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Wie der Sozialismus in ostdeutschen Städten wütete

4. Juni 2021
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„Magdeburg wurde im Laufe der Geschichte dreimal zerstört: Das erste Mal durch die Truppen Tillys im Dreißigjährigen Kriege, dann durch die alliierten Bomber 1945 und schließlich durch die sozialistische Stadtplanung in der DDR“ – diesen Merkspruch kenne ich noch aus meiner Jugendzeit; wenn ich mich recht entsinne, habe ich ihn der Schule (!) beim Behandeln des Dreißigjährigen Krieges im Geschichtsunterricht gelernt.

Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass dieser Satz an den heutigen Schulen in Magdeburg, der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts, noch eine großartige Rolle spielt.

Jedenfalls erwähnt dieser Satz zwei historische Ereignisse, die jede Stadt im Gebiet der untergegangenen DDR mehr oder minder hatte erdulden müssen: Zuerst die Zerstörung ihrer Jahrhunderte alten Altstädte durch alliierte, meist britische (Gott strafe England!) Bomberflotten im Zuge der „Area Bombing Directive“, und dann das Nachtreten seitens der SED-Führung in Form der Idee, die ausgebombten Ruinen in sozialistische Vorzeigestädte zu verwandeln.

Nach dem Krieg sollten die Städte im sprichwörtlichen „Neuen Deutschland“ den kommunistischen Idealen angepasst werden; Orte sollten entstehen, in denen die Gleichheit der Menschen und die Erhebung der Unterdrückten sichtbar ist – und dazu musste eben der Schmutz der Reaktion, des Alten Deutschlands, ausgekehrt werden. Doch wie gingen die Sozialisten bei dem Versuch, dieses Ziel zu erreichen, vor, und zu welchem Ergebnis führte er?

Bleiben wir beim Beispiel Magdeburg: Nachdem am 16. Januar 1945 ca. 90 % der Altstadt von den Engländern (Er strafe es!) eingeäschert wurde, machten sich die Sozialisten in den nachfolgenden Jahren ans Werk, einen Großteil der letzten Reste historischer Gebäude zu entfernen.

Zwar wurden Rathaus, Dom und das Kloster Unser Lieben Frauen wieder hergerichtet, jedoch ist die Bilanz der trotz ihrer Einschätzung als wiederaufbaufähig abgerissenen Bauten ernüchternd: allein acht Kirchen wurden in Magdeburg dem Erdboden gleichgemacht – die zweitälteste der Stadt, die Ulrichskirche, wurde auf direkten Befehl Walter Ulbrichts gesprengt.

Statt Bauten des Barocks säumten nun architektonische Monstren der sogenannten „Nationalen Tradition“ – stilistische Nachwehen des „Sozialistischen Klassizismus“ der Stalinzeit – den Breiten Weg, der die wichtigste Verkehrsstraße des Vorkriegs-Magdeburgs war und zu allem Übel nach Stalins Tod in „Karl-Marx-Straße“ umbenannt wurde; die restliche Innenstadt wurde mit den bekannten, eintönigen Plattenbauten vollgekleistert.

Die DDR verfolgte in den ersten Jahren ihres Bestehens das Konzept der „Sozialistischen Stadt“ für die Neugestaltung ihrer Städte. „Bürgerliche“ und „reaktionäre“ Stadtbilder, die Segregation von „armen“ und „reichen“ Stadtvierteln sowie private Wohnungen an sich sollten überwunden bzw. abgeschafft werden.

Waren in den 50er Jahren noch sogenannte „Arbeiterpaläste“ – riesige, massige Protzbauten des Sozialismus – üblich, wurden diese, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen, mehr und mehr durch einheitliche, triste Plattenbauten verdrängt. In der Nähe dieser grauen Käfige entstanden Grünflächen, weiterhin wurden in den Zentren große Prachtstraßen und weite Plätze für Aufmärsche oder Paraden errichtet – ein gutes Beispiel hierfür ist die heutige Karl-Marx-Allee (bei ihrer Errichtung hieß sie noch „Stalinallee“) in Berlin.

Um die „Sieghaftigkeit des Sozialismus“ zu demonstrieren, nahmen die Sozialisten Großbauprojekte wie den Berliner Fernsehturm in Angriff. Weiterhin ließen die neuen Stadtzentren selten ein „Kulturzentrum“ oder „Kulturhaus“ missen, in denen politische Veranstaltungen aller Art stattfanden. Historische Bauten störten bei der Errichtung der modernen Stadt nur, entweder wurden sie, wie die oben erwähnte Magdeburger Ulrichskirche, gezielt zerstört, oder man ließ sie bewusst verrotten; dieser Methode fiel nicht zuletzt viel Fachwerk zum Opfer.

