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Was macht einen Menschen zum Künstler?

20. Juli 2019
in 6 min lesen

In Deutschland wird der chinesische Künstler Ai Weiwei gefeiert wie ein Heiliger. Warum eigentlich? Unser Autor Hubert Döring hat sich die Düsseldorfer Ausstellungen Weiweis angesehen und hegt leise Zweifel an dessen künstlerischer Ausnahmeerscheinung. Getreu dem Motto der Ausstellung fragt er sich: „Wo ist die Revolution?“

Was macht einen Menschen zum Künstler?

Diese Frage stellte ich mir immer wieder beim Besuch der Ausstellungen Ai Weiweis, welche unter dem Titel „Wo ist die Revolution?“ den Kunstsommer 2019 in Düsseldorf bestimmen.

Ai Weiweis Aussage „Alles ist Kunst. Alles ist Politik“ dient als Leitmotiv für die Bestückung sowohl der großen Ausstellungshallen im K20, als auch des Untergeschosses des K21 in der Rheinmetropole.

Die beiden Museen bieten derzeit die bisher größte Ai Weiwei Präsentation in Deutschland – und, so vermute ich es, auch weltweit an…

…denn wo sonst auf unserem Globus genießt dieser Mann noch eine vergleichbare Popularität wie hierzulande?

Das K20 hatte ich bei meinem Besuch schnell durchschritten. Es wurden dort auch nur sieben Produkte des langjährigen Schaffens Ai Weiweis zur Ansicht offeriert.

Der Chinese wird laut Ausstellungsführer „weltweit als Künstler, Architekt, Kurator, Musiker, Filmregisseur und Fotograf gefeiert“ (Mein Gott, was ein Mensch alleine alles können kann…).

In den meisten Berichten über Weiwei, die ich zur Vorbereitung meines Ausstellungsbesuches las, wurde er auch noch als „Dissident“ bezeichnet. Dies zu vermitteln ist der Presse wohl extrem wichtig – aber ich fragte mich nur, ob „Dissident“ zu sein ein Qualitätsmerkmal für Künstler ist?

Als weltweit gefeierter Schriftsteller wurde er nicht bezeichnet, wenngleich zwei seiner im K20 ausgestellten Werke schriftlich verfasst sind. Zum einen ist es eine Namensliste von Erdbebenopfern, das zweite Elaborat ist eine Sammlung von Schuldscheinen in einer solch großen Stückzahl, dass sie dazu ausreichten, die riesige Kleehalle fast komplett damit zu tapezieren.

Umringt von den Schuldscheinen sind sechshundertfünfzig Quadratmeter des Bodens dieser Halle, mit aus Porzellan geformten Sonnenblumenkernen, bedeckt. Es sind wohl um die sechzig Millionen Stück und die Draufsicht aus einigen Metern Entfernung regt so lange zum Nachdenken an, bis man den zusammen mit der Eintrittskarte überreichten Begleittext liest…

Kunst ist Kommunikation und der eigentliche Reiz der sinnlichen Aufnahme ergibt sich aus dem gedanklichen Produkt, welches der Rezipient, autark, für sich entwickelt.

Schlicht „Sunflower Seeds“ nennt sich die Schüttung und wenn man die Auflösung der individuellen Kerne wahrnimmt, welche in ihrer schieren Masse zur Unkenntlichkeit verschwimmen, können schon kunstvolle Gedanken ausgelöst werden…



…welche dadurch wieder gelöscht werden, dass die textliche Vorgabe die Kerne als chinesische Bevölkerung verstanden wissen möchte, verbunden mit der Feststellung, das „hier Überlegungen zu kunsthandwerklicher Einzel- und industrieller Massenproduktion angeregt sowie Produktionsbedingungen im Niedriglohnland für international gefragte Konsumgüter angestoßen werden.“

Solch eine Beschreibung zu verfassen ist schlimmer als Witze zu erklären…

Das entstandene negative Gefühl wird beim Austritt in den Vorraum der Halle noch durch ein Video verstärkt, welches die Produktion der Kerne zeigt, nicht ohne eine der beteiligten Arbeiterinnen darin erwähnen zu lassen, wie zufrieden sie doch die dafür erhaltene Entlohnung gestellt hat!

