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Gott würfelt. Nachruf eines Ungläubigen

9. Januar 2023

Offenbar hat sich Albert Einstein mit seinem berühmten Spruch „Gott würfelt nicht“ getäuscht. Am 31.12.2022 blieben die göttlichen Würfel auf 1-3 liegen und Papst Benedikt XVI. wurde von seinem Vorgesetzten aus dem Diesseits abberufen. Wer sich fragt: Was ist das für ein Bild? Ratzinger ist eine der 32 Charaktere unseres Satirequartetts. Wir sind glücklich, ihm mit dieser Karte noch zu Lebzeiten ein kleines Denkmal gesetzt zu haben. Doch es soll hier nicht um piettätslose Eigenwerbung gehen (mehr Infos zum tollsten Quartett in unserem Netzladen), sondern um ein paar Worte zum letzten Papst des Abendlandes. „Ratze“ war von unserer gesamten Redaktion, unabhängig davon, ob man sich selbst zur Christenheit zählt, geschätzt.

Ich erinnere mich noch an die Wahl zum Pontifex im Jahr 2005. Als atheistischer 14-Jähriger war ich vom Spektakel in Rom tief beeindruckt. Mehrfach stieg schwarzer Rauch auf und die Stimmung wurde spannender. Am zweiten Tag, nach gerade einmal 26 Stunden, dann der erlösende weiße Rauch, der die Wahl Joseph Ratzingers verkündete. Eine von Materialismus und Säkularismus geprägte Nation hielt kurz den Atem an, ganz so, als sei sie sich unsicher, wie sie auf einen Papst aus den eigenen Landen reagieren wollte. Spätestens als die BILD-Zeitung dann „Wir sind Papst“ titelte, brachen aber die Benedetto-Jubelstürme los.

In Deutschland drehte sich rasch der Wind: Kurze Zeit nachdem die anachronistischen Fanfaren verstummten (sie einnerten an das Sommermärchen nur ein Jahr später), luden die damals schon linksunterwanderten Medien nach und schossen was das Zeug hielt. Mir sind insbesondere die zahlreichen Karikaturen in Gedächtnis geblieben, die Ratzingers nicht gerade charmantes Aussehen mehr oder weniger gekonnt überspitzten und ihn als bösartigen Goblin, Senator Palpatine oder andere satanische Figur darstellte. Und auch das Thema Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche nahm nach und nach an Fahrt auf, in das Ratzinger verwickelt sein sollte.

Weder war ich im Alter von 14 Jahren ein Freund der Kirche, noch bin ich es heute, mit 31 Jahren. Heute lehne ich die noch immer größte Weltreligion aus anderen Gründen ab als damals. Nach anfänglicher Faszination gegenüber dem heiligen Ritus der Papst-Wahl sprang ich auf die linksliberale, fortschrittliche Kritik am „rückständigen“ Christentum und dem erzkonservativen Ratzinger auf. Die Kirche sei ein Relikt von gestern, zudem unterdrücke sie doch die Frauen, die ja auch nichtmals Papst werden können, und halte an idiotischen 2.000 Jahre alten Regeln fest.

Klug, Konservativ und wider dem Zeitgeist

Viele Jahre später, Ratzinger war bereits „emeritiert“ (darauf werde ich später zurückkommen) nahm ich mit Kollege Hannes an einer Ernst-Jünger-Veranstaltung im tiefsten Oberschwaben teil, dem letzten Wohnort Jüngers. Die Veranstaltung wurde in einem alteherwürdigen Kloster durchgeführt, das die Pforten auch für Veranstaltungen aller Art und normale Gäste geöffnet hatte. Beim Schlendern durch die Gänge stolperte ich über eine Art Basar. Jedes Buch 1 Euro. Nach kurzem Stöbern entdecke ich das dünne Büchlein „Wahrheit, Werte, Macht“ aus dem Jahr 1996. Wenn man ein Buch als „klug“ bezeichnen kann, dann dieses. Auf gerade einmal 92 Seiten skizziert Ratzinger in drei kurzen Essays/Reden die Werteproblematik des Westens im Spiegel der Moderne. Seit diesem Büchlein begann ich Ratzingers Denken, manchen Predigten und Vorträge zu verfolgen und stieß auf eine schier unerhörliche Fülle an Weisheit und Intelligenz eines Mannes, der sogar für einen Papst bzw. Ex-Papst oftmals so wirkte, als sei er aus der Zeit gefallen.

