Von Wolfgang Thurmann
Der große griechische Denker Heraklit hat es einmal gesagt: „Der Charakter ist das Schicksal des Menschen.“ Ist das wirklich so, oder ist dieser auch eine gleichsam variable Größe und nicht aber eine Grundkonstante des Menschseins? Man kann angesichts der schicksalhaften Verwerfungen und ideologischen Kehren im 20. Jahrhundert zumindest einmal daran zweifeln. Waren es im wilhelminischen Kaiserreich Dichter des Naturalismus oder der göttliche, unglückliche Oskar Panizza („Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heiß Vernunft“), die zu Recht den hohl gewordenen Hurra-Patriotismus kritisierten, so gingen es die Kritiker des Deutschtums in der Weimarer Republik schon weitaus radikaler an. Heinrich Mann, Bert Brecht, Kurt Tucholsky („Soldaten sind Mörder“) und Carl von Ossietzky als gesellschaftspolitische Speerspitzen nahmen Militarismus und Untertanengeist gleichsam auf die Schippe, griffen jedoch auch den tradierten Volksgeist an sich an.
Das Nationale wurde in Frage gestellt, angegriffen und verhöhnt, stattdessen dem Kosmopolitismus das Wort geredet, wobei Deutschland nach wie vor durch den Versailler Vertrag wirtschaftlich schwer bedrückt war und sich beträchtliche Landesteile in West und Ost in den Händen der sogenannten Siegermächte bzw. entsprechenden Mandaten befanden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag die Nation in Schutt und Asche, Millionen an der Front und an der Heimat waren hingeopfert und allmählich wurden auch die unsäglichen Verbrechen in den Konzentrationslagern und im Osten offenbar.
Längst aber hatten sich in den USA und Großbritannien ganze Konsortien von Abwehrspezialisten, Propagandisten und Psychologen zusammengefunden, die sich übrigens aus einem nicht unbeträchtlichen Teil von Emigranten rekrutierten, welche wiederum ihre ideologischen Grundlagen aus der Mitte der 20er Jahre begründeten „Frankfurter Schule“ bezogen. Deren „kritische Gesellschaftsanalyse“ wandte sich vehement gegen Volk und Nation, dekonstruierte, ja fragmentierte diese, wobei die marxistische Theorie eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Es war diesen Protagonisten der Alliierten natürlich klar, dass ein rein nur militärischer Sieg über das feindliche Deutschland nicht wirklich „nachhaltig“ sein könnte. Das Beispiel des niedergeworfenen Kaiserreichs und der neuerlichen geistigen wie materiellen Aufrüstung stand ihnen dabei durchaus vor Augen.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist übrigens eine wenig bekannte Kurzgeschichte des bedeutenden österreichischen Zeichners und Autors Alfred Kubin. Bereits 1925 schrieb er eine hinreißende Satire namens „Engländerinnen“. Zwei Damen der „Liga englischer Friedensfreundinnen“ wollen in Deutschland dem unausrottbaren Militarismus nachspüren, was irgendwie etwas daneben geht. Als sie einen kleinen gestiefelten Jungen mit einer Trommel erblicken, schicken sie ein hysterisches Telegramm nach Downing Street: „Bemühungen erfolgreich, Urzelle des Militarismus soeben einwandfrei festgestellt, Grace Bluedevil, Gwendolin Witchcraft.“ Kubin hat natürlich dazu eine köstliche Federzeichnung angefertigt.
Doch zurück zur Tragödie des 2. Weltkriegs. Bald nach dem August 1944 wurde der sogenannte Morgenthau-Plan durchgestochen und auch in Deutschland bekannt gemacht. Der Plan zur totalen Entwaffnung, Rechtlosigkeit und Rückführung der Besiegten in ein Agrarland musste von Roosevelt und Churchill rasch zurückgezogen werden und wird seitdem sozusagen als Fake News der Alt- und Neurechten gehandelt, wie dies die offiziöse Geschichtsschreibung vermerkt. Tatsache jedoch ist, dass darüber von Seiten der Alliierten ernsthaft diskutiert worden ist.
Klügere Köpfe wollten dann schließlich doch den Leichnam eines total geschlagenen Landes wieder etwas zum Leben erwecken, denn es ging ja wohl ums Kalkül von Ökonomie und Machtpolitik im Kalten Krieg. Beiden Zielen konnte Deutschland nach diversen Infusionen wie beispielsweise dem Marshallplan relativ rasch wieder nachkommen, aber diesem Land sollte nun wenigstens der Kopf abgeschlagen werden. Volksgeist, Kultur, Tradition und historische Erinnerung waren für diesen Golem natürlich gänzlich unerwünscht, auch die wissenschaftlichen bzw. technischen Innovationen sollten möglichst „transatlantisch“ zum Vorteil gereichen. Soweit nur im Groben zu diesem wahrhaft tragischen Märlein eines geistigen wie seelischen Untergangs.
All dieses akribisch zu erforschen und aufzuarbeiten hatte sich schließlich der Münchner Caspar von Schrenck-Notzing (1927 – 2009) unterworfen. – Ein freilich schier monströses Vorhaben, dem sich der Historiker und Soziologe zu stellen hatte! Aus einer ziemlich illustren Familie stammend wurde er als namhafter Publizist zum Mitbegründer der Zeitschrift „Criticón“, die lange Zeit über als das Theorieorgan des rechten oder besser reaktionären Konservatismus in Deutschland und darüber hinaus galt. Er gründete zuletzt die „Förderstiftung konservative Bildung und Forschung“ und verstand sich stets als enger Mitstreiter Armin Mohlers. Besonderes Interesse hatte er am amerikanischen wie britischen Konservatismus und versuchte hier auch in entsprechende Kreise der CDU einzuwirken. Er starb 81jährig, seine umfangreiche Bibliothek bildete sodann den Grundstock der „Bibliothek des Konservatismus“, die 2012 in Berlin-Charlottenburg eröffnet wurde und seitdem eine gewisse ideologische Strahlkraft gerade auch für die AfD besitzt.