Wir alle haben ungefähr die typischen DDR-Plattenbauten vor Augen, doch kaum jemand aus den jüngeren Generationen kennt noch den Zustand historischer Bauten zu Ostblockzeiten. Hier deshalb eines der traurigsten Beispiele: Bis zu ihrer weitgehenden Zerstörung im Jahre 1945, galt die Altstadt Halberstadts als eine der schönsten mittelalterlichen Städte der Harzregion; 40 Jahre später sahen die beklagenswerten Reste der Fachwerkbauten so aus.

Halberstadt, 1985. Bildquelle: Hajotthu, CC BY-SA 3.0, Wikicommons

Halberstadt, 1985. Bildquelle: Hajotthu, CC BY-SA 3.0, Wikicommons

Die thüringische Stadt Suhl traf es besonders schwer: Durch den Krieg weitgehend verschont, musste die historische Altstadt in den 1970er Jahren sozialistischen Neubauten weichen.

In den Großstädten wurden jedoch manche Gebäude, deren Zerstörung einen Prestigeverlust für das SED-Regime bedeutet hätten, wieder rekonstruiert, so z. B. die Semperoper in Dresden.

Ein weiterer Sonderfall stellt Erfurt dar: Sie war neben Halle an der Saale die einzige Großstadt der DDR, die durch die Flächenbombardements der Alliierten (Der Herr weiß, was er zu tun hat!) nicht großflächig zerbombt wurde, weshalb sie auch nicht im Fokus der sozialistischen Städteplanung lag, weshalb sich das Stadtzentrum, mehr noch als in Halle, bis heute seine Pracht bewahrt hat.

Neben der Umgestaltung vorhandener Städte legte man auch Wert auf die Errichtung von Planstädten, entweder als Satellitenstadt in der Nähe von Großstädten – siehe Marzahn und Hellersdorf im Falle Berlins oder Halle-Neustadt westlich von Halle an der Saale – oder als Erweiterung vorhandener Kleinstädte.

Beispiele hierfür sind das als „Stalinstadt“ gegründete Eisenhüttenstadt an der polnischen Grenze – welches in der Nähe der kleinen Stadt Fürstenberg/Oder aus dem Nichts zur Versorgung der Arbeiter der neuen Stahlwerke mit Wohnraum hochgezogen wurde –, oder die sächsischen Städte Hoyerswerda und Weißwasser, die im Zuge des Braunkohleabbaus und der dadurch wachsenden Bevölkerung mit – ihr ahnt es – Plattenbauten erweitert wurden.

Die Bilanz, die nach dem 40-jährigen Wüten des Sozialismus nach sowjetischem Vorbild gezogen werden muss, stimmt einen pessimistisch: Verlorenes Kulturgut, verfallene Häuser, hässliche Wohnblöcke. Der Umgang damit nach der Wende war ambivalent – einerseits wurde manches historisches Stadtzentrum wieder rekonstruiert, wie die barocke Altstadt Dresdens samt Frauenkirche, anderseits ersetzte man viele sozialistische Gebäude einfach durch andere, hässliche moderne Bauten.

Als besondere Schmach empfinde ich aber die bewusste Erhaltung mancher seelenloser Massivbauten aus DDR-Zeiten – ich nenne da nur das unter Denkmalschutz stehende sozialistische Stadtzentrum von Chemnitz. Vorbildlicher gingen da unsere östlichen Nachbarn vor: Die Polen z. B. rekonstruierten Großstädte wie Warschau, Krakau oder Danzig nach Vorbildern aus ihrer jeweiligen Blütezeit, so besitzt die polnische Hauptstadt wieder eine barocke Altstadt.

Sollte unser Lager jemals wieder politischen Einfluss und Macht in Deutschland gewinnen, so plädiere ich dafür, diese sozialistischen Verbrechen gegen die Ästhetik weitgehend dem Erdboden gleichzumachen – höchstens vereinzelte Beispiele können als Mahnung gegen die bewusste Hässlichkeit stehen bleiben.

Diese Forderung gilt im Übrigen nicht nur für den Osten – auch im Westen war man sich offenbar nicht zu schade, die Altstädte mit irgendwelchen grauen Klötzen vollzustopfen. So will ich zum Abschluss den englischen (ja, nicht alles an diesem Land ist schlecht…) Philosophen Roger Scruton zitieren: „Beauty matters“, sprach er, und so wollen wir diesen beiden Worten auf ewig Gehorsam leisten, sollten wir einmal die Gelegenheit haben, der Welt unseren Stempel aufzudrücken!

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

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