In Wahrheit ist natürlich die Zeit aus den Werten gefallen, aber das wissen die meisten Leser der KRAUTZONE. Bis zu seiner letzten Veröffentlichung, der Biographie „Mein Leben“ im Jahr 2020, verfasste Ratzinger hunderte, wenn nicht tausende Publikationen, Essays und Bücher, die auch abseits der katholischen Filterblase rezipiert wurden und Eindruck hinterließen. Bemerkenswert sind auch seine zahlreichen Reden und Vorträge, wie vor dem deutschen Bundestag im Jahr 2011, in dem er der versammelten Politikerschaft mehr oder weniger deutlich die Leviten las und den heiligen Augustinus zitierte, dessen Ausspruch auch ein libertärer Leitsatz ist:

„Nimm das Recht weg, was ist dann ein Staat auch anderes, als eine große Räuberbande“.

Nach 95 Jahren auf Erden und zehn Jahren als Papa Emeritus verabschiedet sich Ratze aus der Welt und aus einem Amt, dass er in meinen Augen noch immer innehatte, wenngleich Gegenpapst Jorge Bergoglio die letzten Jahre seinen Stuhl besetzt hielt. Was die wenigsten wissen: Bergoglio trat bereits 2005 gegen Benedikt an, verlor aber mit vergleichsweise großem Abstand gegen den Münchner Kardinal. Die Zeit war noch nicht reif für den Argentinier, der damals wie heute an der Spitze einer progressiven und werterelativistischen Strömung innerhalb der katholischen Kirche steht. Er musste noch acht Jahre warten und übernahm dann 2013 nach Benedikt.

Der Gegenpapst

Dass selbst einem Ungläubigen wie mir auffällt, dass Bergoglio sich schlichtweg nicht an der Bibel, auch genannt „Wort Gottes“ ausrichtet, sondern den Modetrends der Zeit folgt und versucht, die Kirche zu reformieren und am Mainstream anzudocken, heißt einiges. Bergoglio unterstützt offen die LGBTQ-Gemeinschaft und spielt mit dem Gedanken, die Kirche in diese Richtung zu öffnen. Eine Kirche, die auf einem Schriftstück beruht, dass explizit sagt, dass Homosexualität Sünde sei. Ob man das persönlich so sieht oder nicht sei dahingestellt – Fakt ist aber: Kirche und Schwule? Das schließt sich aus. Denn trotz zahlreicher linker Lügen und Verdrehungen gibt es in der Bibel dutzende Stellen, die offen oder implizit Homosexualität als Sünde darstellen und verurteilen. Darüber, wie auch über Transsexualität, aus christlicher Sicht überhaupt zu diskutieren, zeigt eindeutig, wer da auf dem Heiligen Stuhl sitzt.

Dass der Begriff „Antichrist“ gar nicht so weit hergeholt ist, kann man auch an anderen Einstellungen Bergoglios festmachen. Medial „beeindruckte“ er die christliche Welt, in dem er zwei Mal öffentlich „ausrastete“, eine überdrehte Anhängerin zornig zurechtwies und in einer anderen Situation mit einem satanischen Blick einem Gläubigen auf die Hand schlug, um sich zu befreien. Papst des Volkes zu sein und sich wie ein Popstar in kreischenden Mengen feiern zu lassen, ist sicherlich nicht einfach und der Pontifex ist auch nur ein Mensch. Allerdings lässt eine derartige Reaktion doch tief blicken. Und wer könnte sich den immer gut gelaunten, ruhigen, fast schon zarten Benedetto in so einer Situation vorstellen? Was das ganze noch schlimmer macht: Anstatt einen der Ausbrüche zu ignorieren und sich im Stillen dem Urteil seines Vorgesetzten zu stellen, entschuldigte er sich bei einer seiner nächsten Predigten. Der Papst entschuldigt sich für einen Wutausbruch. Wir leben in sonderbaren Zeiten.

