Portugal liegt, mit seiner Lage im äußersten Westen Europas, alles andere als häufig im Fokus der tagespolitischen Meldungen in Deutschland. Mit den Parlamentswahlen am Sonntag änderte sich das: Dort konnte nämlich die rechte Partei Chega (CH, deutsch: „Es reicht!“ oder „Genug!“) massiv in der Wählergunst zulegen: Hatte sie bei den Wahlen von 2019 noch gerade mal ein Prozent der Stimmen hinter sich, waren es 2022 bereits sieben Prozent; seit dem 10. März 2024 sind es 18 Prozent – sie konnte ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln, womit die Partei die drittstärkste Kraft im Parlament ist. Der Verlierer des Abends ist die bisherige regierende Partido Socialista (PS), eine Schwesterpartei der deutschen SPD; sie musste einen Verlust von über zwölf Prozentpunkten hinnehmen. Damit ist sie bei knapp 29 Prozent und damit auf ungefähr gleicher Höhe wie die Aliança Democrática (AD), die etwas mehr Stimmen hinter sich vereinen konnte, allerdings auch etwa einen Prozentpunkt einbüßen musste – dennoch, sie wird voraussichtlich den nächsten Regierungschef stellen.
Die AD ist ein politisches Bündnis, das im modernen Parteienspektrum „Mitte-rechts“ zu verorten ist. Damit ist sie in etwa mit den deutschen Unionsparteien vergleichbar – was natürlich nicht als Kompliment gemeint ist. Eine Art „Große Koalition“, wie sie in Deutschland üblich ist und unter Merkel bis zur Erschöpfung praktiziert wurde, gilt jedoch als ausgeschlossen, und da keine der großen Parteien eine absolute Mehrheit erringen konnte, wird es wohl auf eine Minderheitsregierung der AD hinauslaufen – was vielen als Vorbote für instabile Zeiten in Portugal gilt.
Aber warum ist der Aufstieg der Chega-Partei so besonders? Nun, das liegt vor allem daran, dass Portugal ein Land war, in dem es keine ernst zu nehmende rechte politische Kraft gab. Und damit meine ich nicht „Mitte-rechts“ – diese Parteien gab beziehungsweise gibt es zuhauf in Portugal, und sie sammeln sich in der bereits erwähnten AD –, sondern eine mit der AfD vergleichbare, eine „rechtspopulistische“, „rechtsradikale“ Partei, die das Mainstreammedienkonglomerat ordentlich auf die Palme zu bringen weiß. Mit der CH wird sich das wohl ändern – ihr Aufstieg scheint sicher zu sein, und sollte die nächste Regierung scheitern, wird sie ihr Ergebnis erneut verbessern. Sie wird damit das bisherige Zweiparteiensystem aufbrechen und die bisherige „Ordnung“ in Portugal entscheidend ändern.
Es wird zudem einigen Lesern bereits aufgefallen sein, dass die diesjährige Wahl nicht im eigentlich vorgesehenen Vierjahresturnus stattfand, sondern bereits nach zwei Jahren. Grund hierfür ist der Rücktritt des bisherigen Premierministers António Luís Santos da Costa von der PS, der sich schweren Korruptionsvorwürfen ausgesetzt sieht. Er steht damit stellvertretend für den Hauptgrund des Aufstiegs der CH: Die beiden bis jetzt sich an der Macht abwechselnden Parteien sind ein Symbol für Korruption, Stillstand und Misswirtschaft – das Thema Migration hingegen spielt in Portugal nur eine sehr geringe Rolle. Die Unzufriedenheit mit der momentanen politischen Lage ist mittlerweile so hoch, dass die CH einen nicht geringen Teil der Nichtwähler mobilisieren konnte: Die Wahlbeteiligung stieg von 51 auf 66 Prozent.
Und wer steht an der Spitze der neuen Rechtspartei? André Ventura ist Jurist, Akademiker und Professor an der Universität Lissabon. Ursprünglich Mitglied der christdemokratischen Partido Social Democrata (PSD), der größten Partei im Wahlbündnis AD, gründete er 2019 die Chega-Partei. Er fährt mit ihr einen stabilen rechten Kurs, laut Parteimanifest setzt sie sich für die Wahrung der portugiesischen Traditionen und Identität ein und positioniert sich gegen Abtreibung, kulturellen Marxismus, Gendertheorie und hohe, progressive Steuern. Laut dem „Global Project against Hate and Extremism (GPAHE)“ ist die CH eine „Antieinwanderungs-, Antifrauen-, Anti-LGBT-, Anti-Roma [gemeint sind Zigeuner], antimuslimische und verschwörerische [Anmerkung: im Sinne von verschwörungstheoriegläubige] Partei“ – kurzum: Die CH und ihr Vorsitzender scheinen sehr basiert zu sein. Man wirft der CH ebenfalls vor, Anhänger der 1974 untergegangenen, autoritär-reaktionären Salazar-Diktatur in den Reihen zu haben. Wie sich die Partei in Zukunft schlagen wird, bleibt selbstverständlich offen. Jedoch lässt sich feststellen, dass sie auf gutem Kurs ist, sowohl hinsichtlich ihrer Weltanschauung als auch ihrer Gunst beim Wähler – hoffen wir deshalb auf das Beste für Portugal.