Dunkel
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Dan Taylor, CC BY 2.0, Wikicommons

Der stille Elon

13. November 2022
in 4 min lesen

Dem Silicon Valley mangelt es gewiss nicht an kontroversen Figuren. Aber nicht jeder dahergelaufene Multimilliardär kann heute von sich behaupten, eine Dating-App für Konservative auf den Weg gebracht zu haben und in seiner Freizeit Leo Strauss und Carl Schmitt zu lesen. Nachdem die Personalie Musk im alternativen Milieu kürzlich wieder ausgiebig thematisiert und mit unterschiedlichen Urteilen auf den Status Hoffnungsträger geprüft wurde, ist es an der Zeit, einen vielleicht interessanteren Kopf aus der Tech-Enklave, im Besonderen seine wichtigste Schrift, näher zu beleuchten.

Der 1967 in Frankfurt geborene und in den USA aufgewachsene Peter Thiel machte zunächst als Mitbegründer und zeitweiliger CEO von PayPal ein Vermögen. Als Venture Capitalist fungierte er unter anderem als erster großer Kapitalgeber für Facebook. Nachdem er in den letzten Jahren als Kampagnenfinanzier für republikanische Senatorenanwärter auftrat und sich Vertrauten zufolge auf die Midterm Elections im November konzentrieren wollte, gab er im Februar seinen Rückzug aus dem Meta-Vorstand bekannt. Zuletzt ging im September die Dating-App „The Right Stuff“ online, die sich an Konservative richtet und von Thiel mitfinanziert wurde.

So weit, so mainstream-neokonservativ, werden nun einige sagen. Damit täte man ihm jedoch unrecht, gerade dann, wenn man seinen in den frühen 2000ern erschienenen Essay „The Straussian Moment“ nicht kennt. Dort diagnostiziert Thiel eine Ausschaltung der Frage nach dem menschlichen Wesen als zentrale Motivation politischen Handelns, die sich seit der Aufklärung und spätestens der kapitalistischen Neuzeit vollzogen habe. Im Einzelnen werde dies in der rein ökonomistischen Diskursführung seit der Aufklärung deutlich – Marx und Smith seien wohl darüber einig, dass ein Gott spätestens seit dem Westfälischen Frieden am wenigsten als konstitutives Element sozialen Lebens tauge –, und daraus folgend in einer seit John Locke im Westen herrschenden Instinktbescheidenheit. Ihr zufolge wisse ohnehin niemand, was die Welt im Innersten zusammenhält, und daher komme „the right to life, liberty, and the pursuit of happiness“ der oberste Rang für das Individuum zu, welches sich auf absolute Weltanschauungen nicht mehr berufen und nach ihnen nicht mehr leben könne und müsse.

So gesehen hat diese Art von ironischem Pragmatismus von Amerika aus den Menschen der Moderne geschaffen. Thiel nennt die abgelegte Forderung nach einer verbindlichen Antwort auf die Frage darüber, was den Menschen ausmacht, wem er dienen und wie er seinen Mitmenschen gegenübertreten soll, „die große Unbekannte X“. Wenn etwa Republikaner sich als stolze Christen verstünden, so unterscheiden sie als Materialisten und Säkularisten, die sie nun mal sind, in ihrem persönlichen Leben doch sehr stark zwischen Sonn- und Werktag. Das Bekenntnis zu einer Religion ist auf der persönlichen Ebene zu einem individualistischen Etikett verkommen, und nur in „rückständigen“ Weltregionen berufen sich politische Institutionen noch auf verbindliche Glaubenswahrheiten.

„Instead of violent wars, there could be violent video games; instead of heroic feats, there could be thrilling amusement park rides; instead of serious thought, there could be ‚intrigues of all sorts,‘ as in a soap opera. It is a world where people spend their lives amusing themselves to death.”

– Peter Thiel, The Straussian Moment


Während Locke nun den Ausgang des Westfälischen Friedens als Quod erat demonstrandum für die Sinnhaftigkeit der Säkularisierung sehe, sei für den katholischen Staatsrechtler Carl Schmitt gerade dies der Beweis für das „Wesen des Politischen“, das aus der Unterscheidung zwischen Freund und Feind besteht und welches Schmitt rücksichtslos bejahte. Sobald größere Teile der Welt diese Unterscheidung nicht mehr träfen, seien sie von der Technikreligion besessen, die der „Antichrist“ auf den Weg bringe und perpetuiere. Hier scheint es so, als begreife Thiel die amerikanischen Verhältnisse nicht etwa als Fukuyamasches Ende der Geschichte, sondern erkenne möglicherweise durch seine europäische Herkunft bedingt die Sonderstellung der USA, insbesondere ihre strukturellen Entstehungsanomalien im Vergleich zu europäischen Staaten. Daraus ergibt sich für ihn – und hierin folgt er Schmitt –, dass ihre Hegemonialstellung politisch und weltanschaulich nur für eine gewisse Zeit als relativ ungefährdet gelten kann.

Schließlich zieht er den deutsch-jüdischen Politologen Leo Strauss heran, der vor allem für die These bekannt ist, die Aufklärung habe die Menschheit in eine „zweite platonische Höhle“ geführt. Trotz des moralischen Universalismus, auf den sich die amerikanische Regierung stützt, sei es laut Strauss nötig, diesen Universalismus mit herkömmlichen politischen, „amoralischen“ Machtmitteln durchzusetzen. Amerika verdanke seine Größe nicht seinem konsequenten Festhalten an den Grundsätzen von Freiheit und Gerechtigkeit, sondern der vereinzelt gezielten Abweichung von denselben. Da sich Thiel wiederholt außenpolitisch anti-interventionistisch äußerte und sich sicherlich keine Globohomo-Welt wünscht, besteht diese Behauptung des libertär-konservativen Weltbildes für ihn nicht im „Demokratieexport“ der Neocons, sondern in der Verteidigung dieses Entwurfs gegen drei andere mögliche Weltalternativen, die allesamt auch im Inneren von genuin autoritärem Charakter sind. Diese seien: islamische Scharia-Herrschaft, Technototalitarismus nach chinesischem Vorbild und Ökosozialismus.

Entgegen seiner individuellen, wahrscheinlich atheistischen Disposition erkennt Thiel die historische Normalität der Orthodoxie, des nicht-logischen Mythos, als konstitutives Element sozialer Gemeinschaft, das spätestens dann zurückkehren muss, wenn die echt-autoritären Weltalternativen sich anschicken, die liberal-kapitalistische Hegemonie herauszufordern. Dann wird sich die nicht-totalitäre Welt auf ihren Kern besinnen, einige ihrer modernen Ablagerungen abwerfen und sich nach außen mit einem gesunden Mangel an Kompromissbereitschaft verteidigen müssen. Dieser Übergang müsse von klugen Staatsmännern gestaltet werden – „Christian statesmen and stateswomen“ –, deren zentrale Aufgabe darin bestehe, „die richtige Mischung aus Gewalt und Frieden zu finden“. Er scheint sehr wohl zu wissen, welche zwar nicht unmaßgebliche, aber letztlich rein beschleunigende Rolle er als „Tech-Gigant“, Trump-Unterstützer, Kasparow-Duzfreund und Basierte-Dating-App-auf-den-Weg-Bringer im von ihm selbst diagnostizierten modernen Interregnum spielt. Dasselbe mag auch für Musk gelten, und wer weiß, vielleicht sehen wir bald eine verstärkte Zusammenarbeit der beiden – es wäre den USA sehr zu wünschen.

Gastautor

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