Nun kann man über all diese Spitzfindigkeiten hinwegsehen. Beim Auslegen der christlichen Lehre sollte es aber keine zwei Meinungen geben. Bergoglio führte eine Neuerung ein: Die Fußwaschung während der Abendmahlsmesse wird von ihm auch bei Frauen vollzogen, was in traditionellen Kreisen einen Aufschrei erzeugte. Viel interessanter als irgendwelche rituellen Auslegungsfragen, wenngleich sie natürlich politisch getrieben sind, ist ein anderer Aspekt dieses Ritus. Bergoglio wusch unter anderen „Flüchtlingen“ die Füße; und zwar nicht irgendwann, sondern am 24. März 2016, also wenige Monate nachdem sich die europäische Stimmung nach dem Migrationsjahr 2015 gegen die unbegrenzte Aufnahme angeblicher Flüchtlinge richtete und exakt zwei Tage nach den Terroranschlägen in Brüssel durch radikale Muslime. Die Täter verurteilte Bergoglio, stimmte aber zugleich den politisch-korrekten Sermon an: Die jüngsten Terroranschläge in Brüssel bezeichnete Franziskus als „Geste des Kriegs und der Zerstörung“, begangen von „Menschen, die nicht in Frieden leben wollen“. „Hinter dieser Geste stecken Waffenschmuggler, die Krieg wollen, nicht Brüderlichkeit“ (DW). Ob wohl der Faktor „radikaler Islam“ oder „Waffenschmuggler“ ausschlaggebend für diese Tat war?

Insofern ist Bergoglios Aktion als direktes politisches, linkes Statement zu verstehen. Wer auch darüber hinwegsehen möchte, weil er ein guter Katholik ist, und der glaubt, dass nichts mit nichts zu tun hat, dem sei noch auf eine weitere Stellungnahme hingewiesen. Während er den vier Katholiken aus Nigeria, drei Koptinnen aus Eritrea, drei Muslimen aus Mali, Pakistan und Syrien, einem Hindu aus Indien sowie einer italienischen Mitarbeiterin der Unterkunft die Füße wusch und küsste, verkündete er:

„Ob Muslime, Hindus, Katholiken oder Kopten: Wir sind alle Brüder, wir sind alle Kinder desselben Gottes“.

Dass kein Himmel vom Blitz hinabfuhr und den argentinischen Leutefänger pulverisierte, ist in meinen Augen ein fast so großes Wunder, wie die schwächliche Reaktion der Katholiken.

Denn es ist Fakt, dass Bergoglios Aussage falsch ist und damit das Christentum beleidigt und relativiert sowie explizit den Sohn Gottes verleugnet. Um zu wissen, dass Hindus nicht den gleichen Gott wie die Christen haben, muss man nicht studiert haben. Etwas komplexer wird es bei der Frage nach Muslimen. Muslime lehnen Jesus Christus als Erlöser UND als Sohn Gottes ab. Insofern stellen sie sich auch direkt gegen den christlichen Gott, der ein dreifaltiger Gott ist und aus dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist besteht und daraus eine „unauflösbare Einheit“ bildet. Das Nichtanerkennen Jesus Christus als Sohn Gottes und damit Fleisch und Teil Gottes verunmöglicht theoretisch, praktisch, spirituell und dogmatisch die Aussage, dass Christen und Muslime den gleichen Gott haben. Jesus höchstpersönlich sagt dazu in der Bibel: „Wäre Gott euer Vater, so liebtet ihr mich; denn ich bin von Gott ausgegangen und komme von ihm; denn ich bin nicht von selbst gekommen, sondern er hat mich gesandt.“ Das weiß natürlich auch Bergoglio als ausgebildeter Theologe. Demnach leugnet er bewusst seinen eigenen Gott im Zeichen von Multikulti und politischer Korrektheit – wie viele andere christliche Würdenträger, die den Blödsinn vom „gleichen Gott“ immer und immer wieder wiederholen.

