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China und die USA – Auf Kollisionskurs

11. März 2021
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Es gibt keinen Zweifel mehr: In den nächsten Jahrzehnten wird die Rivalität zwischen Amerika und China die Weltpolitik dominieren. Bereits in seinem ersten Telefongespräch mit dem chinesischen Staats- und Parteichef warf US-Präsident Joe Biden am 10. Februar Xi Jinping den Fehdehandschuh hin und drohte ihm einen „extremen Wettbewerb“ an.

Die “Shandong“, Chinas erster selbstgebauter Flugzeugträger. Bildquelle: GG001213, CC0 1.0, Wikicommons

Die “Shandong“, Chinas erster selbstgebauter Flugzeugträger.
Bildquelle: GG001213, CC0 1.0, Wikicommons

Schon kurz nach seinem Amtsantritt hatte Biden sein außenpolitisches Grundsatzprogramm verkündet, das bei Europas Eliten Jubel, bei realistischen Beobachtern indes Befürchtungen auslöste: In Abkehr von seinem isolationistischen Vorgänger Trump beansprucht Biden für die USA erneut die internationale Führungsrolle und verspricht, „Demokratie, Freiheit und Menschenrechte“ wieder ins Zentrum zu stellen – besonders hinsichtlich autoritärer Staaten wie China und Rußland.

Jetzt weht ein anderer Wind

Damit wird einmal mehr Programm, was der ehemalige Präsidentenberater Henry Kissinger als „amerikanischen Exzeptionalismus“ gegeißelt hat. Dieser sei missionarisch und stehe für die Ansicht, „daß die USA die Pflicht haben, ihre Werte auf der ganzen Welt zu verbreiten“.

Statt dessen plädierte Xi in dem Telefonat mit Biden für Kooperation und warnte Trumps Nachfolger vor einer Konfrontation, „die definitiv für beide Länder und die Welt katastrophal ist“.

Im Konflikt zwischen beiden Großmächten geht es somit nicht nur darum, wer die globale Führungsrolle einnehmen wird, sondern auch um eine weltanschauliche Grundsatzfrage: Wird das Eine-Welt-Konzept des Westens mit dem Ziel einer die Nationalstaaten eines Tages obsolet machenden Weltregierung das Ende der Geschichte sein, oder ist nur die fortdauernde Koexistenz souveräner Staaten realistisch, weil dies allein auf Dauer den Frieden sichern kann?

Auf dem im Januar virtuell abgehaltenen Davos-Wirtschaftsforum erklärte Xi, so wie es in der Natur keine zwei Blätter gebe, die genau gleich seien, so gebe es unter Völkern und Nationen auch keine identische Geschichte oder Kultur und keine identischen sozialen Systeme.

Diese dauernde Vielfalt sei eine objektive Realität und bedinge die Achtung der jeweiligen Souveränität sowie die Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten.

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Ambitionierte Pläne

Kulminationspunkt der chinesisch-amerikanischen Konfrontation könnte das Jahr 2049 werden, an dessen erstem Oktobertag die Volksrepublik den hundertsten Jahrestag ihrer Gründung feiert. Zu jenem Datum, so das von Xi Jinping proklamierte Ziel, sollen sowohl Hongkong und Macao als auch die Insel Taiwan wieder Festlandchina eingegliedert sein.

Während die ehemals britische Kronkolonie Hongkong im Juli 2047 – fünfzig Jahre nach Rückgabe der Briten und, als Sonderverwaltungszone ausgestattet mit weitgehenden Autonomierechten gemäß dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ – endgültig Teil Chinas wird, folgt zwei Jahre später die einstige portugiesische Kolonie Macao nach den gleichen Regeln. Doch ob bis 2049 auch die Wiedervereinigung mit Taiwan gelingt, hängt nicht zuletzt von den USA ab.

Drei von Biden in seinem Telefonat angesprochene Themen sind es, die der Volksrepublik den Vorwurf des Bruchs des Völkerrechts und der Verletzung der Menschenrechte eintragen: Taiwan, Hongkong und Xinjiang. In allen drei Fällen – für Peking rote Linien, da sie die nationale Souveränität und territoriale Integrität tangieren – wird in den hiesigen Mainstream-Medien meist lückenhaft und damit einseitig berichtet.

So ist die Behauptung, das „demokratisch regierte Taiwan“ habe nie zur kommunistischen Volksrepublik gehört, absurd, denn das Völkerrecht kennt nur Staaten, nicht Regierungen. Unstrittig ist, daß die Insel 1683 dem chinesischen Kaiserreich eingegliedert wurde, seit 1895 japanische Kolonie war und 1945 der Republik China zurückgegeben wurde.

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Taiwan – Schlachtfeld der Zukunft?

Nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten unter Mao Zedong war die nationale Regierung des Generalissimus Tschiang Kai-schek 1949 nach Taiwan geflohen und hatte, von den USA politisch und militärisch unterstützt, auf die Rückeroberung des Festlands gehofft – im Glauben, das isolierte und im Westen geächtete KP-Regime werde bald zusammenbrechen.

