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Streik! Die syndikale Selbstbedienung

31. März 2023

Wenn mal wieder noch weniger Bahnen fahren als ohnehin und bereits lange im Vorfeld feststeht, wann man nächste Woche zusehen muss, wie man zur Arbeit kommt, dann ist es wieder so weit. Alle Jahre wieder eine neue Tarifrunde, bei der Gewerkschaften mit den Arbeitgebern oder ihren Verbänden rumverhandeln. Im komplexesten Fall, bei Flächentarifverträgen, wird zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern also von deren jeweiligem Verband verhandelt.

Für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sind diese Verhandlungen jetzt gescheitert. Zwischen den Arbeitgeberverbänden und ver.di sowie dem Beamtenbund dbb ist eine Kommission zur Schlichtung einberufen worden. Auch das folgt bekannten Mustern und ist im Grunde langweilig. Jede Seite hat der Kommission, der je ein Vertreter beider Seiten vorsitzt, wobei in dieser Tarifrunde der von der Gewerkschaft benannte Vorsitzende über die entscheidende Stimme verfügt, einen „Einigungsvorschlag“ zu unterbreiten.

Beide argumentieren erwartbar – der eine mit hohen Teuerungsraten und hohen Energiepreisen, der andere kann schwer dagegenreden, ohne der Sozialautist zu sein. Er macht ein Angebot von acht Prozent mehr Einkommen, einem Mindestbetrag von 300 Euro und zwei vierstelligen Einmalzahlungen – und das passt dem anderen dann nicht, denn mindestens 10,5 Prozent mehr Einkommen und mindestens 500 Euro im Monat hätten’s sein sollen. Die Schlichtungsphase endet Mitte April, ab dann sind zusätzlich zu den kürzlich erlebten Warnstreiks reguläre Streiks möglich.

Dass die von der Politik der Bundesregierung verursachten Energiepreissteigerungen gerade die niedrigen Einkommen belasten, darf keinesfalls unter den Tisch fallen. Doch warum sollten gerade Gewerkschaften diese Missstände ausbügeln, statt dass die Politik selbst es tut? Richtig, tut sie nicht, zumindest nicht vorrangig. Hier packte man den Inflationsausgleich nur auf die üblichen Forderungen drauf. Also: Mehr Lohn, und dafür leere Bahnhöfe in der Vorosterzeit. Am bemerkenswertesten finde ich immer die Funktionärsfiguren, die von sich behaupten, für die Sache des Arbeiters zu sprechen. Sie fühlen sich wahrscheinlich größer als Lassalle, Engels und Che Guevara zusammen, wenn sie, die längst ausgesorgt haben, ihre Sturheit beliebig weitertreiben und das noch als Auftrag der Streikenden verkaufen können.

Denn was ist der Streik in seiner heutigen Form anderes als kollektiver Vertragsbruch? Mit ihrem Ultima-Ratio-Getue – „uns bleibt ja keine andere Möglichkeit“ – erinnern die Gewerkschaften an die medialen Lautsprecher von Menschen in „Wohnungsnot“. Ein gewisser Anspruch steht zusammenhanglos und unangefochten im Raum – der Gezwungene kann nicht aus dem Ballungsraum wegziehen, ist auf dem Arbeitsmarkt nicht mobil, kann gar nicht anders. Es steht im Falle der Gewerkschaften auch gar nicht zur Debatte, ob der Einzelne mit den Forderungen überhaupt übereinstimmt. Die Formulierung des Anspruchs wird dem einzelnen Arbeiter einfach übergestülpt – die Zustimmung zur Aussicht auf ein paar Prozentpunkte, die durch eine als „Verhandlungen“ getarnte Schwebezeit rausgeholt werden soll, wird für jeden einzelnen Betroffenen konkludent angenommen.


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Die demokratische Kollektivierung des Verhältnisses von Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat auch dazu geführt, dass etwa ver.di-Mitglieder bei umkämpften Tarifverträgen in einer „Urabstimmung“ über einen unbegrenzten Streik zur Durchsetzung ihrer Forderungen abstimmen können. Laut BAG-Rechtsprechung ist „gegebenenfalls eine Gasse zu bilden“, wenn Nicht-Streikende dennoch zum Betrieb erscheinen wollen. „Tipp: Gelassen und freundlich bleiben und versuchen, mit Argumenten zu überzeugen“, rät die Gewerkschaft ver.di auf ihrer Website. Na denn!

Ob die Gewerkschaften den betroffenen Arbeitern damit helfen beziehungsweise geholfen haben, ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits presst man sicherlich kurzfristig etwas raus – „für mich reicht’s noch, und für mich muss es noch reichen“. Aber ob die Gewerkschaft dem Arbeiter an sich genützt hat, darf bezweifelt werden. Man hat, wie Ludwig von Mises in der „Gemeinwirtschaft“ äußerte, „nicht dem Sozialismus vorgearbeitet, sondern dem Syndikalismus“ und sich von dem Funktionieren von Arbeitsteilung und echter Eigeninitiative entfernt. Es darf nicht vergessen werden, dass Gewerkschaften in ihren Anfängen zum Teil auch liberal und nicht sozialstaatlich organisiert waren.

Der Publizist Max Hirsch gründete 1868 wenige Monate vor Gründung der sozialistischen Gewerkschaften eine liberale Gewerkschaftsinitiative, die vor allem auf freiwilligen Unterstützungsleistungen innerhalb der Koalitionen beruhte. Es schien zeitweise, als könne diese Strömung die Arbeitermassen auf ihre Seite ziehen, und sie erfreute sich von Berlin bis Anhalt großen Einflusses. Aber seit Bismarcks Wende wurden diese freien Organisationen von den sozialstaatlichen Initiativen verdrängt, insbesondere durch die Einführung der staatlichen Arbeiterversicherung und der allgemeinen Kriminalisierung von Gewerkschaften, gleich welcher „Couleur“.

Es kommt nicht von ungefähr, dass etwa Fridays for Future zum „globalen Klimastreik“ aufruft und die Erpressungsmethode des Lahmlegens für hehre Klimaziele einsetzt – wenn auch nicht der eigenen Arbeitszeit, sondern der Lebenszeit und Unversehrtheit anderer. Was den Einwand einiger restvernünftiger Sozialliberaler betrifft, das sei doch etwas anderes: Es ist wahr, die Qualität ist eine andere. Auch wenn mir diejenigen lieber sind, die immerhin bekennen, dass sie den Boykott für das eigene Wohl begehen statt für irgendein Klima, das sich zu schnell wandelt – das Grundprinzip ist dasselbe. Der Streik passt nicht zu einer friedlichen, arbeitsteiligen und produktiven Gesellschaft.

Wendolin Winkler

Winkler wohnt und arbeitet im Westen der Republik. Obwohl er gern mit dem Schein des Kulturkatholiken kokettiert, verehrt er Max Weber und kommentiert zweiwöchentlich mit puritanischem Eifer aktuelle ökonomische Entwicklungen.


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