Ratzinger sah Bergoglio voraus

Aber genug von Bergoglio und zu Ratzinger. Drehen wir die Uhr wieder 11 Jahre zurück zum Jahr 2005. Unmittelbar vor der Papstwahl hielt Kardinal Ratzinger eine bemerkenswerte und in Kirchenkreisen viel gelobte Rede, die von seinem Intellekt und seiner Weitsicht zeugt:

„Jeden Tag entstehen neue Sekten, und es realisiert sich das, was der heilige Paulus über den Betrug der Menschen sagt, über die Verschlagenheit, die in die Irre führt (vgl. Eph 4, 14). Einen klaren Glauben zu haben, gemäß dem Credo der Kirche, wird oft als Fundamentalismus hingestellt. Während der Relativismus, also das „Hin-und-her-getrieben-Sein vom Widerstreit der Meinungen“ als die einzige Einstellung erscheint, die auf der Höhe der heutigen Zeit ist. Es konstituiert sich eine Diktatur des Relativismus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das Ich und seine Bedürfnisse lässt.

Wir aber haben ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus. „Reif“ ist nicht ein Glaube, der den Wellen der Mode und des letzten Schreis folgt; erwachsen und reif ist ein Glaube, der tief in der Freundschaft mit Christus verwurzelt ist. Es ist diese Freundschaft, die uns all dem gegenüber öffnet, was gut ist und uns das Kriterium liefert, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden, zwischen Betrug und Wahrheit.“

Insofern richtete sich die Rede nicht nur an die Christenheit und die Konklave mit ihren 117 stimmberechtigten Kardinalen, sondern auch an den reformistischen Flügel und damit indirekt an Bergoglio selbst. Es ist also wahrscheinlich, dass sich beide schon damals nicht ganz grün waren, wenngleich Ratzinger dies offiziell dementierte.



Kampf gegen Islam

Berühmt-berüchtigt wurde Ratzinger aber für eine Rede, die viele vergessen haben. Bei einem seiner Besuche auf heimischem Boden, zitierte Ratzinger den byzantinischen Kaiser Manuel Palaiologos. Dieser kritisierte den Islam und die Lehre Mohammeds aufs Schärfste. Sofort feuerte die Presse gegen das „böse“ Zitat und die islamische Welt schrie auf! Weite Teile des liberalen Katholizismus sahen Ratzinger spätestens seit dieser Rede kritisch. Das war im Jahr 2006, also Jahre bevor das Thema Islam durch den Berliner Bürgermeister Heinz Buschkowsky und SPD-Mann Thilo Sarrazin in der Öffentlichkeit anklang fand. Damals lehnte Merkel Zuwandderung und Asyl noch scharf ab.

Bezüglich christlicher Wertvorstellung standen sich Ratzinger und Bergoglio diametral gegenüber. Wie genau aber das Verhältnis zwischen den beiden ausgesehen hat, ist von außen natürlich schwierig zu beurteilen. Ich selbst, und das ist freilich Spekulation, gehe aber von uneingeschränkter Verachtung aus, wie man auch in den Jahren nach der Emeritierung immer wieder wittern konnte. Legt man das Wort Gottes, wie Ratzinger, schriftnah aus, kann man Bergoglios Machen schlichtweg nicht gutheißen. Das wurde auch nur einen Monat vor Ratzingers Rücktritt, im Januar 2013, offenbar. Bei der Bischofsweihe seines engen Vertrauten und langjährigen Privatsekretärs Georg Gänswein sagte Ratzinger:

„Wer den Glauben der Kirche lebt und verkündet, steht in vielen Punkten quer zu den herrschenden Meinungen gerade auch in unserer Zeit“.

