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Max Mustermann entdeckt seine Kriegsbegeisterung

6. April 2023
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Von Wolfgang Thurmann

„Dulce et decorum est pro patria mori!“, hieß es bereits bei Horaz. Mit dem Satz wurden seinerzeit die Primaner, Handwerker, Lehrlinge, Künstler und Studenten entlassen und an die Front geschickt. Dort erwartete sie das Grauen, unsagbare Gräuel, Tod oder das zufällige Überleben, das sie aber ihr ganzes Leben nicht mehr froh machen sollte. Traumatisierung war damals noch ein Fremdwort, aber die „Kriegszitterer“ sind immerhin gut dokumentiert, ebenso die, welche im Traum immer wieder aufgeschrien haben.

Daher hat man seit dem 19. Jahrhundert – frühestens seit dem Krimkrieg 1853/56 – drastische Fotos Verstümmelter und Verfaulter vermieden, auch im Sezessionskrieg 1861/65 und in der Schlacht bei Königgrätz 1866. Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gings noch halbwegs heroisch ab, etwas drastischere Bilder gab es aber dann bereits vom Russisch-Japanischen Krieg 1904/05.

Ganz anders im 1. Weltkrieg. Gab es anfangs darüber noch eine Art Postkarten-Romantik stürmender Männer oder geschmückter Heldengräber, wurde schon bald die grausige Realität per Film eingefangen, oftmals aber nur nachgestellt, doch die zerfetzen Leiber und umherliegenden Gliedmaßen konnten genauso wenig verborgen werden wie die vierfach Amputierten oder die völlig entstellten Gesichter der Überlebenden. Im 2. Weltkrieg waren hüben wie drüben beflissene Propaganda-Kompanien tätig, doch wurde der heroische Schein durch viele eindrucksvolle Privatfotos konterkariert, wiewohl aus gutem Grund das Fotografieren auch für die Landser naturgemäß verboten war.

Was dann von Korea, Vietnam bis Irak aus USA-Sicht nicht aufgenommen werden durfte oder höchstens als menschenleere Schlachtkulisse dargestellt wurde, soll hier nicht weiter erwähnt werden. Bekannt ist immerhin, dass die US-Army regelmäßig patriotische Kriegsfilme mit finanziellen Mitteln unterstützt. Dies taten sie natürlich schon einmal nicht bei Terrence Malicks grandiosem Antikriegs-Film „Der schmale Grat“ (1998).

Der eigentliche Skandal liegt also stets im Verschweigen, Verschleiern und Wegschauen von der Wirklichkeit des Krieges, ja der Entfachung von Aggression durch Propaganda und Desinformation! Der Ukraine-Krieg bietet uns dazu das beste Beispiel. Den einstmals pazifistischen Grünen können plötzlich nie genug Panzer aufrollen, die Schnapsnase Jean-Claude Juncker bekennt lauthals, das Freiheit vor dem Frieden käme, allerhand bräsige Ex-Generäle, deren Kriegserfahrung höchstens aus Scharmützeln am Hindukusch herstammt, gefallen sich in strategischen Geschwurbel und so manches TV-Studio wird unversehens zu einem militärischen „Lagezentrum“, wo über die Vorzüge von Kriegsgerät und diversen taktischen Manövern endlos geschwätzt wird.


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Besonders widerlich geht dabei die „Bild“-Zeitung vor. Hier wird meistens das Gefechtsfeld von oben gezeigt (nicht ohne stets die Authentizität zu betonen), um dann Panzer, Stellungen oder Hubschrauber wie in einem Art Video-Spiel auszuknipsen. „Panzer löscht Nazi-Söldner aus“, so ein einschlägiger Kommentar dazu. „Auslöschen“, „Ausschalten“ „Neutralisieren“ oder „Erledigen“ sind dabei die gängigen Vokabeln unserer linken, großmäuligen Meisterstrategen. Dass in so einem beinahe malerisch explodierenden Gefährt gerade etliche an die Front gezwungene junge Menschen zerrissen und verbrannt werden oder schwer verwundet nach ihren Müttern rufen, ficht diese moralisch gewendeten Kriegstreiber natürlich nicht an. Ebenso wenig, wie die empfindungslos gemachten amerikanischen „Soldaten“ vor ihren Video-Schirmen in Stuttgart oder Ramstein, wenn sie ihre todbringende Drohnen-Last tausende Kilometer (Achtung Frau Baerbock!) weiter auf Zivilisten abladen. Ja, auch dies ist in einem immer noch okkupierten Deutschland tägliche Realität!

Die zunehmende Entmenschlichung erschließt sich im Gespräch mit manchen Zeitgenossen erst so richtig, wenn oft spürbar entgeistert auf die Schilderung über einen traumatisierten Überlebenden, der im Afrika-Feldzug aus einem brennenden Panzer ausbootete, reagiert wird. Der Verfasser dieser Zeilen hat solches spontane Erinnern in seiner Jugend unter sehr dramatischen Umständen selber miterlebt und nie mehr vergessen. Ja, immerhin überlebt, aber was ist mit den gegenwärtig abgeschlachteten „Helden“ in der Ukraine, den „Freiwilligen“ und den Zwangsrekrutierten auf beiden Seiten? Sie sind lediglich bedauernswerte Opfer eines falschen Patriotismus, der sich aus Größenwahn, Großmachtstreben und waffenindustriellen Interessen zusammensetzt.

Befeuert von ethisch heruntergekommenen Hetzern, denen ein paar Wochen an der realen Front in Blut und Schlamm von ganzem Herzen zu gönnen wäre! Bizarr überdies, dass man offenbar nun auch nur ein paar (begrenzte?) Atomschläge in Kauf nehmen möchte, so als ob allen davon Betroffenen damit auch noch der letzte Rest an Vernunft und Phantasie ausgetrieben werden sollte.

Der große deutsche Lyriker Günter Eich schrieb im 2. Weltkrieg sein berühmtes Gedicht „Latrine“, das auf Hölderlins Hymne „Andenken“ (1803) Bezug nimmt. Eich paraphrasiert es bitter, indem er Schlamm, Blut und Verwesung thematisiert, mit den Verszeilen Irr mir im Ohre schallen/Verse von Hölderlin. Die durch und durch verlogene Kriegspropaganda, die sich allermeist mit den bzw. dem „Idealen“ tarnt, geht nicht mit der Wirklichkeit zusammen. Wer das noch immer nicht begriffen hat, dem wird auch nicht mehr zu helfen sein. In völliger satanischer Verkehrung aller Werte, die uns noch geblieben sind, könnte die österreichische Friedensnobel-Preisträgerin Bertha von Suttner, deren Todestag sich 2024 zum 110. Mal jährt, mit ihrem höchst aktuellen Appell „Die Waffen nieder!“ schließlich ja auch noch als Vorkämpferin für die Unfreiheit bezeichnet werden, wer weiß?

Gastautor

Hier schreiben unsere Gastautoren, bis sie sich in unserer klebrigen Mischung aus Hass und Hetze verfangen, und schließlich als regelmäßige Autoren ein eigenes Profil bekommen.

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