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Tag der Deutschen Einheit?

6. Oktober 2022
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Am Montag war Feiertag! Zumindest in der BRD. Das hat man mitbekommen, weil man beim Supermarkt vor verschlossenen Türen stand – oder weil die Leute am Samstag davor eben jenen gestürmt haben, um genügend Vorräte für zwei Tage zu kaufen. Vermutlich hätten viele diesen Tag kaum mitbekommen, wenn sie nicht auf den Kalender geschaut hätten: „Tag der Deutschen Einheit“. Meistens hat man sich am Freitag eh nur ein „schönes verlängertes Wochenende“ gewünscht, woran man merkt, wie viel dieser Tag dem einfachen Volke bedeutet („verlängertes Wochenende“ ist davon mal abgesehen ein nerviger Ausdruck, da die Woche am Sonntag und nicht am Montag beginnt, aber egal). Ich muss gestehen, so wirklich viel bedeutet er mir auch nicht. Die höchsten „patriotischen“ (ich mag dieses Wort einfach nicht) Gefühle, die ich am Montag aufbringen konnte, bestanden aus einer als Eingangsstück für den ökumenischen Gottesdienst meiner Gemeinde gedachten Orgelimprovisation über jene Haydn-Melodie, die in den 1920er-Jahren zur deutschen Nationalhymne avancierte. Da ich im ländlichen Mitteldeutschland meine Wurzeln habe, kam das auch gar nicht so schlecht an – hätte ich es mal in der Großstadt gemacht. Jedenfalls stellte sich mir die Frage: Warum sollte mich und meine Mitmenschen dieser Tag auch so großartig berühren?

Noch bevor die Stimmung in diesem Land so radikal antideutsch wurde, hatte der 3. Oktober keine große Bedeutung für die Menschen in der Bundesrepublik. Zumindest keine emotionale Bedeutung. In Frankreich etwa feiert man am 14. Juli (leider) den Sturm auf die Bastille, in den Vereinigten Staaten die Unabhängigkeit am 4. Juli; beide Tage haben einen tiefen emotionalen Bezug zu den jeweiligen Völkern. Der 3. Oktober hingegen, das war ein Tag des rein bürokratischen Aktes. Das „einfache Volk“ hatte gewiss keinen Bezug dazu. Solch ein „Feiertag von oben“ ist in Deutschland zwar nichts Neues – man denke etwa an den Reichseinigungstag, den 18. Januar, oder den Sedantag am 2. September, die beide im Kaiserreich zusammen mit des Kaisers Geburtstag eine große Rolle spielten, obwohl das „Volk“ eigentlich keinen Anteil an den jeweiligen Taten und Ereignissen hatte (auch wenn am Sedantag zumindest einfache Männer in blauen Uniformen beteiligt waren), derer an diesen drei Tagen gedacht wurde; anders als bei den Feiertagen in Frankreich und den Staaten.



Dennoch verstand es die Elite im Kaiserreich, das Volk trotzdem durch prunkvolle Paraden und groß angelegte Festivitäten an diese Tage emotional zu binden – was der Berliner Republik mit dem 3. Oktober nie gelang. Das hängt wohl einerseits mit der steten Umerziehung seit 1945/1968 zusammen und andererseits mit der „Trockenheit“ des Aktes: Am 3. Oktober setzten irgendwelche charakterlosen Politiker ihre Unterschriften unter irgendwelche Verträge. Dagegen wirkte die Ausrufung des neuen deutschen Kaiserreichs trotz der spartanisch-preußischen Knausrigkeit wie eine golden-glanzvolle Zeremonie. Hätte man auf die „volksnahe“ Strategie der Franzosen und Amerikaner gesetzt, so wäre der 9. November, der Tag des Mauerfalls, die bessere Wahl gewesen – denn dieser Tag blieb den Menschen sehr wohl im Gedächtnis, nicht zuletzt wegen der starken emotionalen Verbundenheit und der Beteiligung des „einfachen Volkes“ an den Ereignissen jenes schicksalhaften Herbsttages. Doch welches Datum stünde noch zur Wahl? Welche Heldentaten hat die Bundesrepublik in ihren 70 Jahren vorzuweisen? Egal wie man dazu stehen mag, die Taten des 4. und 14. Juli wurden von tapferen Männern verübt. Das kann man vom 3. Oktober ja wohl kaum behaupten. Der einzige Tag, der Heldenmut ehrte, wäre wohl der 17. Juni, der Tag des Volksaufstandes in der DDR 1953 – der in der Bonner Republik für 36 Jahre sogar Nationalfeiertag war.

Aber selbst wenn man den 9. November – dagegen sprach unter anderem die Reichspogromnacht von 1938, die ebenfalls am 9. November stattfand – oder den 17. Juni ausgewählt hätte: Ist eine Feier des „Tags der Deutschen Einheit“ nicht eine riesige Farce? Welche Einheit sollte denn gefeiert werden? Das Land ist gespalten wie seit Langem nicht mehr; die Feierlichkeiten in Erfurt dieses Jahr waren eine würdelose Selbstbeweihräucherung formloser Politiker. So berichtet die „Tagesschau“: „Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat die Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, in der Krise zusammenzuhalten und Streit demokratisch auszutragen.“ Ach so. „Bas [verwies] auf die Stärke der Demokratie in Deutschland: ‚Diese Stärke kann sie aber nur entfalten, wenn wir zusammenstehen‘, mahnte die Politikerin.“ Aha. Ich erspare dem werten Leser dieses Artikels mal die nicht minder leeren Floskeln des Bundeskanzlers und des Ministerpräsidenten Thüringens. Gab es je eine Epoche, in der die Worte der staats- und systemtragenden Elite so bedeutungslos waren wie in der unsrigen? Es ist nun alles nichts mehr als Schall und Rauch…

Der 3. Oktober repräsentiert eine zerfallende Politikerkaste, Werte, die ich als Rechter kaum vertreten kann, auf eine Weise, die zu den Umständen seiner Entstehung und zum Zeitgeist wie die Faust aufs Auge passt. Von daher ist er auf jeden Fall der ideale Nationalfeiertag der Bundesrepublik. Doch mein Feiertag? Das ist er gewiss nicht, schon lange nicht mehr. Doch wer weiß, vielleicht findet sich in Zukunft noch mal ein Tag, an dem unsere Nachkommen mutiger Männer und ihrer tapferen Taten gedenken können?

Fridericus Vesargo

Aufgewachsen in der heilen Welt der ostdeutschen Provinz, studiert Vesargo jetzt irgendwas mit Musik in einer der schönsten und kulturträchtigsten Städte des zu Asche verfallenen Reiches. Da er als Bewahrer einer traditionsreichen, aber in der Moderne brotlos gewordenen Kunst am finanziellen Hungertuch nagen muss, sieht er sich gezwungen, jede Woche Texte für die Ausbeuter von der Krautzone zu schreiben. Immerhin bleiben ihm noch die Liebesgrüße linker Mitstudenten erspart…

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