Eine scharfer Angriff auf seinen baldigen Nachfolger Bergoglio. Der Entschluss des Rücktritts stand damals schon fest.

Feindschaft zweier Päpste?

Trotz zahlreicher Lippenbekenntnisse, wie sehr sie sich beide Päpste doch schätzten, brachen immer wieder andere Muster hervor. Der westfrikanische Kardinal Robert Sarah, konservativer Wortführer und gewissermaßen Nachfolger Ratzingers, veröffentlichte 2020 ein Buch, in dem er explizit die Idee Bergoglios, das Zölibat zu öffnen, angriff. Der Zeitpunkt war bewusst gewählt, da er nach einer Synode zu dem Thema, aber noch vor der offiziellen Aussage Bergoglios stattfand. Bergoglio wurde gewissermaßen übertölpet, da der erste Schuss nicht von ihm kam. Aber was hat das Buch mit Ratzinger zu tun? Der wurde von Robert Sarah als Mitautor genannt, auch sein Gesicht wurde abgedruckt und seine Unterschrift unter Vor- und Nachwort gesetzt. „Ich kann nicht still bleiben!“, schrieb Ratzinger. Der Papst richtete sich gegen den Papst und kritisierte die reformistischen Ideen Bergoglios noch bevor dieser Stellung nehmen konnte.

Im Nachhinein sollte alles ein großes Missverständnis sein. Robert Sarah hätte die Co-Autorenschaft Ratzingers ohne dessen Einverständnis eingefädelt. Später musste der Namen Ratzingers sowie sein Gesicht von Sarahs Buch entfernt werden. Alles sei ein großes Versehen, betonte der Sekretär Ratzingers, Georg Gänswein. Doch: Inhaltlich wurde nicht zurückgerudert und die Meinung des alten Papstes wurde weiterhin unverändert veröffentlicht. Ein Intrigenspiel Sarahs? Wohl kaum. Ratzinger wusste genau, was er da tat und hatte in einem genialen Schachzug Millionen von Christen mitgeteilt, dass er Bergoglios Pläne nicht billigt.

Eine fragwürdige Messe

Was Bergoglio wiederum von Ratzinger gehalten hatte, wurde dann zuletzt in der Totenmesse Ratzingers eindeutig. Zwar war es historisch ein Novum, dass ein Papst einem Papst die Messe liest – insofern gab es kein klassisches Protokoll – dennoch hätten alle Beobachter mehr erwartet. Franziskus fertigte seinen Vorgänger mit gerade einmal 20 Worten ab:

„Benedikt, du treuer Freund des Bräutigams (Jesus), möge deine Freude vollkommen sein, wenn du seine Stimme endgültig und für immer hörst!“

Viel weniger geht nicht, ohne einen offenen Affront auszulösen, so meine Meinung als Laie. Daran ändern auch die flankierenden Worte zahlreicher Würdenträger wie der Salzburger Erzbischof Franz Lackner nichts, der kommentierte, Franziskus habe mit seinem letzten Satz der Predigt „Wesen und Person des Verstorbenen wunderbar zum Ausdruck gebracht, indem er ihn Freund des Bräutigams nannte“. Lackner steht inhaltlich Franziskus nahe. Er gab Franziskus 2021 Schützenhilfe und kommentierte:

„Wenn in gleichgeschlechtlichen Beziehungen Werte wie Liebe, Freundschaft, Fürsorge oder Verantwortung gelebt werden, verdient dies Respekt und ein positives Echo der Kirche“.

