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Stauffenberg

21. Juli 2022
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Wie die meisten meiner Leser wahrscheinlich mitbekommen haben, jährte sich gestern, am 20. Juli, das Attentat auf Adolf Hitler in der Wolfsschanze, welches von einer Gruppe rund um den Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg geplant und ausgeführt wurde – erfolglos, wie wir alle wissen. Die gebastelte Bombe detonierte zwar, tötete Hitler jedoch nicht, da die Wucht der Explosion durch einen massiven Eichentisch abgefangen wurde. Noch am selben Tag wurden Stauffenberg und viele seiner Mitverschwörer verhaftet und hingerichtet.

Das Gedenken an Stauffenberg war schon immer zwiespältig: So sah man ihn in der Nachkriegszeit entweder als Verräter am deutschen Volke – inoffiziell zumindest – oder als Helden, der versuchte, den Tyrannen zu stürzen. Heute ist die Dichotomie eine andere: Entweder er wird von Konservativen, Liberalen und Establishment-Linken bewusst in die Tradition der parlamentarischen Demokratie gestellt (wie etwa von Scholz und Merz heute auf Twitter), indem man sein Attentat auf Hitler mit dem Schutz der Demokratie vor Staatsfeinden gleichstellt (das wird zwar nicht explizit gesagt, ist aber sehr wohl so gemeint), oder die Linken (inklusive den linken Flügeln von SPD und Grünen) kritisieren Stauffenberg dafür, dass er kein „richtiger Antifaschist“ gewesen sei und mit der Demokratie nichts am Hut gehabt habe. Und was sagen wir?

Man muss zugeben: Die Linken sind in diesem Fall ehrlich. Stauffenberg wollte keine Demokratie im heutigen Sinne. Im Gegenteil: Was ihm für Deutschlands Zukunft ohne Hitler vorschwebte, könnte womöglich an einen traditionalistischen Ständestaat erinnert haben – gesellschaftlich autoritär, gewiss, aber keinesfalls totalitär; aristokratisch geprägt und damit antiegalitaristisch; und: Christlich wäre dieses Deutschland ebenfalls gewesen. Neben seinen politischen Idealen sollte zudem sein aristokratischer Schneid nicht außer Acht gelassen werden. Unumstritten ist er dennoch auch unter (Neu-) Rechten nicht: Damit meine ich nicht etwa die Verratsvorwürfe irgendwelcher NS-Romantiker, sondern den nicht unberechtigten Vorwurf des Opportunismus. Schließlich hat er, wie andere seiner Mitverschwörer auch, zu Beginn des NS-Staates Karriere in der Wehrmacht gemacht. Trotz der Verachtung des NS-Pöbels war Stauffenberg – ähnlich wie etwa Hans Scholl – anfangs durchaus angetan von der nationalsozialistischen Ideologie. Dessen sollte man sich bewusst sein.

Ich muss aber gestehen: Gerade diese Ambivalenz mich an dem Grafen, wie an vielen anderen Widerständlern aus der konservativ-reaktionären Ecke. So viele von ihnen hatten sich von der nationalsozialistischen Schlange verführen lassen, ehe sie spätestens mit den Gräueln der Ostfront aufwachten. Jedoch regte sich der Widerstand auch schon vor dem Krieg: Nachdem der Versuch der Clique um Franz von Papen herum gescheitert war, Hitler innerhalb eines Präsidialkabinetts zu zähmen (1933-34, mit dem „Röhm-Putsch“ 1934 räumte Hitler auch feindlich gesinnte Konservative wie Schleicher aus dem Weg), planten einige Militärs, den Postkartenmaler im Zuge der Sudetenkrise wegzuputschen.

Deutschland und die Westalliierten standen im September 1938 durch die von Hitler vorangetriebene Zerschlagung der Tschechoslowakei am Rande eines Krieges. Wäre dieser Krieg ausgebrochen, hätten die Verschwörer Hitler abgesetzt und Frieden mit den Westmächten ausgehandelt, weil sie genau wussten, dass Deutschland einen Krieg auf lange Sicht nicht gewinnen konnte. Unter den Verschwörern waren Leute wie Erwin von Witzleben, Wilhelm Canaris, Carl Friedrich Goerdeler oder Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg – allesamt Beteiligte am Attentats- und Putschversuch vom 20. Juli 1944. Der Grund für das Scheitern der Septemberverschwörung war die Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain: Dieser wollte keinen Krieg, sondern gab Hitler nach – dessen Macht wiederum wurde durch den Erfolg in der Sudetensache gestärkt; an einen Putsch war deshalb nicht mehr zu denken.

Was nehmen wir also mit von der Person Stauffenberg? Den Tatendrang, den Mut? Durchaus. Die Courage, die er und seine Mitstreiter aufbrachten, ist vorbildlich, ebenso wie viele der Werte, die sie vertraten. Eine Frage stellt sich mir jedoch: Wann ist Tyrannenmord sinnvoll? Kam das Attentat nicht viel zu spät? Hätte man Hitler – aus der Perspektive seiner Zeitgenossen wohlgemerkt – nicht spätestens 1939 mit dem Kriegsbeginn absetzen müssen? Und was heißt das für den politischen Widerstand in der BRD? Kommen wir nicht auch viel zu spät? Mag sein. Man hätte doch schon 2015 mehr machen müssen. Oder 2008. Oder in den 90ern… Fakt ist: Verstecken können wir uns nicht mehr. Jetzt müssen wir da durch, egal wie „zu spät“ es uns erscheint. In Jüngers „Marmorklippen“ gelingt der Tyrannenmord ja ebenfalls nicht – und damit der Versuch des Widerstandes. Nun gibt es in unserer Situation keinen wirklichen Tyrannen, und morden wollen wir erst recht nicht, doch was den Widerstand angeht: Völlig egal, wie es um uns steht, wie die Situation aussieht, wie tief die „Schwarze Pille“ auch sitzt – es muss sein. Es führt kein Weg daran vorbei, egal ob im Jahre 1944 oder 2022. Wir müssen uns auf unsere Weise gegen das heutige System erwehren – und da kann uns Stauffenberg ein gutes Vorbild sein.

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

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