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Nietzsche im Alltag

23. August 2020
in 3 min lesen

Um 0445 aufstehen? Den ganzen Tag schreiben, trainieren, meditieren und sowohl auf eigene Rechnung als auch als Angestellter arbeiten? Was ist die Philosophie hinter der täglichen Routine, die ich im aktuellen Instagram-Beitrag geschildert habe?

Mein Denken ist stark von Friedrich Nietzsche geprägt. Wenn ich sage, dass mein Sinn des Lebens darin besteht, ein Leben zu leben, dass ich gerne immer und immer wieder nochmal genauso leben würde, dann beziehe ich mich auf Nietzsches Ideen rund um amor fati und die Ewige Wiederkunft. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist ein Klischee – und gleichzeitig universell relevant. Gerade in Krisenzeiten, wenn wir leiden, wollen wir alle einen Grund, ein Warum.

Wenn wir glücklich der Sonne entgegenfahren, ist es leicht, die Sinnfrage zu vergessen. Aber spätestens, wenn unsere Familie in KZ, Gulag oder Killing Field ermordet wird, unsere Lieben von uns gerissen werden oder unser Leben auf andere Weise zerbricht, spätestens dann stellen wir sie uns, die Sinnfrage. Was soll das alles? Wozu all dieses Leiden?

Leben ist Leiden, daran kann kein Zweifel bestehen. Aber Leben ist nicht nur Leiden. Leben ist auch Spiel, Schöpfung, Abenteuer, Tanz, Entwicklung und Wachstum. Das beides unter einen Hut zu bekommen und weder das selbstevidente Leid noch die innere Sonne, die in uns allen scheint, zu leugnen – das ist Lebensbejahung und Schicksalsliebe.

„Amor fati, das sei von nun an meine Liebe! Ich will keinen Krieg gegen das Hässliche führen. Ich will nicht anklagen. Ich will nicht einmal die Ankläger anklagen! Wegsehen sei meine einzige Verneinung.
Und alles in allem und großem: Irgendwann möchte ich nur noch ein Ja-Sagender sein.“
(FN)

Amor fati, die Liebe zum eigenen Schicksal, das ist vollumfängliche Lebensbejahung. Das Leben und das eigene Schicksal mit allem, was war, ist, und noch kommen wird, zu bejahen – das bedeutet jedoch auch, auch all das Hässliche zu akzeptieren, keinen Krieg mehr zu führen, nicht mehr anzuklagen, loszulassen. Weil wir immer in Reaktion und Fremdbestimmung gefangen bleiben, wenn wir bekämpfen und anklagen, unser Handeln am Gegner ausrichten. Selbst der Gegner, den wir niederringen, hat für die Dauer des Ringens unsere Lebenszeit beansprucht und uns in diesem Maße unserer Freiheit beraubt.

Nietzsche spricht von den drei Verwandlungen, erst zum Kamel, dann zum Löwen und schließlich zum Kind. So manche Arbeits- und Konsumdrohne erkennt, dass Eigenverantwortung, Leistungsprinzip, Freiheit und glückliches Leben Hand in Hand gehen – und verwandelt sich zum Kamel. Zum Lasttier, dass sich für umso besser hält, je mehr Last es trägt. Das Kamel ist ein Nutztier und will nützlich sein. Viele fremde Lasten werden ihm aufgeladen und nach einer Weile begreift so manches Kamel, dass das nicht der Weg zum Glück ist. Also rebelliert es und verwandelt sich in einen Löwen. Der Löwe brüllt und kämpft. Er kämpft und rebelliert gegen die bestehenden Autoritäten. Er erkennt, dass ihn ihm ein König wohnt und will sich Freiheit und Selbstbestimmung erstreiten. Doch diese Kämpfe enden nie, denn Gewalt erzeugt Gegengewalt. Und so erkennt der ein oder andere Löwe, dass er nicht frei sein kann, so lange er das Pendel des Konflikts immer wieder anstößt. Er erkennt, dass er sich lösen muss und verwandelt sich zum Kind.

Das Kind ist vergesslich und voller Spieltrieb. Es vergisst die alten Konflikte und verliert sich in Spiel, Spaß und Kreativität. Das Kind ignoriert die Welt um sich herum und lebt im Hier und Jetzt. Und aus seinem Spieltrieb und seiner kreativen Schaffenskraft entsteht Neues. Denn es hat keine Angst Fehler zu machen. Schließlich ist alles nur ein großes Spiel. So wie das Leben selbst.

Und so, wieder zum Kind geworden, können wir unser Schicksal lieben lernen. Die alten Wunden vergessen und heilen lassen. Unsere Fehler nicht mehr ernst nehmen. Und das Spiel des Lebens angstfrei so spielen, als ob wir sicher sind, dass wir letztlich sowieso gewinnen. Dann sind wir frei.
Frei um all die kindischen Dinge zu tun, die uns Spaß machen. Burgen bauen, Schwerter schwingen, Reiche errichten und Dynastien gründen. Werden, wer immer wir sein wollen. Uns mit goldenem Gelächter in Spiel, Spaß und Abenteuer stürzen.

Was hast du als Kind gerne gemacht? Wirklich nur konsumiert? Oder eigentlich lieber kreiert und gespielt? Und wie viel von deiner Kreativität und deinem Spieltrieb hast du dir selbst abtrainiert und unterdrückt, weil du sozial konditioniert wurdest und gelernt hast, das Urteil anderer Menschen zu fürchten?

Wenn ich morgens aufwache, dann bin ich voller Tatendrang. Weil ich im Wollen statt im Müssen unterwegs bin. Weil meine innere Sonne auch schon um 0445 scheint, wenn es draußen noch Dunkel ist. Und weil ich keine Angst davor habe, Kind zu sein und mich mit meinem Spieltrieb lächerlich zu machen. Das Leben ist ein großer Abenteuerspielplatz und meine Fehler meine besten Lehrer. Leider hat jeder Tag nur 24 Stunden und es ist schwer, all die vielen Spiele so viel zu spielen, wie ich gerne würde.

Deswegen stehe ich so früh auf und verschwende meine kostbare Zeit nicht mit Konsum und Ablenkung. Viel mehr Freude macht mir das Spiel, die stetige Arbeit an mir selbst. Und so nähere ich mich jeden Tag ein kleines bisschen mehr dem „Ideal des übermütigsten, lebendigsten und weltbejahendsten Menschen“ an, „der sich nicht nur mit dem, was war und ist, abgefunden und vertragen gelernt hat, sondern es, so wie es war und ist, wiederhaben will, in alle Ewigkeit hinaus, unersättlich da capo rufend.“ (FN)

Max Reinhardt

Max Reinhardt arbeitet in Hyperborea an einem geheimen Forschungsprojekt zur Entwicklung einer Zeitmaschine, um die Geburt von Karl Marx, Karl Lauterbach und weiterer Sozialisten zu verhindern. Nebenbei schreibt und trainiert er und ruft entgegen behördlichen Anordnungen zu gemeinschaftlichen Wanderungen auf.

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