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Ein Blick auf Cork

29. Juli 2020
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Cork ist Irlands zweitgrößte Stadt nach Dublin und liegt ungefähr 70 Kilometer südöstlich von meinem Wohnort entfernt. Mit ungefähr 300.000 Einwohnern ist es deutlich kleiner als die Landeshauptstadt, die mit einer Einwohnerzahl von etwa 1,4 Millionen einschließlich der Metropolregion in etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung Irlands ausmacht. Irlands Besiedelung lässt sich rekonstruieren bis etwa 7000 v. Chr. Man wurstelte so vor sich hin, bis tausende Jahre später, ca. 300 v. Chr., die Kelten kamen und den Grundstein der irischen Kultur legten.

Um 410 n. Chr. verfrachteten die Römer Sklaven aus Britannien nach Irland und begannen mit der Christianisierung, unter ihnen befand sich auch Patrick von Irland, der noch heute jedes Jahr im März für Paraden und Massenbesäufnisse sorgt, das konnten selbst die Wikinger und Normannen in den darauffolgenden Jahrhunderten nicht ändern (auch wenn sich der Export des „Paddy’s Day“ wohl kaum darauf zurückführen lässt, dass viele Iren mit und ohne Angehörige ihre Heimat verließen, um anderswo ihr Glück zu suchen.

Dass man zum Beispiel heute an einem Tag im Frühling in München bayerische Gaststätten mit Wimpeln in den irischen Farben schmückt und sogenannte traditionelle irische Musik aus den Lautsprechern dröhnt, während das Guinessbier literweise durch die Kehlen der Feierlustigen fließt, verdanken die Bajuwaren und solche, die es gerne wären, eher einer schlauen Marketingstrategie, aber das nur am Rande).

Die Geschichte plätscherte dahin, wie auch andernorts. Über die Zeit hinweg tat man, was man als Mensch eben so tut: Überleben. Das gelang manchen besser als anderen, daran hat sich nicht viel geändert. Cork wuchs mit, passte sich an und schaffte es nie, sich aus dem Schatten der großen Schwester zu befreien. Cork wurde nie mondän. Alle, die etwas auf sich hielten, sowohl im kleinen Kreis der Intellektuellen als auch im großen Spiel der Kosmopoliten, zog und zieht es nach Dublin. Da vibriert das Leben, die Kultur, der Geist, die Politik.

Schöne viktorianische und georgianische Gebäude beherbergen teure Restaurants und Künstlerwohnungen. Im Stadtpark gleich hinter der traditionsreichen Universität, in der sich bereits Bram Stoker von den alten Gemäuern zu seinem Dracula inspirieren ließ und Oscar Wilde die literarische Elite seiner Jahre um sich versammelte, tummeln sich noch heute die Geistreichen auf den sommerlichen Wiesen und belächeln hochmütig die Touristen, die dort, nach einem Besuch der weltbekannten Bibliothek, den Reiseführer durchforsten nach der nächsten Attraktion, die man nicht verpassen darf (auch wenn, Sie werden es ahnen, seit langem kein wirklich großer Geist mehr dem Schoß dieser ehrwürdigen Institution entsprungen ist).

In Cork weiss man das. Und in Cork weiss man auch, dass man in Dublin nur denkt, das zu wissen. Denn im Grunde ist Dublin ein Opfer der Moderne. Es hat sich vereinnahmen lassen, hat sich verkauft, hat sich täuschen lassen, liegt der EU zu Füßen, lässt sich tätscheln und verhätscheln und suhlt sich in der Gunst fremder Gönner.

Und darum stehe ich lieber am Fenster der Dachwohnung meiner Freundin in Cork und blicke auf die regennassen Dächer, hinweg über die alten Schindeln, in die neblige Ferne auf ein moderneres Gebäude. Die Stadt ist gewachsen, so wie alle Städte dieser Welt, aber sie ist gewachsen, ohne sich zu verleugnen. Cork war nie schön, war nie glamourös, aber immer authentisch. Im Oberstübchen von Cork hat der irische Pragmatismus sein Zuhause, und es steckt schon etwas Wahres in dem Spruch: „Ireland is like a bottle. It would drown without Cork“.

Gastautor

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