Als Caspar Schrenck-Notzings publizistisches Meisterwerk ist auf alle Fälle das 1965 herausgebrachte Buch „Charakterwäsche. Die amerikanische Besatzung in Deutschland und ihre Folgen“ (Seewald Verlag, Stuttgart 1965; hernach verschiedene Nachauflagen bis 2018) zu benennen. Mit enormer Detailliertheit wird hier facettenreich der angloamerikanischen Umerziehung sprich Reeducation seit 1945 nachgegangen. Die Quellen sind atemberaubend und vor allem für die Jetztzeit besonders erhellend. Wer wissen möchte, warum politische Hohlköpfe stets ihre abgeschmackten Predigten leiern, warum unsere Kinder und Enkel nichts mehr von der Vergangenheit und Zukunft wissen wollen, ja können und warum die Antifa sich etwa nochmals den Dresdner Feuersturm wünscht, wird sich zunächst einmal über alle diese blankgewaschenen Hirne wundern, nach der Lektüre dieses Werks wohl nicht mehr. Der Autor beschreibt akribisch die in die Tat umgesetzte Reeducation chronologisch in ihren perfiden Zusammenhängen.
Die Umerziehung der Deutschen ist mit Sicherheit als eines der prägendsten Ereignisse der Nachkriegsgeschichte zu bewerten, weil sie grundlegend in Mentalität und Denken der Bevölkerung eingriff. Vermittels spezieller Zeitungslizenzen, Amerika-Häusern und sonstigen Bildungsinstitutionen wie den Universitäten wurde der American Way of live in die Hirne der geschockten und verängstigten Deutschen gepflanzt. Film, U-Musik, neue Sitten und das Infragestellen überlieferter Traditionen und Moralvorstellungen taten das Ihre dazu. Mit bewährten aus der Kriegspropaganda stammenden psychologischen Tricks und dem Konsumismus wurde vor allem die Jugend konfrontiert, denn ihr traute man am allerwenigsten über den Weg, hatte sie doch bis zum Kriegsende einen geradezu unheimlichen Durchhaltewillen gezeigt, der gleichwohl natürlich ebenso propagandistisch gelenkt war.
Psychologie und Pädagogik, vor allem aber die Politisierung der Psychoanalyse formten schließlich den „neuen Deutschen“-schuldbewusst und friedfertig bis zum Abwinken – für eine Nachkriegsordnung, der den USA zupasskommen sollte. Dieses Riesenexperiment hatte zuletzt nicht wirklich mehr Anleitungen seitens der politischen Eliten gebraucht, alles und jedes wurde quasi zu Selbstläufern und setzte sich in den kommenden Generationen fest. Peinliche Fragen wurden und werden noch mittels gesellschaftlicher Verfemung verhindert, Tabus als Totempfähle aufgestellt und die allzu Vorlauten in isolierte gesellschaftliche Bereiche verbracht.
Vor allem die Sprache wurde und wird umgemodelt, ja gleichgeschaltet. Eine ganz hervorragende erhellende Studie dazu hat übrigens Manfred Kleine-Hartlage mit seiner Publikation „Die Sprache der BRD“ (2019) geschaffen. Diese Selbstkonditionierung breiter Volksschichten ist das freilich gespenstische Ergebnis jener Reeducation, die Schrenck-Notzing so fulminant und stringent zur Sprache bringt. Dass nunmehr allerlei Widerspruch unter den Deutschen plötzlich aufbricht, alarmiert die transatlantischen Heloten und ihre Bärenführer allerdings zunehmend, musste daher auch folgerichtig zur entsprechenden Diskriminierung, Verleumdung und Verfolgung führen. Ob dieses Aufbäumen gegen diese jahrzehntelangen „Erziehungsmaßnahmen“ auch nachhaltigen Erfolg bringen wird, bleibt allerdings wohl abzuwarten.
Gut möglich wäre es, wenn man die Neuauflage derCharakterwäsche rasch in die Giftschränke der Nomenklatura sperren würde, denn es gibt bekanntlich solche längst in den öffentlichen Bibliotheken, und im Internet wird das Buch ohnehin als gänzlich suspekt hingestellt. Daher sollte es dringend angeschafft, weitergegeben oder verschenkt werden, denn es birgt großen aufklärerischen Sprengstoff und ist förmlich Samisdat würdig. Caspar von Schrenck-Notzings geistiger Nukleus aus allen seinen Erkenntnissen ist vermutlich dieser geradezu geschichtsträchtige, brillante Satz:
„Allerdings hat sich seither die Herrschaftstechnik erheblich verfeinert und ist von der Zensur der Antworten zu Suggestion der Fragen fortgeschritten.“
Und müssen selbst wir nicht dann und wann einbekennen, dass uns das Trommelfeuer der Umerziehung gelegentlich auch in die Unterstände und Schutzräume gedrängt hat?
Caspar von Schrenck-Notzing, Charakterwäsche. Die Re-education der Deutschen und ihre bleibenden Auswirkungen. (1. Aufl. der Sonderausgabe, Kopp Verlag, Rottenburg 2018)