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Russland und Katar – Westliche Moralpfeiler statt ökonomischer Pragmatismus

28. Oktober 2022
in 3 min lesen

Nord Stream 2 zu öffnen wäre der Todesstoß, die moralische Kapitulation des Westens. Was, wenn Putin lügt und die Pipeline gar nicht funktioniert? Und selbst wenn doch, wir würden uns abhängig machen – aber Obacht, mit dem Merkel-Erdoğan-Abkommen hat das alles nichts zu tun! So oder so ähnlich lesen wir kürzlich in aufgeklärten Gazetten, die sich in diesen Tagen redlich darum bemühen, den Russen von der Tür zu halten.

Einen ähnlichen Sauberkeitsfimmel in Fragen der wirtschaftlichen Partnerschaft vernimmt man – Achtung, harter Themenwechsel – seit einigen Monaten verstärkt in der Debatte um Katar, den diesjährigen Ausrichter der Fußball-WM. Besonders in den Fokus geriet dabei zuletzt der Sponsoringvertrag des FC Bayern mit Qatar Airways, im Zuge dessen den Bayern pro Jahr mehrere Millionen zufallen. Zwar ist man im Zuge des aus Sicht der linksgrünen Öffentlichkeit „geschundenen“ Images der Bayern mit dem neuen Vorstandsboss Oliver Kahn um einen Kuschelkurs bemüht.

Bezeichnend für diese Kluft zwischen ökonomischem Pragmatismus und verantwortungsethisch daherkommender Symbolpolitik wurde jedenfalls die Jahreshauptversammlung des FC Bayern Mitte Oktober. Dort gab man einem Aktivisten namens Michael Ott das Podium, der den erwähnten Sponsoringvertrag wiederholt kritisierte und von Ehrenpräsident Hoeneß nach seiner Rede mit heiligem Zorn angeschnaubt wurde. Dies sei der Fußballclub Bayern München und nicht die Generalversammlung von Amnesty International. Hoeneß war im Anschluss der Buhmann, der rückständige Patriarch, Ott der gefeierte Held in den Feuilletons und sich wie üblich füllenden Twitter-Spalten. Niemand fragt im Feierrausch der eigenen moralischen Überlegenheit, ob die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Qatar Airways zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in Katar beitragen würde oder gar das Gegenteil bewirken könnte.

Zudem wird an den neuerlichen Canceling-Wünschen in Richtung Russland und Katar deutlich, dass kontinentaler Freihandel und sein ideeller Rückhalt auf bestimmten politischen Vorbedingungen beruhen. Im 19. Jahrhundert etwa gründete er auf England als Hegemon, der die internationale Ordnung notfalls mit Gewalt sanktionieren konnte. Für wirtschaftlich rückständige Länder, wie auch Deutschland bis Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts, lohnte sich der Freihandel gerade so lange durch günstige Rohstoffimporte aus England, bis sich die Industrien etwa auf demselben Stand befanden. Anschließend führte man Schutzzölle für die heimischen Industrien ein, als man Rohstoffe selbst produzieren konnte, so dass auch die heimischen Produzenten diese den englischen Rohstoffimporten letztendlich auch vorzogen. Diesen Übergang vollzogen nach und nach alle bedeutenden Industrienationen gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Es darf zwar nicht ausgeblendet werden, dass die Pax Americana und ihre Verletzlichkeit einem ähnlichen Muster folgt, wie es prominent der Hegemon USA unter Trump mit Schutzzöllen für heimische Industrien vorexerzierte. Man sollte den Schritt heraus aus der Pax Britannica in die nationalen Autarkien allerdings als politische Gesetzmäßigkeit ansehen, da Trumps Zollpolitik eben nicht nach erfolgtem wirtschaftlichem Aufschluss zum Hegemonen hin, sondern als Reaktion auf ein erst kürzlich in den Freihandel eingetretenes und von seinen emporschießenden Wachstumsraten beflügeltes Schwellenland erfolgte.

Ebenso sind Handelskonflikte eher politischer denn wirtschaftlicher Natur und werden vielfach auch dann geführt, wenn sie ökonomisch irrational sind. Nach wie vor gilt allerdings: Autarkie – also der Besitz und die Produktion eines Landes von all dem, was benötigt wird – kann mit Ausnahme des sich selbst tragenden Imperiums nur mit Zöllen erreicht werden. Politisch riskant wird es, wenn eine politische Allianz nicht autark ist, aber aus einem politethischen Imperativ heraus Zölle für die diesseitige Mangelware erhebt. Ende Juni setzte das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, das ökonomisch als eher ordoliberal gilt, auf der Suche des deutschen politökonomischen Mainstreams nach der geeigneten Sanktion den Ton mit der Empfehlung eines Zolls auf russische Energielieferungen.



Begründet wurde diese Maßnahme unter anderem damit, dass ein Importzoll zwar Russlands Wirtschaft treffe, ohne aber russische Ölimporte grundsätzlich zu gefährden. Die Zolleinnahmen sollen „soziale Härten abfedern“ und über den Anreiz zur Energieeinsparung zum Erreichen der Klimaziele beitragen. Hier zeigen sich, abgesehen von der immer hanebücheneren volkswirtschaftlichen Sophistik, zwei Dinge. Erstens hat man längst akzeptiert, dass es „unser Krieg“ ist. Zweitens wähnt sich die G7 im Glauben, Sanktionen wie diese als Erzwingungsstrategie gegenüber Russland einzusetzen, und lässt dabei den rund drei Milliarden Köpfe starken, wachsenden Wirtschaftsraum der BRICS-Staaten außer Acht, die ihr Verhältnis zu Russland im Zuge eines drohenden neuen Stellvertreterkrieges höchstwahrscheinlich neu überdenken werden.

Was Katar angeht, so stößt man auf dieselbe Frage nach vermeintlicher Mitverantwortung an den Handlungen autoritärer Staaten bei wirtschaftlicher Kooperation, allerdings um die Komponente des existenziellen Eigeninteresses bereinigt, das bei der Russlandfrage vor allem im Kontext der Energieversorgung in die Debatte hineinspielt. Mitte Oktober forderten unter anderem die Grünen die FIFA zur Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Gastarbeiter in Katar auf, die sich im Anschluss daran „gesprächsbereit“ zeigte. Zwar haben wir es hier nicht mit klassischen Sanktionen zu tun, wohl aber mit Auflagen und indirekten Strafen. Gleichzeitig formiert sich um die Schwellenländer mit Russland und China als Hegemonen eine neue Freihandelszone, die sich 2018 – natürlich auf Trump gemünzt – sogar anschickte, den Westen zur Durchsetzung der Freihandelsgrundsätze zu ermahnen. Die Formierung und Entwicklung dieser Zone könnten nach ähnlichem Muster wie die einstige Pax Britannica verlaufen. Die Sanktionsverhältnisse scheinen jedenfalls den Scheideweg zwischen den zukünftigen politischen Allianzen anzuzeigen: der auch nach innen zunehmend durch Schutzzölle fragmentierte Region der alten Pax Americana sowie der sino-russisch hegemonial angeführten Schwellenlandzone, in der man sich nicht gegenseitig in die Gesellschaftspolitik hineinredet, sondern um Frieden und wirtschaftliche Prosperität bemüht ist.

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