„Wolfsschanze Lage“ war einer der Suchbegriffe, den ich vor meiner Reise nach Polen und Litauen in die Google Suchleiste tippte. Das Buch „Staatsstreich – Der lange Weg zum 20. Juli“ von Joachim Fest hatte mich zu dieser Suche – nicht zur Reise insgesamt- inspiriert. Die rote Nadel von Google Maps zeigte mir die Lage von Hitlers Hauptquartier in anderthalbstündiger Entfernung zu meiner Unterkunft in der Nähe der Stadt Olsztyn an. „Wenn schon, denn schon“, dachte ich mir und fügte das Ziel meiner Reiseroute hinzu.
Während ich mein Auto an einem regnerischen Morgen auf den polnischen Landstraßen manövriere und dabei gefühlt minütlich überholt werde, liest meine Beifahrerin aus dem Internet die wichtigsten Infos vor. Das Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ wurde 1940 in der Nähe der Stadt Rastenburg inmitten der masurischen Seelandschaft im damaligen Ostpreußen errichtet. Das Bestimmungswort „Wolf“ entstammte Hitlers Parteipseudonym. Insgesamt umfasste das bebaute Gelände mit rund 100 Gebäuden eine Größe von 2,5 Quadratkilometern. Die Anlage umgab ein großes Waldgebiet, das von 3 Seiten mit Seen begrenzt war. Außerdem verlief mitten durch das Gebiet eine Bahnstrecke.
Nach einer endlosen Alleenstraße und mehr oder weniger erfolgreich ausgewichenen Schlaglochansammlungen erreiche ich den vollen Besucherparkplatz, der vor allem mit Autos aus Polen, Litauen und Deutschland besetzt ist. Ausgestiegen, befinde ich mich in einem Waldgebiet, durch das ein gepflasterter Steinweg führt.
Zunächst komme ich zum ersten von 7 befestigten Schutzbunkern, einem verformten Betonungetüm.
An dieser Stelle muss ich herzlich über meine eigene Naivität lachen. Etwas enttäuscht erinnert mich der Rundgang eher an einen Spaziergang durch Betonruinen, hatte ich doch erwartet, diese Bunker noch von innen besichtigen zu können. Mir war die historische Tatsache entgangen, dass, als die Sowjetarmee immer näher heranrückte, man in der Wolfsschanze begann, die kontrollierte Sprengung der Anlage zu organisieren. Allein die Vorbereitungen für diese Aktion dauerten 3 Wochen. Fast alle wichtigen Bunker sind aus diesem Grund teilweise massiv zerstört, brüchig und oft nicht begehbar.
Die äußeren Fassaden der Bunker Bohrmanns, Görings und Hitlers können jedoch besichtigt werden.
Ursprünglich ragten die Bunker bis zu 10 Meter in die Höhe und bestanden aus 2 Schichten, die durch eine Kieselsteinschicht zur Abfederung getrennt waren.
Insgesamt hielten sich rund 2100 Personen in der Wolfsschanze auf. Ehefrauen reisten nicht mit, jedoch gab es ca. 25 Frauen, die z.B. als Sekretärinnen arbeiteten. Auch für die Unterhaltung war in der militärischen Zwecken dienenden Anlage gesorgt. Es gab zwei Kinos und zwei Casinos, in denen gespeist und getrunken werden konnte.
Hitler, der selbst über 800 Tage in der Wolfsschanze verweilte, hielt oft abendliche Teestunden im Casino ab, die aufgrund seiner Schlafstörungen gern bis 2 Uhr nachts dauern konnten. Die Beteiligen waren von diesen Abenden wohl ziemlich angeödet, denn Hitler hielt gern Vorträge über seine Kindheit und seine Zukunftspläne. Zur Auflockerung baute er auch Witze ein, doch man kann sich vorstellen, dass sein Repertoire in dieser Hinsicht beschränkt war.
Dem Weg folgend erblicke ich etwas Ungewöhnliches am Seitenrand. Was ich anfangs für eine moderne Kunstinterpretation eines Sonnenschirms halte, entpuppt sich jedoch als ein Fakebaum zu Tarnungszwecken.