In der zweiten großen Halle befinden sich unter dem Titel „Straight“ hundertvierundsechzig Tonnen geradegebogener Armierungsstahl in Holzkisten, welcher einst in einem bei einem Erdbeben in China eingestürzten Schulgebäude verbaut war…

In ihrer Anordnung und Größe erinnern mich die Kisten an eine Örtlichkeit in Deutschlands Hauptstadt, linker Hand auf dem Weg vom Brandenburger Tor in Richtung Potsdamer Platz…

Laut Vorgabe im Begleitheft lassen sich mit den Kisten Särge assoziieren. Der Inhalt soll eine „massive Mahnung“ sein – daran, „dass Schlamperei, Verantwortungslosigkeit und Korruption Gründe für…“, nein, nicht das Erdbeben, sondern den Einsturz des Schulgebäudes waren…

Nach meinem Verständnis kommt das Eisen als billige Anklage daher, insbesondere auch deshalb, weil die einzelnen Stäbe mit Kabelbindern gebündelt wie Fasces wirken. Wenig subtil also Ai Weiweis Einordnung und Schuldzuweisung…

Ist es fehlende Selbstreflektion die bei ihm dazu führt, dass er monumentale Ausdrucksformen nutzt, ein Mittel dessen sich auch diejenigen bedienen, die er anklagt?

Überhaupt, Anklage: Wie oft habe ich es in letzter Zeit vernommen,  dass Kunst politischer werden müsse?

In mir schwelt ja der Verdacht, dass mit dieser Forderung nicht der Wunsch danach verbunden ist, politisches Denken an sich anzuregen – sondern der, eine ganz bestimmte Weltsicht zu vermitteln…

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Im K21 hört das Klagen nicht auf. Der Eintritt in die dortigen Ausstellungsräume gleicht dem in einen Second Hand Shop. Tausende Kleidungsstücke hängen an Garderobenständern. Die Textilien werden als Fundstücke aus dem „Flüchtlings“ -lager Idomeni beschrieben.

Der Begleittext dazu: „Im Ausstellungsraum konfrontieren sie (die Kleidungsstücke H.D.) die Besucherinnen und Besucher mit ihrer Realität und der Geschichte von Unterdrückung, Flucht, Verfolgung und Leid, die mit ihnen verbunden ist. Die Vertrautheit mit ihrer Präsentation und dem Kleidungstil lässt ein Gefühl von Nähe und Einfühlung möglich erscheinen“.

Gibt es nur eine Realität? Zweifel sind berechtigt, denn mein erster Gedanke war der an eine totale Überflussgesellschaft die es erlaubt, Kleidung einfach wegzuwerfen!

Raumfüllend sind im K21 auch sechs Eisenkisten, vom Format her je Stück zu vergleichen mit einer halben Fertiggarage. In diesen Kisten sind Szenen einer Gefangenschaft Ai Weiweis wirklichkeitsnah nachgebaut. Nun ja…

…ach so, eine aus Bambusleisten mit Sisalgarn zusammengeknotete, siebzehn Meter lange Plastik war auch noch zu sehen. Sie stellte ein Schlauchboot dar. Was das Ding mir wohl sagen wollte?…

…sagen sollte?

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Was macht einen Menschen zum Künstler?

Im K21 waren laut Programm auch einige Frühwerke Weiweis aus den achtziger Jahren zu betrachten.

Die Frühwerke entpuppten sich als eine Regenjacke, welche unter dem Titel „Safe Sex“ im Jahre 1986 mit einem Kondom dekoriert wurde…

…oder eine Sammlung von vierzig Fotos, begonnen im Jahr 1995, welche sich „Study of Perspective“ nennt und Ai Weiweis Stinkefinger vor berühmten Gebäuden der Welt zeigt…

…und ich fand auch noch ein Ölgemälde…

Ich fand es erheiternd! Es stammte, wie „Safe Sex“ aus dem Jahr 1986 – und sollte da Vincis Mona Lisa variieren. Au Weiweia!

Zum Abschluss meines Rundgangs stellte ich auch noch fest, dass  Ai Weiwei tatsächlich dazu in der Lage ist, eine antike chinesische Vase mit dem Logo der Marke „Coca Cola“ zu versehen.

