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Wolfgang M. Schmitt, CC0 1.0 Universal (CC0 1.0) Public Domain Dedication, Wikicommons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wolfgang_M._Schmitt_Portr%C3%A4t.jpg

Hammer! – Der Linke Wolfgang M. Schmitt entlarvt linke Massenpropaganda als „neoliberal“!

1. Mai 2023

Selten – und immer seltener – hört man von Marxisten des Nachdenkens Wertes. Zu sehr ist ihre reine Lehre gescheitert, und zu zerstörerisch ist auch ihre „sanfte“ Anpassung an die Welt nach 1989. Eine Ausnahme bildet zuweilen der Podcast „Wohlstand für Alle“ von Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt, in dem aus linker Perspektive wirtschaftliche Fragestellungen tagespolitischer und grundsätzlicher Natur behandelt werden.

Zu Beginn der Folge „Wie Funk junge Leute verblödet“ machen sie die typischen Funk-Überschriften lächerlich, die in etwa klängen wie „Wie es ist, sich in ein Flugzeug zu verlieben“. Damit offenbaren sie einen für junge Linke selten gewordenen marxistischen Materialismus, der die auf Permanenz gestellte woke Enttabuisierung der Gesellschaft eher als Wohlstandsverwahrlosung denn als notwendigen Schritt ins linke Utopia ansieht. Anschließend kommen sie zum inhaltlich ersten Teil des Videos und üben scharfe Kritik an den diversen Funk-Kanälen, die jungen Leuten praktische Alltagstipps zum Umgang mit Geld geben wollen – Rabattcodes, Miethöhe im Verhältnis zum Einkommen, und so weiter.

Die wesentliche Metakritik besteht darin, dass sich junge Leute als Folge dieser Kanäle mit den unterdrückerischen Verhältnissen des Kapitalismus abfänden. So weit, so rein die Lehre, die, wie wir wissen, unterkomplex und gefährlich ist. Aber dass sich die jungen Leute still mit etwas abfinden, ist korrekt. Ja, womit denn eigentlich, womöglich auch damit, dass sie bestimmte Orte in Großstädten des Nachts lieber nicht betreten? Dass sie sich mit Kritik an der hohen Steuerlast oder den Öffentlich-Rechtlichen zurückhalten müssen? Dass sie in Hausarbeiten gendern? Dass sie Forderungen nach Enteignung und globaler „klimagerechter“ Umverteilung über sich ergehen lassen?

Sicher, wem es die existenziellen Umstände nur wenig erlauben, der wird sich hier und da anpassen. Jedoch macht man sich immer schneller verdächtig. Hier sehen wir eine interessante Duplizität zum von Nymoen und Schmitt beschriebenen Phänomen, allerdings auf der anderen Seite des Spektrums. Vor allem Liberale bis Liberalkonservative sehen resignierend ein, dass ihre Kritik an der Masseneinwanderung noch immer nicht goutiert wird. Andererseits sind sie von deren Folgen in der Regel nicht betroffen und schweigen beruhigt. Als Schutzwall bauen sie Strohmänner zu rechten und linken „Kollektivisten“ auf, mit denen sie sich argumentativ also nicht mehr auseinandersetzen müssen, wobei sie gleichzeitig ihre Reinheit von politischem Schwefel zur Schau stellen können. Das haben wir auch in der Corona-Krise gesehen, bei der man die Lockdowns in diesem Milieu ablehnte, aber spätestens beim Impfen wieder voll auf Regierungskurs war und die zwischenzeitliche Querfront zwischen links und rechts gegen die Impfpflicht wunderbar als Hufeisen-Minuspol inszenieren konnte.

Im zweiten Teil ihrer Analyse stürzen sich die Podcaster auf den Kanal „highperformer.henning“, der einem größeren Publikum bekannt sein dürfte für seine Memes über „Highperformer“ und „Geringverdiener“, die mittlerweile zu den Grundbedürfnissen von Normies jeder politischen Couleur gehören. Hier kritisieren sie die gespielte Ironie, die durch die Memeisierung erzielt wird und sie gegen Kritik ihrer unterdrückerischen (wir würden sagen: materialistisch-platten) Einstellung immunisiert. Etwa: „Als Ultrakapitalist mit Ukraine-Konflikt Geld verdienen“. Paff, das Wort „Kapitalist“ ist gefallen, und auf einmal ist Funk neoliberal.


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Im Grunde müsste uns das gar nicht interessieren. Aber wer das Video schaut, erwartet jeden Moment eine Kulturkritik, weil Ansätze vorhanden sind. So weit gehen sie nicht – aber wofür gibt es die KRAUTZONE? Die bornierten, sich innerlich mit den Verhältnissen abfindenden Typen dieser Couleur sind dem geneigten KRAZ-Leser als Fechtersche „Plastikmenschen“ bekannt. Diese Figuren sind vor allem eins: langweilig und verlogen. Sie reden alle gleich und wissen in der Regel ziemlich gut, was gesellschaftlich abläuft – aber wollen es dann so genau auch lieber nicht wissen. Wo wir eine Kulturkritik der „Cucks“ auffahren, malen die materialistischen Linken den Neoliberalismus an die Wand, der die resignierende linke Jugend abholt – und auch die nicht ganz so linke mit JuLi-Zuschnitt. Ohnehin sind die Grenzen hier oft fließend, bisweilen auch je nach Lebensabschnitt: im Studium grün, und sobald man unverhofft ein bisschen mehr Geld verdient als der übrige Freundeskreis, vorsichtig auf FDP-Kurs. Man will nicht auffallen und mitmachen, solange die Patagonia-Weste nicht in der U-Bahn bespritzt und der ETF-Sparplan konstant befüllt wird.

Dieser politische Wischi-waschi-Mensch sichert sich nach beiden Seiten mit Strohmännern ab. Für den rechts der mittlerweile stark verschobenen Mitte stehenden Liberalala sind es einerseits die üblen Sozialisten und Russlandfreunde der AfD und andererseits die Kryptosozialisten links. Der Linksliberale indes erspäht die Nazis rechts und die ihn insgeheim etwas peinlich berührenden, weil an seine Ideale erinnernden Ultralinken links, die er also „zu radikal und nicht mehrheitsfähig“ nennt. Grundsätzliche Kritik an gesellschaftlichen Entwicklungen meidet er, weil es den Extremisten in die Hände spielen würde und er es sich in dieser Gesellschaft schon so bequem eingerichtet hat.

Auch wenn ich es ungern sage: Die beiden haben mit ihrer Analyse einen Nerv getroffen, dessen Zentrum sie allerdings anderswo verorten als wir. Wo wir die gesellschaftliche Werteerosion, den Umverteilungsstaat und das Geldsystem als dasjenige kritisieren, womit sich viel zu viele „abfinden“, tun dies die Marxisten mit dem Renditekalkül des Kapitals, das den Bedürfnissen der Masse zuwiderläuft. Gemeinsam ist diesen Analysen, dass eine Entpolitisierung stattfindet, die vor den gesellschaftlichen Problemen davonläuft und sich eifersüchtig in ihre Nische zurückzieht, wo einen niemand zur Verantwortung ziehen kann.

Wendolin Winkler

Winkler wohnt und arbeitet im Westen der Republik. Obwohl er gern mit dem Schein des Kulturkatholiken kokettiert, verehrt er Max Weber und kommentiert zweiwöchentlich mit puritanischem Eifer aktuelle ökonomische Entwicklungen.


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