Alle Bunker waren mit kleinen Bäumen bewachsen und auch die Wege waren mit Tarnnetzen geschützt. Selbst Pfeiler wurden mit einer Mischung aus Zement, Seegras und grüner Farbe angestrichen.
Vorbei an der Kommunikationszentrale gelange ich schon zur Lagebaracke, in der das Attentat von Claus Schenk von Stauffenberg auf Hitler verübt wurde. Vor den Überbleibseln des Daches des eingestürzten Gebäudes auf einem Steinblock sitzend, lese ich das Gedicht „Der Widerchrist“ von Stefan George und versuche mir, die Geschehnisse an diesem verhängnisvollen Tag vorzustellen.
Angefangen von den vorausgehenden konspirativen Gesprächen und Planungen über die teilweise missglückten Vorbereitungen am Tag des Attentats (nur eine Bombe von 2 geplanten war einsatzfähig) bis hin zu der Unmöglichkeit, die Tasche mit der Bombe in der Nähe von Hitler abzustellen. Was hat Stauffenberg wohl gedacht, als er verspätet mit der scharfen Bombe die Lagebaracke betrat?
Wenig später verließ Stauffenberg unter dem Vorwand, telefonieren zu müssen, die Lagebaracke und näherte sich der Adjutantur, wo bereits ein Fluchtauto für den Weg zum Flughafen bereitstand.
Als ich diesen Weg entlanggehe, frage ich mich, ob er in dieser Minute wirklich dachte, dass sein Plan gelingen könnte. Was erwartete er noch von diesem Tag? Auf dem Weg nach Berlin war er der sicheren Überzeugung, dass die Bombe explodiert sei. Jedoch war ihm nicht bewusst, dass die Aktentasche mit der Bombe von einem der Anwesenden umgestellt worden war und Hitler somit nur leicht verletzt worden war.
Eine Rekonstruktion zeigt eine Momentaufnahme der Situation am 20. Juli in der Lagebaracke.
So werden die Anordnung der Anwesenden sowie die Verstorbenen ersichtlich. Außerdem können örtliche Ursachen für das Nichtgelingen des Attentats erörtert werden wie die massiven Beine des Eichentischs und die Ableitung der Explosionswirkung durch die Fenster.
Ein Gedenkstein erinnert an dieses Attentat auf Hitler, das wohl das bekannteste der angeblich ca. 40 auf ihn verübten Anschläge ist.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg wurde noch am selben Abend des Attentats mit drei anderen Offizieren erschossen. Insgesamt wurden im Zusammenhang mit dem Attentat weitere 5000 Menschen ermordet, die letzten noch im April 1945.
Der Rundgang führt mich weiter zum Museumsshop. Hier könnte ich mich mit militärischer Tarnkleidung eindecken oder für meinen noch nicht vorhandenen Nachwuchs einen Holzpanzer kaufen. Die Polen greifen tief in die Tasche für den militärischen Schnickschnack und bei der angrenzenden Waffenausstellung erklären die polnischen Väter ihren Söhnen geduldig die Handhabung einer Panzerfaust. Ich muss an die Worte denken, die ich aus einem kleinen Infofilm über die Entstehung des Museums aufgeschnappt habe: Wir, die Forstverwaltung, kümmern uns um das Wohlergehen eines Ortes, der Natur mit Geschichte verbindet. Die Ausstellung insgesamt ist so herrlich unideologisch, ohne moralisch erhobenen Zeigefinger. In diesem Sinne möchte ich auch diesen Artikel ohne eine Wertung der Ereignisse beenden.
Jeder kann sich selbst die vom Lyriker Stefan George aufgeworfene Frage stellen: „Kommt wort vor tat kommt tat vor wort?“ In diesem Sinne: Lasst uns lesen, lesen wir Lyrik, alte Romane, alles, was wir unter die Finger bekommen, denn Hauptsache wir lesen.