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Alternative Auswandern

8. Januar 2021
in 4 min lesen

Als Leser der Krautzone haben Sie sich bestimmt schon das eine oder andere Mal gefragt, was aus dem schönen Deutschland geworden ist, und ob es überhaupt noch Sinn macht, sich für den Erhalt immer stärker schwindender Werte und Traditionen einzusetzen. Oder ob es nicht einfach besser wäre, einen ganz anderen Ansatz zu wählen.

Ich habe vor einem knappen Jahrzehnt die zweite Alternative gewählt und Deutschland den Rücken gekehrt. Und das, obwohl ich mich, wahrscheinlich genau wie Sie, als Patriot verstehe. Um das ein wenig näher zu erklären, muss ich eine Unterscheidung treffen: Ich habe nicht Deutschland verlassen, sondern die Bundesrepublik. Deutschland konnte ich gar nicht hinter mir lassen, denn davon ist eben nicht mehr viel übrig.

Die Dinge änderten sich langsam

Lange Zeit beobachtete ich den Wandel, sah mir dabei zu, wie ich mich immer mehr entfremdete, sich Freunde und Familie von mir abwandten. Sehr subtil, keiner griff mich direkt an. Aber immer einsamer wurden meine Besuche im botanischen Garten oder die Abende beim Schnitzelwirt um die Ecke, während Bekannt- und Verwandtschaft das neue vegane Restaurant ausprobierten oder die Indoor-Kletterwand des lokalen Alpenvereins bestiegen statt einen Ausflug in die nahegelegenen Hausberge zu unternehmen, da ja auch der Alpenverein vor allem eines auf seiner Agenda hat: den Klimawandel zu stoppen.

Die quirlige Gemütlichkeit, das Leben und leben lassen, die gepflegten Dispute über kleinste Kleinigkeiten waren eines Tages verschwunden. Die uralte Nachbarin in der Wohnung unter mir war verstorben, die Wohnung wurde aufgeteilt, renoviert und an Singles weitervermietet, die mindestens so austauschbar waren wie ein T-Shirt von H&M. Ging ich die Treppen hinunter, stieg mir nicht mehr der Duft von frisch überbrühtem Kaffee in die Nase. Stattdessen sollte mir das teure Parfum der Stewardess, die, ihr Rollköfferchen hinter sich herziehend, gerade das Treppenhaus durchquert hatte, den Tag versalzen.

Es waren all diese Kleinigkeiten, deren Aufzählung sich endlos fortführen ließe. Und genau das war das Problem. Dieser schleichende Wandel, den irgendwie alle toll fanden, der mich aber erschreckte, entwurzelte, verstörte. Ok, ich gehöre der Boomer-Generation an. Wir sind alle in einem Alter, in dem gerne gemeckert wird. Man möchte das Rad nicht nur anhalten, man möchte es zurückdrehen, ohne abgehängt zu werden. Wir werfen mit platten Sprüchen um uns und sehnen uns nach rechtschaffenen Politikern. Idiotische Träumereien verzweifelter Menschen, die nicht loslassen können und trotzdem Schritt halten möchten.

Keine Heimat mehr

Nüchtern betrachtet wurde mir aber klar, was ich eigentlich wollte: Unaufgeregte Authentizität im eigenen Heim. Ich versuchte, das in meiner Heimatstadt zu verwirklichen, realistisch zu bleiben und Tatsachen anzuerkennen. Mein letzter Versuch scheiterte: Ich holte mir einen Hund ins Haus. Während eines abendlichen Spaziergangs im nahegelegenen Park geschah es dann. Erst beschimpfte mich eine junge Mutter, warum ich meinen Hund an einer Ausziehleine am Kinderspielplatz vorbeiführe. Er könnte ja… Auf dem Rückweg bemerkte ich dann eben diese Frau, wie sie die vollgekackten Windeln ihres Kindes in den Straßengraben warf.

Und als ich den Hund auf der extra dafür ausgewiesenen eingezäunten Fläche frei laufen ließ, gingen mich zwei Mittdreißiger an, ich hätte das Tier nicht unter Kontrolle, der Park stünde allen zur Verfügung, daher müsste ich dafür sorgen, dass, da sie sich entschieden hätten, ihr Picknick auf der Hundewiese abzuhalten, der Hund sie dabei nicht störe. An dem Abend hatte nicht nur meine Fellnase die Schnauze gestrichen voll.