Auch aktuell erhärten sich die Belege für die Feindschaft der beiden Päpste. Wenige Tage nach Ratzingers Tod erschienen erste Auszüge aus Georg Gänsweins Buch, der darin auch auf seine Beurlaubung durch Bergoglio eingeht. Er spricht von einer Demüting . Ein Angriff auf Gänswein kann aufgrund des innigen Vertrauensverhältnis auch als einen Angriff auf den emeritierten Papst gewertet werden.

Ein Papst tritt zurück?

Nun stellt sich noch die Frage, warum Benedikt XVI. als Papst zurücktrat. Die offizielle Begründung, er fühle sich der Aufgabe aufgrund fortgeschrittenen Alters körperlich nicht mehr gewachsen, kann ins Reich der Märchen verbannt werden. Ratzinger, als unvorstellbar gebildeter Mann, weiß sehr genau, dass körperliche Gebrechen kein Argument sind, seine Aufgabe als erster Diener Gottes einfach abzugeben. Oder anders gesprochen: Im Zweifelsfall fährt man eine Fast-Leiche im Papamobil durch die Menschenmengen. Auch die „Kraft des Geistes“, die abgenommen habe, so Ratzinger wörtlich bei seinem Rücktritt, sind ein Vorschubargument. Bis kurz vor seinem Tod, immerhin zehn Jahre nach der Emeritierung, arbeitete Ratzinger nach Angaben seines Biographen Peter Seewald auf der gewohnten geistigen Höhe. Die Gründe können also nur seelischer oder machtpolitischer Natur gewesen sein.

Zur Machtpolitik können lediglich Spekulationen angeführt werden: Wurde Benedikt aus dem Amt des Pontifex gedrängt? Möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist es dann doch, dass Ratzinger den Schritt freiwillig gewählt hat, bevor der Tod ihm in die Quere kommt und er damit Bergoglio das freie Feld überlassen würde. Insofern könnte Ratzinger darauf geschielt haben, allein mit seiner Existenz und seinen Publikationen, und später ja auch mit seiner offenen Einmischung, Bergoglios Flügel in seinen Reformbewegungen zu hemmen. Und wer weiß wie die katholische Kirche heute aussähe, wenn Ratzinger als konservatives Machtzentrum nicht zehn Jahre lang mitten im Vatikan gesessen hätte? Sein Einfluss auf weite Teile der Kardinäle war als Ex-Papst ohne Zweifel enorm. Zugleich zwang er Franziskus dazu, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich immer und überall positiv gegenüber seinem Vorgänger zu äußern. Was diesen Spekulationen weiteren Brennstoff liefert, ist eine Änderung Bergoglios gerade einmal sieben Tage nach Ratzingers Tod. Mit dem Erlass „In ecclesiarum communione“ stärkt Borgoglio die Machtposition des Papstes in bisher nicht dagewesenem Maße:

„Nach dem Umbau muss künftig der Papst in alle wichtigen pastoralen, administrativen und wirtschaftlichen Entscheidungen eingebunden werden. Sein Vertreter, der sogenannte Kardinalvikar für Rom, darf keine wichtigen oder über die normale Verwaltung hinausgehenden Initiativen ergreifen, ohne ihm vorher Bericht zu erstatten. Leitlinien zur Pastoral sowie der Haushaltsplan der Diözese unterliegen ebenfalls der Genehmigung durch den Papst. Dieser muss auch bei der Auswahl neuer Pfarrer und Weihekandidaten zustimmen. Deren Auswahl unterliegt neueren Regeln, etwa in Hinblick auf spirituelle, psychologische, intellektuelle und pastorale Eigenschaften.“

(kath.net)

Wieder zurück zu Ratzinger. Ein Blick in das Eingangs erwähnte Buch „Wahrheit, Werte, Macht“ gibt Aufschluss über seine seelisch-religiösen Motive beim Rücktritt. Dort zitiert Ratzinger in einem Kapitel zum Gewissen, wohlgemerkt im Jahr 1996, Kardinal Newman (1801-1890), für den Christentum und Gott nur mit und aus dem eigenen Gewissen heraus gedacht werden kann. Ratzinger schreibt:

