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Hype und Vorurteil – Schlägt die „Künstliche Intelligenz“ die akademische Brillanz?

15. August 2023
in 3 min lesen

Von Arno Nühm

Zweifel an der Urheberschaft der Abschlussarbeiten und Dissertationen von vielen Politikern gibt es seit vielen Jahren (vielleicht schon immer?). Dass diese außerdem keine dicken akademischen Bretter bohren, wurde von Achim Schwarze bereits in den 80er-Jahren humoristisch dokumentiert. Schwarze war selbst jahrelang als Ghostwriter für Politiker tätig und weiß, dass das nachweisen der Urheberschaft quasi unmöglich ist, wenn der Autor nicht grobfahrlässig handelt. Softwaregestützte Plagiatsprüfungen sind nicht nur der Uni vorbehalten, sondern frei zugänglich. Professionelle Ghostwriting-Agenturen bieten ihren Service offen im Internet an. Trotzdem scheinen Ghostwriting-Skandale den Rappern in Deutschland vorbehalten zu sein. Jeder akademische Titelentzug in der Politik war bisher auf die Nichteinhaltung formaler Vorgaben zurückzuführen. Zumindest eklatante Fehler beim Ausweisen der Urheberschaft hätten doch bei der Prüfung durch die Hochschulen VOR der Titelvergabe auffallen müssen? Offensichtlich wollte niemand so genau hinschauen…

Glaubt man den ersten Hurra-Meldungen bezüglich der Leistungsfähigkeit der Künstlichen Intelligenz (KI), müssen sich Jungpolitiker heute keine Gedanken mehr über Haus- und Abschlussarbeiten machen. Kürzlich wurde vermeldet, dass die Anwaltsprüfung in New York von einem Computer bestanden wurde und sogar die Zulassung als Arzt ist theoretisch möglich. KI-Chatbots wie ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer) bieten eine scheinbar einfache Lösung für Studenten mit latenter Schreibblockade. Wieso nicht die Haus-, Bachelor-, oder Masterarbeit von der KI schreiben lassen?

Aber funktioniert das wirklich? Kann man wissenschaftliche Texte auf Knopfdruck generieren? Ganz so einfach ist es dann doch nicht, wie der Selbstversuch zeigt. Schüchtern bat ich die KI um eine Zusammenfassung der Handlung von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“. Sofort entstand, wie durch Geisterhand ein durchaus passabler Text auf dem Bildschirm. Bei genauerer Betrachtung ergaben sich jedoch einige Ungereimtheiten, um es positiv auszudrücken.

So behauptete die KI, dass die Rolle der Mieze selbst „Babylon Berlin“ sei, anstatt die Sündhaftigkeit der gesamten Stadt zuzuschreiben. In einem anderen Fallbeispiel sollte die KI die Summe der Flugzeugträger von NATO-Staaten nennen und scheiterte an der Addition der zuvor selbsterstellten Liste. Zumindest entschuldige sich die KI höflichst, als ich sie auf den Rechenfehler hinwies. Die ausgewiesenen Quellen waren zur Hälfte imaginär und von einer inhaltlichen Prüfung der Literatur habe ich frustriert abgesehen.


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Zwar kann die KI keine komplette Arbeit auf Knopfdruck erzeugen, aber durchaus brauchbare Versatzstücke, die sich mit sehr viel Mühe zusammenpuzzeln ließen. Die Herkunft der Gedanken konnte aber vielfach nicht belegt werden, wodurch aus wissenschaftlicher Sichtweise ein Plagiat entsteht. Wenn der Student aber die Inhalte kritisch prüft und belegt, wie soll dann der Dozenten herausfinden, ob die vorliegende Hausarbeit wirklich von dem einem Menschen geschrieben wurde oder doch von der KI?

Der Nachweis der Urheberschaft durch die KI ist viel komplizierter als die Suche nach Plagiaten, denn die KI schreibt ja nicht ab. Die Texte sind also formal keine Plagiate, solange die inhaltlichen Aussagen mit korrekten Quellen belegt werden. Selbst speziell für diesen Zweck entwickelte KI-Detektoren können kaum helfen. Sie basieren auf einem stochastischen Modell und geben nur Schätzungen ab, die im Praxistest vielfach falsch waren. So wurden mehrfach eigene Texte der metaphorischen KI-Feder zugeschrieben – ich bin nicht sicher, ob ich das als Kompliment auffassen darf. Des Betrugs überführt wird so jedenfalls niemand, denn im Gegensatz zur Plagiatsprüfung kann keine Gewissheit erlangt werden. Es bleibt beim Verdachtsmoment.

Darum muss sich die Art und Weise, wie Haus- und Abschlussarbeiten an der Hochschule geschrieben werden, gründlich ändern. Die KI bedroht in erster Linie den Durchschnitt, denn sie wurde mit den Gedanken aller Nutzer trainiert. Entweder du bist besser als der Durchschnitt oder bald durch eine Software ersetzt. Die KI wird aber niemals einen hochkreativen und feingliedrigen Forschungsprozess umsetzen können. Es muss deshalb Schluss sein mit deskriptiven Literaturarbeiten, ohne eigenen Forschungsansatz. Es braucht problemorientierte bzw. anwendungsorientierte Aufgabenstellungen. Die KI kann zwar keine empirischen Daten erheben, aber durchaus hilfreich bei der Auswertung sein. Die Einführung des grafikfähigen Taschenrechners in der Oberstufe sorgte auch nicht dafür, dass der Mathe-Unterricht ausfiel, sondern dass mehr Wert auf Analyse und Interpretation der Ergebnisse gelegt wurde.

Die Hochschulen sollten daher die neue Technik als Chance begreifen. Sinnvolle Aufgabenstellungen können zu echten Forschungsergebnissen und weltbewegenden Erkenntnissen führen. Es ist unermesslich, wie viel Potenzial aktuell verschenkt wird, indem jedes Jahr Hunderttausende von anspruchslose Bachelor- und Masterarbeiten eingereicht und vergessen werden. Stattdessen könnten Dozenten ihre Schützlinge in die eigene Forschung einbinden. Natürlich gibt es auch an der Hochschule nicht nur Hochbegabte. Die Hochschulen müssen sich also entscheiden, ob sie auch die Minderbegabten mitnehmen, indem sie enger betreut werden oder sich für eine kleine, aber starke Elite entscheiden. Beide Wege bieten große Chancen für die Menschheit und sind sogar in Kombination denkbar. Breitenforschung könnte den stetigen Ausbau bestehenden Wissens fokussieren und sich mit der Verbesserung der Datenbasis befassen, während Spitzenforschung das Schließen neuer Forschungslücken zum Ziel hat. Eine sinnvolle Arbeitsteilung in der Wissenschaft könnte auch den Wirtschaftsstandort Deutschland neu beflügeln. Es wird höchste Zeit!

Der Autor arbeitet selbst als Ghostwriter und verfolgt die Debatte rund um KI und ihre Auswirkungen auf das akademische Arbeiten mit Interesse.

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