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Bildquelle: Hajotthu, CC BY 3.0, Wikicommons

Der Oberharz stirbt – Wie man die Natur nicht schützen sollte

18. September 2021
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„Weißt du, so was wäre in der DDR nicht denkbar gewesen“, schnauft er. „Eine absolute Katastrophe!“

Wir fahren Richtung Wernigerode, ein kleines beschauliches Städtchen am Rande des Harzes. Von der Ebene des nördlichen Harzvorlandes aus, die zwischen unserem Heimatdorf und Wernigerode liegt, haben wir eine wunderbare Sicht auf den Brocken, den höchsten Berg des Mittelgebirges, sowie auf einen Teil des Nadelwaldes, welcher den exponierten Berg zu allen Seiten umgibt. Oder besser gesagt: umgab.

Jedes Mal, wenn mein Vater diese Strecke fährt, scheint eine Mischung aus Wut und Entsetzen seinen Körper zu durchströmen.

„Schau dir diese kahlen Stellen an. Alles braun, alles tot!“

Ich antworte nicht. Hat er sich einmal in Rage geredet, ist dies nicht vonnöten.

„Ich war selbst Forstarbeiter, ich habe jahrelang dort oben am Brocken gearbeitet. Wenn ein Baum einmal krank war, haben wir uns drum gekümmert. Wenn wir den Käfer entdeckt hatten, so haben wir den Baum gefällt, die Rinde abgeschält und ihn dann mit Lockmitteln, Pheromonen oder so ‘nem Kram, eingesprüht, die restlichen Käfer damit angelockt und sie dann allesamt vergiftet. Dann war wieder erst mal Ruhe.“

Er redet vom Fichten-Borkenkäfer. Dieses liebe Tier nistet sich in die Rinde einer Fichte ein und untergräbt somit im wahrsten Sinne des Wortes die Nahrungs- und Wasseraufnahme des Wirtsbaumes, so dass dieser abstirbt. Für einen gesunden Mischwald, wie er ursprünglich im Harz vorzufinden war – der Name „Harz“ kommt von den für Bergwälder typischen Harthölzern wie der Rotbuche, die dort standen –, ist dies kein großartiges Problem. Im Oberharz jedoch, wo seit dem 18. Jahrhundert eine Monokultur von Fichten angepflanzt wurde …

„Man muss sich eben drum kümmern, wenn man nur Fichten hat. Man kann sich die nicht selbst überlassen. Aber diese Idioten, diese Wessis …“

Nach dem Untergang der DDR wurden Teile des Oberharzes unter Naturschutz gestellt, 2006 wurde der länderübergreifende „Nationalpark Harz“ gegründet. Die Konsequenz daraus ist, dass „Wirtschaften“, das heißt auch das Fällen kranker Bäume, in diesem Gebiet vermieden werden soll beziehungsweise sogar ganz unterbunden wird. Beschlossen wurde diese Sache „von oben“; nach der Wende waren das allzu häufig (inkompetente) Westdeutsche, die in den Osten versetzt wurden.

Diese setzten sich dann über die angestammten „Ossis“ samt ihren Erfahrungen hinweg, weswegen die meisten „Wessis“ bei vielen Ostdeutschen, die in der Forstwirtschaft tätig sind oder waren, bis heute einen besonders schlechten Ruf haben. Auch ich habe diese Ressentiments quasi mit der Muttermilch aufgesogen.

Der Wald im Harz war schon in den 2000ern durch sauren Regen beschädigt worden, jedoch blieb dies in aushaltbarem Maße. Den entscheidenden Schlag brachten die Borkenkäfer, die die Fichten im Harz seit circa 15 Jahren terrorisieren.

„Als dann klar wurde, dass es im Wald den Käfer gab, weißt du, was die da gesagt haben?!“

Gemeint ist vor allem die Regierung in Magdeburg. Besonders unbeliebt, da Hauptvertreter der Nationalpark-Laissez-faire-Strategie, war die damalige Umweltministerin Claudia Dalbert – natürlich von den Grünen. Alle Ostdeutschen, die ich kenne und die auf irgendeine Art und Weise etwas mit Jagd, Forstwirtschaft oder Ähnlichem zu tun haben – und sich damit praktisch mit ihrer Umwelt und der Natur auseinandersetzen müssen –, verachten die Grünen als realitätsferne Nichtskönner und Dummschwätzer.

„Sie haben gemeint: ‚Ja, lasst den Käfer doch machen. Der frisst sich schon tot.‘ Unglaublich. Natürlich frisst der sich tot, wenn der letzte Baum verreckt ist! Das dauert ein Weilchen. Und dann glaubten sie noch, der Käfer würde wohl an der Nationalparkgrenze haltmachen?! Jetzt ist es zu spät …“

Was er damit sagen will: Was bringt es uns, wenn wir die Gebiete außerhalb des Parks bewirtschaften können, wenn das Ausmaß der Katastrophe innerhalb schon so groß ist, dass eine Kontrolle kaum mehr möglich ist, wenn sie die Grenze erreicht? Dem Käfer ist es egal, wo der Nationalpark ist und wo nicht. Zusätzlich haben die trockenen Sommer seit 2018 die Bäume noch weiter geschwächt. Und so sind weite Teile des Oberharzes voller toter Fichten.

Das obige Bild, aufgenommen im vergangenen Sommer, zeigt das Ausmaß des Fichtensterbens. Und das wird immer schlimmer. Neulich berichteten Freunde, wie sie auf einer Brockenwanderung hören konnten, wie die toten Bäume im Wind gegeneinander klappern.

An sich sind Nationalparks keine schlechte Sache – in mir schlägt, was die Natur angeht, eben das deutsche Herz der Romantik. Eine Wanderung im Wald ist eine gute Methode, um im Lärm der Moderne nicht vollständig taub zu werden, weswegen unsere Wälder unbedingt zu schützen sind. Was im Harz jedoch geschehen ist, macht sprachlos. Wie konnte man so realitätsfern sein und eine Monokultur quasi sich selbst überlassen? Eine absolute Katastrophe! Wer weiß, wie der Oberharz in ein paar Jahren aussehen wird? Der Hexenwald, den Goethe in seinem „Faust“ beschrieben hat, ist da wohl nur noch eine kahle Landschaft. Bei unserem Glück reicht da, nach den trockenen Sommern, auch schon ein weggeworfener Zigarettenstummel, der die Sache etwas beschleunigt …

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

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