So packte ich die Koffer und ging. Ich sammle keine Hundehinterlassenschaften mehr auf. Sie vermischen sich mit dem Kuhmist vor dem Gartentor meines eigenen kleinen, aber bezahlbaren Hauses in ländlicher Umgebung. Ich koche, was mir schmeckt, ich brauche keine Abstandsregeln einzuhalten, oder wenigstens nur sehr selten. Die Gespräche mit den Nachbarn drehen sich wieder um das Wetter und um neue Backrezepte. Und wenn mir die Milch doch mal ausgehen sollte, hilft der Bauer drei Häuser weiter immer gerne aus.

Refugium

Schreiben kann ich hier immer noch auf deutsch, den Alltag meistern in der fremden Sprache sehe ich heute eher als gewinnbringende Herausforderung denn als Verlust an. Mein Boomer-Herz freut sich über funktionierendes Internet auf dem Land und regelmäßige Flugverbindungen, um ab und an die zurückgelassenen Lieben zu besuchen (denn ja, es wird auch eine Welt nach Corona geben).

Nun sitze ich hier und erinnere mich an all das. Der Umzug, die Startschwierigkeiten im neuen Land, die Sprachbarrieren, das nicht selten einsetzende Heimweh, denn man ist ja doch nur ein Mensch. Ich komme ins Philosophieren… In der heutigen Zeit erzählt man uns oft, wir lebten in einer Wissensgesellschaft, Informationstechnologie bestimmt unseren Alltag.

Und während wir googeln und Wikipedia bemühen, um unsere Unwissenheit zu besiegen, haben wir vergessen, dass Wissen nicht nur ein Wissen wie ist (Know-how), sondern in erster Linie ein Wissen von etwas (Fakt). Nehmen wir noch einmal das Beispiel der Mittdreißiger im Park.

Ich hätte mich weiter darüber aufregen können, hätte mich über die Gesetzeslage informieren können, ob ich oder die beiden im Recht waren, wäre diesen Menschen vielleicht am nächsten Tag wieder begegnet, hätte mich auf eine Diskussion mit ihnen einlassen können. (Glauben Sie mir, das habe ich mehr als einmal in ähnlichen Situationen versucht, und ich bin immer gescheitert.

Was ist eigentlich Rückzug?

Vielleicht waren meine Argumente zu schwach, vielleicht waren die Unterschiede zu groß.) Dabei hätte ich aber den Kern des Übels nicht beseitigt. Sie hätten mich nicht verstanden. Und ich hätte sie damit nicht aus meiner Welt geschafft.

Sie mögen mir nun vorhalten, dass ich den Kampf aufgegeben und den Rückzug angetreten habe. Richtig. Aber ein guter Soldat weiß, was zu tun ist, wann der Zeitpunkt gekommen ist, genau dieses Was zu tun, denn er kann praktisches mit theoretischem Wissen verknüpfen und über den Tellerrand hinaus blicken, um rechtzeitig die Reißleine zu ziehen anstatt sehenden Auges in den Untergang zu stürmen. Ja, Deutschland, mein reaktionäres Herz vermisst dich manchmal. BRD, du hingegen kannst mir gestohlen bleiben.

Jeder soll auf seine Art glücklich werden und sein. Ich freue mich für alle, die sich da wohlfühlen, wo sie gerade sind. Aber Patriotismus für ein untergegangenes Land ist auf Dauer ungesund – jedenfalls für mich. Man kann sein kleines Leben auch andernorts lieben, Hauptsache, man fühlt sich daheim. Darum mein Appell: Wenn es nicht mehr geht, geht! Denn Fakt ist eben auch, seine kostbare Lebenszeit mit Meckern allein und dem Nachtrauern nicht wiederherstellbarer Zustände zu vergeuden, hilft, wenigstens mir, am Ende nicht.

Gastautor

Hier schreiben unsere Gastautoren, bis sie sich in unserer klebrigen Mischung aus Hass und Hetze verfangen, und schließlich als regelmäßige Autoren ein eigenes Profil bekommen.

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