Da die Republik China (so nennt sich Taiwan offiziell bis heute) 1945 Gründungsmitglied der Vereinten Nationen war, hatten ihre Vertreter auch als Exilregierung einen der fünf Ständigen Sitze im Weltsicherheitsrat inne.

Im Oktober 1971 indes erlitten die USA mit dem Ausschluß Nationalchinas aus der UNO und der Übertragung der Mitgliedschaft auf die Volksrepublik ihre bislang schwerste diplomatische Schlappe.

Schon fünf Monate später zog Richard Nixon auf Anraten seines Vertrauten Kissinger die Konsequenzen und besuchte als erster US-Präsident in Peking den Erzfeind von gestern.

Im Schanghaier Communiqué vom 27. Februar 1972 bestätigten die USA, daß Taiwan wie Tibet ein integraler Bestandteil Chinas sei, und verpflichteten sich zur Nichteinmischung in dessen innere Angelegenheiten. 1979 tauschten beide Staaten Botschafter aus.

Washington brach die diplomatischen Beziehungen zur Republik China ab, versprach der Insel aber im „Taiwan Relations Act“ weitere militärische Hilfe und erkannte die Regierung der Volksrepublik als einzig rechtmäßige ganz Chinas an. Seitdem hat jedes Land, das Beziehungen mit Peking unterhält, diese Ein-China-Politik akzeptiert.

Taiwan wird nur noch von fünfzehn Kleinstaaten, darunter dem Vatikan, als „Republik China“ anerkannt. In den USA wollen jetzt jedoch offenbar sowohl die Republikaner als auch die Demokraten ihre bisherige Position revidieren. Für Peking wäre ein derartiger Vertragsbruch der Casus belli.

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Die Sache mit Hongkong

Im Fall Hongkong wird in hiesigen Medien gern unterschlagen, daß die vornehmlich von jungen Leuten aus der Mittelschicht getragene Demokratie-Bewegung keineswegs den Anspruch erheben kann, allein für die ehemalige Kolonie zu sprechen.

Rund drei Millionen Einwohner unterzeichneten im Mai 2020 eine Petition zur Unterstützung eines vom chinesischen Volkskongreß beschlossenen Sicherheitsgesetzes; einer der Initiatoren war der Kung-Fu-Star Jackie Chan.

Als es immer häufiger zu blutigen Straßenkämpfen mit der Polizei kam und Rufe nach der Unabhängigkeit Hongkongs laut wurden, sah sich die Pekinger Regierung zum Eingreifen gezwungen und setzte Ende Juni das Sicherheitsgesetz in Kraft, das „Separatismus, Subversion, Terrorismus und Verschwörung mit ausländischen Kräften“ unter Strafe stellt.

Verglichen mit der Lage unter der britischen Herrschaft von 1842 bis 1997, genießen die rund sieben Millionen Einwohner trotz des neuen Gesetzes Freiheiten und Rechte, die in der Kolonialzeit undenkbar waren.

Chinas Antwort auf den Islamismus

Daß die Uiguren in Xinjiang von zugezogenen Han-Chinesen dominiert werden, ist unstrittig. Wie Trumps ehemaliger Außenminister Mike Pompeo und dessen demokratischer Nachfolger Antony Blinken von „Völkermord“ zu sprechen, geht jedoch entschieden zu weit.

Ob es in Xinjiang Straflager und Zwangsarbeit gibt, oder ob es sich, wie Peking behauptet, um Gebäudekomplexe handelt, die der Berufsausbildung dienen, um islamistischen Extremismus auszumerzen, ist kaum nachprüfbar. Die in westlichen Medien präsentierten Kronzeugen sind wenig glaubwürdig.

So soll Adrian Zenz, ein deutscher Anthropologe, Peking zufolge nie in Xinjiang gewesen sein. Gleichwohl hat er 2019 in den USA eine Studie veröffentlicht, in der es heißt, seit Ende 2016 seien rund eine Million Uiguren interniert worden. In einer weiteren Studie behauptet er, die chinesische Regierung habe ein Programm zur gewaltsamen Geburtenkontrolle mit erzwungenen Abtreibungen eingeführt. Dafür soll Zenz nur acht uigurische Frauen interviewt haben, die im Exil in den USA leben.

Fest steht indes, daß es zwischen 1997 und 2015 Terroranschläge mit mehr als 430 Todesopfern gab, verübt von Untergrundkämpfern, die für Xinjiang einen Gottesstaat anstreben. Vielleicht sollten die Kritiker einmal nach Frankreich blicken, das ähnlich wie China vom radikalen Islamismus heimgesucht wird und über ein Gesetz gegen „religiösen Separatismus“ debattiert, das eine stärkere Aufsicht über Moscheen, Schulen und Sportvereine vorsieht.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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