Dieser Satz des Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten Stephan Kramer hätte nicht schlechter altern können: „Wählerinnen und Wähler wollen überzeugt und nicht bevormundet werden.“ Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in der „Rheinischen Post“ im Vorfeld der Ostwahlen dürfte diese Aussage bereits für den ein oder anderen Schmunzler gesorgt haben. Immerhin stammt sie vom Chef einer Behörde, die sich selbst als „Frühwarnsystem“ gegen „Gefährdungen unserer Demokratie“ sieht. Der Verfassungsschutz will also warnen, abwehren und nicht überzeugen. Das wird schon in der Art des Verfassungsschutzberichtes deutlich: Er enthält nicht alle Beweise für eine Vermutung, damit sich der Leser selbst überzeugen kann. Er enthält Wertungen und Einordnungen, denen man gefälligst zu folgen hat.
Nicht umsonst hat man sich die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ausgedacht. Und auch Kramer bedient sich dieses Instruments, wenn er Höcke den „Sound der Demokratieverächter der Weimarer Republik“ unterstellt, weil dieser von „Altparteienkartell“ und „Systempresse“ spricht. Dass Höcke damit jedoch recht hat, sehen wir später, aber zunächst zu den neuesten Entwicklungen um Stephan Kramer und warum sein Spruch von Überzeugung statt Bevormundung so schlecht gealtert ist.
Bereits 2015 gab es Kritik an der Ernennung Kramers zum Präsidenten des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, weil er entgegen der Soll-Vorgabe in der Landesverfassung nicht über die Befähigung zum Richteramt verfügt. So hat Kramer sein Studium der Rechtswissenschaft abgebrochen und besitzt statt juristischer Kenntnisse einen Master in Sozialpädagogik. Die neuen Enthüllungen durch eine „Apollo News“-Recherche lassen jedoch an deutlich mehr zweifeln als nur an der fachlichen Kompetenz des Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten.
Die Autoren zeichnen das Bild eines Behördenleiters, der von seiner Mission im Kampf gegen die AfD überzeugt scheint und bereit wirkt, diesen mit allen Mitteln zu führen. So ist die Rede von „Bedrohung, zurückgehaltenen Akten, rätselhaften Belegen für vermeintlichen Extremismus, Intrigen mit Journalisten und Rockerkontakten nach Russland“.
Mit seinem – laut Insidern – jähzornigen und widersprüchlichen Führungsstil hat Kramer für eine „Mitarbeiterflucht“ beim Thüringer Verfassungsschutz gesorgt. Allein die vergangenen fünf Jahre hat ein Fünftel der Mitarbeiter die Behörde verlassen. Die Position des Referatsleiters Rechts- und Linksextremismus ist sogar seit drei Jahren formal unbesetzt.
Nicht nur behördenintern setzt Kramer sich mit fragwürdigen Mitteln durch. Als er 2018 die AfD als Prüffall einstuft, hat er dafür keine rechtliche Grundlage, zitiert falsch und lügt darüber im Nachgang. Das Verwaltungsgericht in Weimar untersagt ihm daraufhin die Einstufung. Doch das lässt Kramer nicht auf sich sitzen und stuft die AfD 2021 als „gesichert rechtsextrem“ ein. Dagegen gab es Bedenken aus der Behörde. So existiert ein internes Ergänzungsgutachten, welches Zweifel an der Berechtigung der Einstufung äußert. Wie reagiert Kramer? Der Verfassungsschutzpräsident verbietet die Nutzung des Gutachtens und droht dem dafür zuständigen Autor körperliche Gewalt an. Schließlich wolle er „dem Gegner keine Argumente“ gegen die Einstufung der AfD liefern.
Das ist nicht nur problematisch, wenn man wie Kramer behauptet, man müsse die Wähler überzeugen und nicht bevormunden. In seinem Gespräch mit der „Rheinischen Post“ spricht Kramer auch davon, dass der Rechtsstaat sich darin beweise, dass die Einstufungen seiner Behörde „vollumfänglich einer gerichtlichen Überprüfung“ unterliegen. Es stimmt zwar, dass jeder Betroffene vor Gericht gegen Verlautbarungen und Einstufungen des Verfassungsschutzes nachträglich klagen kann. Dabei gehen die Gerichte jedoch von rechtsstaatlichen Abläufen innerhalb der Behörde aus und „vertrauen sehr stark darauf, dass das Material des Verfassungsschutzes ordnungsgemäß entstanden ist“, wie der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler „Apollo News“ gegenüber ausführt.
Was, wenn dieses Vertrauen missbraucht wird? Dann untergräbt der Verfassungsschutz mit seinem Agieren ebenjene Rechtsstaatlichkeit, die er zu schützen vorgibt. Doch zum Glück für unsere Demokratie kommt im Sinne der Gewaltenteilung weiteren Gremien die Kontrolle des Verfassungsschutzes zu. Nach den VS-Skandalen rund um den NSU hat die rot-rot-grüne Landesregierung 2015 den Verfassungsschutz direkt in das Innenministerium eingegliedert, um die Vorgänge besser kontrollieren zu können. Wie konnte Kramer also sein Handeln vor SPD-Innenminister Georg Maier geheim halten?
Wie die Recherche von „Apollo News“ nahelegt, konnte er das nicht. Vielmehr hatte das Innenministerium selbst den Verdacht, Kramer habe „streng vertrauliche Informationen über ernsthafte Funktionsstörungen und innerdienstliche Spannungen im AfV [Amt für Verfassungsschutz, Anm. d. Red.] weitergegeben“, und wusste von der Gewaltdrohung Kramers und weiteren Missständen. Doch es geschah nichts.
Auch das Parlamentarische Kontrollgremium im Thüringer Landtag soll den Verfassungsschutz kontrollieren. Da hier die anderen Parteien die AfD jedoch raushalten wollten, hat man das Gremium noch vor den Wahlen neu besetzt. Die Folge: Keines der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums sitzt aktuell im Landtag. Die AfD ist von der Kontrolle der Machenschaften Kramers gänzlich ausgeschlossen. Und auch der neue CDU-Ministerpräsident Mario Voigt scheint zufrieden mit der Situation. Schließlich hat er Georg Maier erneut zum Innenminister ernannt. Klingt gehörig nach „Altparteienkartell“.
Schließlich waren es auch nicht die Öffentlich-Rechtlichen oder der „Spiegel“, die die Machenschaften des Behördenextremisten Kramer offenlegten, sondern das alternative Medium „Apollo News“. Somit trifft Höcke auch mit der Bezeichnung „Systempresse“ einen Punkt. Die AfD wird nun einen Untersuchungsausschuss gegen Stephan Kramer einsetzen. Das können weder „Altparteienkartell“ noch „Systempresse“ verhindern.