Ich habe keine guten Erinnerungen an die verkrampften Weihnachten mit meiner Familie in Berlin vor meiner fluchtartigen Rückkehr nach Taipei im Mai 1999, beschleunigt durch den rot-grünen Wahlsieg im September 1998.
Deshalb waren auch die letzten des 20. Jahrhunderts, nur mit meiner ersten taiwanesischen Freundin in unverkrampfter Atmosphäre verbracht, die schönsten meines Lebens.
Hin, her und wieder zurück
Ich hatte damals nicht mal eine Küche, aber dank eines Tischgrills trotzdem etwas Leckeres gezaubert. Nach einer Flasche Wein ging es dann früh ins Bett. Damals war der 25. Dezember noch ein Feiertag in Taiwan, jedoch nicht weil Generalissimus Chiang Kai-shek bereits 1930 zum Protestantismus übergetreten war, und schon gar nicht wegen der heutzutage 4% Christen im Lande.
Am 1. Weihnachtsfeiertag 1947, als sich die Niederlage im Bürgerkrieg der chinesischen Regierung gegen Maos Kommunisten schon abzeichnete, wurde in der damaligen Hauptstadt Nanking eine neue Verfassung für die Republik China (ROC) beschlossen. Da die 1949 nach Formosa geflüchtete Nationalregierung unter Chiang sich als dessen legitime Vertreterin betrachtete, beging man in Erwartung einer baldigen Rückeroberung des Festlandes den 25.12. weiterhin als Verfassungstag.
Mittlerweile bin ich nach über drei langen Jahren in Spanien, dem Land meiner Kindheit und Jugend, zum dritten Mal in Taipei gelandet, meiner zweiten Heimat. Die ersten Weihnachten in Asien seit 2017 weckten zwar kaum festliche Gefühle, boten dafür aber umso mehr Abwechslung, inklusive einer von meiner Katze Leni neben der Waschmaschine erlegten großen Kakerlake, die hier auch in der kälteren Jahreszeit anzutreffen sind.
Seltsamerweise war mir früher nie aufgefallen, dass der 21. Dezember, also die Wintersonnenwende, hier mit Sicherheit mehr gefeiert wird als im ehemals und mittlerweile fast wieder heidnischen Westeuropa. Das mag auch daran liegen, dass ich jetzt direkt über einem kleinen, umbauten Tempel wohne. Dadurch gelangten die Weihrauschschwaden und die aufgewirbelte Asche des für die Ahnen verbrannten Geistergeldes schnell in meine Bude.
Jeder auf seine Art
Direkt vor meiner Haustür hatte zumal ein zum mobilen Puppentheater umgebauter, mit leistungsstarken Lautsprechern versehener Lieferwagen geparkt, der stundenlang sein Programm im südchinesischen Inseldialekt zum Besten gab. Heiligabend verpasste ich den einzigen deutschsprachigen Gottesdienst des Jahres. Obwohl ich kein sonderlich gläubiger Mensch bin, hat mich das ein wenig frustriert.
Ich begann in einem zufällig entdeckten Zweite-Hand-Laden zu stöbern, wo zwei Indonesierinnen zumal kleine Kinder betreuten. Da keine von den beiden ein Kopftuch trug, fragte ich eine von ihnen, ob sie Christin sei. Sie bekreuzigte sich sofort, beteuerte ihren Glauben an Jesus Christus und identifizierte sich mit ernstem Gesichtsausdruck als Katholikin, die am nächsten Tag einen Gottesdienst in ihrer Muttersprache besuchen würde.
Nachdem ich den ersten „Feiertag“ hauptsächlich mit Putzen verbracht hatte, stand am Abend das Rendezvous mit einer Einheimischen auf dem Programm. Eigentlich wollten wir nach einem einfachen chinesischen Mahl in einem irischen Pub Musik vom Balkan lauschen. Doch ich hatte nicht reserviert und die Dame wollte nicht stehen.
So sind wir kurzerhand in einem Jazzclub gelandet. In dem gut besuchten Laden fiel mir ein Ehepaar auf, das sich eine Tasse Tee, eine Flasche Sekt und ein paar Erdnüsse bestellte. Tja, Weihnachten feiert jeder auf seine Weise…