Kann sich in solchen Objekten der Ausstellungstitel „Wo ist die Revolution?“ widerspiegeln? Der Begriff der „Revolution“ beschreibt eine tiefgreifende Veränderung. Revolutionäres suchte ich vergeblich…

„Wo ist die Revolution?“ kann man sich als enttäuschter Betrachter fragen…

Das meiste Gesehene empfand ich als irgendwie lästig. Ob Schuldscheine oder Szenen seiner Haft, ob Fotografien von Leuten die ihn beobachteten oder Stinkefinger: wie soll so etwas nach außen wirken? Welchen Knopf versucht Weiwei zu drücken? Was erwartet er außer Mitleid? Mein Eindruck ist: er suhlt sich gerne in seiner Larmoyanz!

…und wenn man sein Schaffen chronologisch ordnet, dann stellt man fest, dass sein Interesse an Flüchtlingsthemen schlagartig erwachte, als er in Deutschland war…

…als er hier richtig angekommen war!

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Was macht einen Menschen zum Künstler?

Nichts von dem was ich sah, war erhellend zur Beantwortung dieser Frage.

Bei Ai Weiwei ist die Frage wohl eher: wer stilisiert einen Menschen zum Künstler?

Wer lässt sich zu was gebrauchen? Wechselspiel? Wechselseitig? Tausche Geld gegen Herstellung einer Stimmungslage?

Die Stinkefingerbilder weisen Ai Weiwei als Vielflieger aus. Wird er einen Bewusstseinswandel durchleben und demnächst das Thema „Klima“ zu seinem machen?

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Auf was spekulieren Ausstellungsmacher? Sicher auf riesige Zuschauermengen…

…und Ai Weiwei ist ein bekannter Name…

Aber in Düsseldorf haben sich die Macher wohl verspekuliert:

Die Schüttung der Sonnenblumenkerne wurde, neben mir, noch von einer Gruppe desinteressierter Schüler umrundet, darunter einige Mädchen die ein Kopftuch trugen…

…ein Kleidungsstück, welches man außerhalb von Pflichtveranstaltungen, so gut wie nie in unseren Museen sieht…

Geradezu peinlich mutete ein Hinweis vor dem Grabbesaal an, dass doch bitte nicht mehr als hundertfünfzig Besucher gleichzeitig zwischen die Kisten mit Armierungsstahl eintreten sollten. Ich war im Saal zeitweilig ganz allein…

Schwache Verantwortliche fühlen sich dazu genötigt einen Leistungsnachweis zu erbringen – und haben dann womöglich keine andere Idee, als auf allseits bekannte Namen zurückzugreifen…

…oder auf Dinge, die früher schon mal „irgendwie funktionierten“.

Ai Weiwei war auf der Biennale 2013 in Venedig Repräsentant der deutschen Kunst. Damals für die Ausstellung verantwortlich, wie heute auch in Düsseldorf, Prof. Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.

Sie wiederholt sich und stellt damit die Frage…

…ob eine Ai Weiwei Ausstellung im Jahre 2019 auszurichten nur ein Ausdruck von zu wenig Kreativität – und zu viel Budget ist?

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„Der Markt regelt alles“…

…das spiegelt sich im Besucherzuspruch.

Den Kunstmarkt ab und an zu beobachten kann dabei helfen, korrekte Einschätzungen zu treffen: Ai Weiweis Stinkefinger „Study of Perspective“ wird im Kunsthandel, als Abguss aus Muranoglas, angeboten.

In einer Auflage von je hundert Stück in unterschiedlichen Farben…

Es ist wohl schwierig, dafür noch ein Interesse zu wecken: einige Exemplare werden, bei sinkenden Preisen, schon auf dem Markt für Gebrauchtkunst verramscht…

„Der Markt regelt alles“ – und ein entscheidender Faktor des Marktspiels ist die Sättigung…

In mir keimt aber auch die Hoffnung, dass potentielle Besucher die durch Abwesenheit glänzen, den Ausstellungsmachern die Frage stellen, ob Kunst nicht doch noch etwas anderes sein kann als der Versuch, ein ganz bestimmtes Weltbild zu vermitteln…

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Wer Spaß daran hat, für ein Nichts Geld auszugeben, der kann Lotto spielen, oder noch bis zum 1.9. die Ausstellungen besuchen.

Man kann aber auch das Defizit in der Museumskasse vergrößern!

Gastautor

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