren Dienst verrichten – bei sehr großen Instrumenten waren es bis zu zehn.
Eine harte Arbeit war dies, nicht wegen der körperlichen Anstrengung, sondern auch dadurch, dass der Winddruck – quasi die Stärke, mit der die Luft später durch die Pfeifen gehen wird – stets gleichmäßig sein musste, da sich sonst die Intonation und die Tonhöhe und damit der Orgelklang verändern würde (ähnlich wie bei einer angefangenen Glasflasche, bei der man den Ton je nach Stärke des Blasens verändern kann). Ein Kalkant verrichtet seinen Dienst:
Der nun erzeugte Wind erreicht über das Windwerk –Holzrohre, in denen der Wind „transportiert“ wird – die Windladen. Über diese „Holzbahnen“ gelangt der Wind zu Pfeife. Meist werden mehrere Pfeifenreihen – sogenannte Register, dazu aber gleich mehr – über eine Windlade angesteuert. Drückt der Spieler eine Taste, so wird ein Ventil innerhalb der Windlade geöffnet, und der Wind gelangt vom Windwerk über die Lade in die angesteuerte Pfeife.
Um zu verhindern, dass mehrere Register gleichzeitig erklingen, werden die Pfeifenreihen in den meisten Orgeln – so auch im Barock – mit einer Schleiflade abgedichtet. Erst wenn der Spieler einen Registerzug bedient, werden die Schleifladen verschoben, so dass sich nun die offenen Löcher der Schleiflade unter der Pfeife befinden – der Wind kann durchströmen.
Hier eine schlichte Darstellung der Orgelmechanik. Über das Windwerk (grünbraun) gelangt der Wind zu den Windladen (hellgrün). Das Ventil (rot, in der Windlade) öffnet sich beim Spielen einer Taste, der Wind gelangt bei geöffneten Schleifladen (orange) in die Pfeife. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Querschnittorgel.svg
Zum Innenleben der Orgel gehört auch die Traktur (im Bild oben rot dargestellt). Drückt der Spiele eine Taste, so wird über eine komplexe Hebelmechanik das Ventil in der Windlade bedient.
Die unterschiedliche Größe der Pfeifen erklärt sich durch die verschiedenen Register: Meist erklingt nämlich nicht nur eine Tonhöhe gleichzeitig, sondern gleich mehrere. So wird eine Pfeife mit „normaler“ Tonhöhe – also die, die man beim Drücken derselben Taste auf dem Klavier ebenfalls hört – im Jargon als 8′ (sprich: „8-Fuß“, nach der Länge der größten Pfeife) bezeichnet. Es gibt aber auch Pfeifen, die klingen eine Oktave höher und sind entsprechend halb so lang – also 4‘-Pfeifen. Ebenso gibt es 16‘-Pfeifen, die eine Oktave tiefer klingen und doppelt so groß sind usw. Diese unterschiedlichen Pfeifen erzeugen beim Zusammenspiel den typisch vollen Orgelklang. Natürlich gibt es noch weitere Varianten und Arten von Pfeifen, deren Darstellung den Rahmen aber deutlich sprengen würde.
Angesteuert werden, wie oben schon erwähnt, diese verschiedenen Pfeifenreihen über die Registerzüge, die sich links und rechts neben dem Organisten am Spieltisch befinden. Häufig kann dieser die Registerzüge während des Spiels nicht bedienen: er benötigt Registranten, die diese Aufgabe für ihn übernehmen. Am Spieltisch findet der Spieler häufig mehrere Klaviaturen vor sich: Einmal das Manual, welches mit den Händen gespielt wird und dem entspricht, was man vom Klavier kennt.
Bei größeren Orgeln findet man auch zwei, drei, oder gar vier Manuale vor, die jeweils alle unterschiedliche Pfeifenstöcke, sogenannte Werke ansteuern. So gibt es das Hauptwerk, welches die meisten Pfeifen und Register hat und quasi „am lautesten“ ist, dann ein etwas kleineres Oberwerk, und manchmal auch ein Rückpositiv, ein Pfeifenstock, der, wie der Name es suggeriert, sich hinter dem Organisten befindet (auf dem Foto der Orgel in Ochsenhausen ist es deutlich zwischen dem Emporengeländer zu erkennen).
Die verschiedenen Manuale können auch gekoppelt werden, was nichts anderes bedeutet, dass beim Bedienen der Koppel mehrere Manuale von einem Manual aus angesteuert werden können. Des Weiteren gibt es auch noch ein Pedalwerk, das mit den Füßen bedient wird und das häufig das Bassfundament der Orgel darstellt. Auch dies kann mit den Manualen gekoppelt werden.
Zu guter Letzt gibt es noch etwas auf die Ohren: Als erstes ein Werk eines Meister der „Norddeutschen Orgelschule“, Dieterich Buxtehude. Gespielt wird es passenderweise auf einer Orgel von Arp Schnitger (einem der berühmtesten Orgelbaumeister des Barock) in Stade bei Hamburg. Deutlich zu erkennen sind die Registerzüge am Spieltisch, die von zwei Registranten bedient werden müssen. Ebenfalls gut beobachtbar sind die Wechsel zwischen den Manualen sowie die Arbeit mit den Füßen:
Arbeit mit den Füßen:
Der bekannteste Schüler Buxtehudes war Johann Sebastian Bach. Das folgende Werk übertrifft das obige Beispiel an Virtuosität (vor allem im Pedal). Außerdem wollte ich den freudigen Charakter der Toccata und der Fuge nicht vorenthalten:
Und zu guter Letzt ein weiteres Werk von Meister Bach: die Passacaglia in c-Moll. Es ist eines seiner bekanntesten und schwierigsten Orgelstücke. Besonders deutlich kann man in dieser Aufnahme die verschiedenen Klangfarben der Orgel genießen, vom leisen, fast mysteriösen Anfang bis zum furiosen Ende ist fast alles dabei…
Also dann, der Ausflug in die Welt des barocken Orgelspiels hat hiermit sein Ende. Ich hoffe ihr genießt die Blüten unserer abendländischen Kultur und nutzt die Musik zur, wie es der alte Bach mal sagte, „Recreation des Gemüths“ und zur Erholung der Seele vom Getöse der Moderne.