„Wem fiele beim Thema Newman und das Gewissen nicht der berühmte Satz aus dem Brief an den Herzog von Norfolk ein: „Wenn ich – was höchst unwahrscheinlich ist – einen Toast auf die Religion ausbringen müßte, würde ich auf den Papst trinken. Aber zuerst auf das Gewissen und dann auf den Papst.“ Nach Newmans Absicht sollte dies – im Gegenüber zu den Einlassungen Gladstones – ein klares Bekenntnis zum Papsttum sein, aber auch – gegenüber Fehlformen des „Ultramontanismus“ – eine Interpretation des Papstums, das nur dann gerechtfertigt ist, wenn es zusammengesehen wird mit dem Primat des Gewissens – ihm nicht entgegengesetzt, sondern auf ihm gründend und ihn verbürgend.“

Ich denke, dass dieser Absatz einen tiefen Einblick in Ratzingers Wertevorstellung gibt, und dass er, in dem Moment, indem sein Gewissen und seine Rolle als Papst sich nicht mehr deckungsleich abbildeten, die entgültige Entscheidung fällte, den Heiligen Stuhl in Rom zu räumen. Ratzinger konnte es mit seinem Gewissen, und damit mit seinen Glauben, nicht mehr vereinbaren, dieser Kirche vorzustehen. Ob dafür einige Schlüsselereignisse verantwortlich waren oder sich eine langsame Transformation der katholischen Kirche zu einem Hort des Linksliberalismus den Ausschlag gaben, wird wohl niemand beantworten können.

Systeme ablehnen – Personen anerkennen

Ein letzter Widerspruch sollte auch noch aufgelöst werden. Wie kann man als Gegner des Christentums eine so hohe Meinung von einem emeritierten Pontifex haben? Spannen wir den Bogen zurück zu Ernst Jünger durch den ja indirekt sich meine Einstellung zu Ratzinger änderte. Jünger wurde 1982 der Goethe-Preis in Frankfurt verliehen, bei dem er eine ebenfalls beeindruckende Rede in seiner so typisch blechernen Stimme vortrug:

„Mein Urteil soll sich nicht darauf gründen, ob ein Autor anders denkt als ich, sondern darauf, ob er überhaupt denkt. Und vielleicht sogar besser als ich. Ich muss ihn in sein System rücken. Das allerdings kann ich ablehnen. Widerum schließt das die Hochachtung nicht aus.

Für mich verabschiedet sich der Mann, der mir genau das gezeigt hat. Der mir gezeigt hat, dass eine (katholische) Kirche jenseits von heuchlerischen Schwätzern, affektierten Modetrends, peinlichen Predigten, institutioneller Arroganz, sozialistischen Vernetzungen, paradigmatischer Selbstverleugnung und gnadenlosem Zeitgeistdenken existiert. Man muss nicht glauben, doch eine Kirche, wie Benedikt sie verstand, kann und muss man ernst nehmen.

Normaleweise schließt man solche Texte mit einem „Ruhe in Frieden“ ab. Derlei Floskeln spare ich mir. Wenn jemand mit gutem Gewissen friedlich ruhen kann, dann der vorerst letzte Papst.

Florian Müller

Der Sklaventreiber-Chef hat diverse Geschwätzwissenschaften studiert und nach eigenen Angaben sogar abgeschlossen. Als geborener Eifeler und gelernter „Jungliberaler“ freundete er sich schnell mit konservativen Werten an – konnte aber mit Christentum und Merkel wenig anfangen. Nach ersten peinlichen Ergüssen entdeckte er das therapeutische Schreiben in der linksradikalen Studentenstadt Marburg, wurde Autor für die „Blaue Narzisse“ und „eigentümlich frei“. Ende 2017 gründete er mit Hannes die Krautzone.


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