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Der Ursprung des Wahnsinns – Teil 1

12. Oktober 2021
in 6 min lesen

Wer kennt sie nicht, die Binsenweisheiten des Jahres 2021: Geschlechter sind – wie eigentlich alles Wesentliche – sozial konstruiert, Rassismus gegen Weiße kann es gar nicht geben, und wer nicht täglich seine Privilegien „checkt“, gibt sich als weißer Suprematist zu erkennen. Einlassungen dieser Art finden sich immer häufiger in den meinungsbildenden Medien der westlichen Welt, häufig vorgetragen von Wissenschaftlern und Experten, die einem hochideologisierten, gleichermaßen abstrakten wie dogmatischen Theoriekomplex den Anstrich eines derzeitigen Forschungsstandes der Wissenschaft verleihen sollen. Eine zunehmende Obsession mit Sprache ist ebenfalls deutlich erkennbar. Der Begriff „Curry“ ist ins Fadenkreuz geraten, wie zuvor schon „Toast Hawaii“ oder das „Schwarzfahren“.

Bahlsens Afrikakeks wurde umbenannt, ebenso wie die Zigeunermadonna und 142 weitere Kunstwerke der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. All das lässt sich auf eine postmoderne Neuausrichtung des Denkens zurückführen, die hier in einer zweiteiligen Serie in Grundzügen nachgezeichnet werden soll.

Die Abschaffung der Wahrheit

Die postmodernen Theorien entwickelten sich im Frankreich der 1960 bis 70er Jahre. Nach zwei Weltkriegen und der ausgebliebenen proletarischen Weltrevolution zeigte man sich vorallem auf Seiten der linken Intelligenz in höchstem Maße desillusioniert. Der Marxismus, der bis dahin den theoretischen Rahmen der akademischen Linken gebildet hatte, erwies sich als unfähig, die aktuellen Entwicklungen adäquat beschreiben zu können.

Als sogenanntes Metanarrativ, das eine ganzheitliche, sinnstiftende Erklärung der Welt und ihrer Triebkräfte lieferte, wie es zuvor die Aufklärung als Philosophie der Moderne mit ihrem Fokus auf Vernunft, Individualismus und Fortschrittsglauben und davor das Christentum getan hatten, hatte der Marxismus ausgedient. Französische Denker wie Lyotard, Foucault und Derrida, die im Angesicht von Millionen Weltkriegstoten weder das Wirken eines Vernunftwesens, noch einen steten Fortschritt erkennen konnten, entwickelten eine profunde Skepsis gegenüber Metanarrativen und ihren vermeintlich universell gültigen Wahrheiten und Erklärungsmodellen.

Dieses Misstrauen steigerte sich konsequenterweise zu einer Haltung, die es schlicht für unmöglich hielt, überhaupt objektive – d.h. wahre – Erkenntnisse über die Welt erlangen zu können. Wenn es keine Wahrheit außerhalb des menschlichen Erlebens gibt, steht erst einmal jedes Erleben gleichberechtigt nebeneinander. Begriffe wie „Objektivität“, „Vernunft“ und „Wahrheit“ verweisen in diesem Zusammenhang ausschließlich auf eine zugrunde liegende Machtstruktur, die in der Lage ist, etwas als vernünftig, wahr oder objektiv im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern.

Was ist Macht?

Zentral für die postmoderne Theorie ist daher eine Neubewertung der Wirkungsweise von Macht. Das klassisch marxistische Verständnis von Machtausübung, ausgehend von einer männlich dominierten, kapitalistischen Oberschicht, die die Arbeiterklasse unterdrückt, konnte bei einer wahrnehmbaren Verbesserung der Lebensumstände der Arbeiter sowie der Zunahme von Frauen in Spitzenpositionen (zumindest damals) nicht mehr glaubwürdig vertreten werden und wurde schließlich zugunsten einer neuen Konzeption verworfen.

In der postmodernen Vorstellung wird Macht nicht länger direkt ausgeübt, sondern arbeitet wesentlich subtiler. Sie konstituiert und reproduziert sich maßgeblich durch Sprache und dominante Diskurse in einem Gitter, das die Gesellschaft auf allen Ebenen durchdringt. Dieses Power-Grid ist derart verwoben mit der Struktur westlicher Gesellschaften, dass Ungleichheiten sich somit in nahezu jeder sozialen Interaktion manifestieren.

Nichts ist neutral, alles ist verdächtig!

Innerhalb dieser sozialkonstruktivistischen Gedankenwelt ist somit nichts neutral. Jede Definition, jeder Begriff, jede Beobachtung schließt bestimmte Aspekte eines Gegenstandes ein und grenzt andere aus. Der Gegenstand wird damit zurechtgestutzt und eingepasst. In der Fragestellung, welche Aspekte eines Gegenstands wesentlich sind und aus welchen Gründen diese gegenüber anderen den Weg ins gesellschaftliche Bewusstsein finden, liegt schließlich die politische Dimension dieser Betrachtungsweise.

Ein Haus z.B. kann groß oder klein sein. Es kann aus Holz, aus Stein oder aus Lebkuchen sein. Ein Obdachloser könnte seinen Bretterverschlag als „Haus“ bezeichnen, ein spiritueller Mensch seinen Meditationskreis. Da es unendlich viele Deutungen des Begriffes gibt, die sich nicht mal auf ein physisch vorhandenes Objekt beziehen müssen, stellt sich für den postmodernen Theoretiker also die Frage, wie es dazu kommt, dass man hierzulande an etwas denkt, dass sich ohne weiteres in eine Modelleisenbahnlandschaft einbinden lässt – und wem es nützt, dass wir in genau diesen Bildern denken.

Darüber hinaus erhält der Begriff „Haus“ erst seinen beschreibenden Charakter und damit gewissermaßen einen Sinn im Kontext von anderen Begriffen, etwa in der Reihe Hütte – Haus – Villa – Schloss. Er besitzt also keine eigenständige Aussagekraft, keine eigene Wahrheit. Kurzum: alles, was wir zu wissen glauben, ist nichts weiter als ein Ausdruck der gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen diese Wissensproduktion stattfindet und in denen die Mächtigen in ihrem eigenen Interesse diktieren, mit welchen Begriffen und in welchen Kategorien über bestimmte Phänomene gesprochen, gedacht und was davon schlussendlich für „wahr“ gehalten wird.

Die klassische naturwissenschaftliche Herangehensweise, die im Wesentlichen darin besteht, ein Phänomen zu beobachten und zu beschreiben, um daraufhin Aussagen über dessen Natur treffen zu können, ist, obwohl sie erwiesenermaßen gute Resultate hervorbringt, also Flugzeuge fliegen und Fernseher flimmern lässt, aus postmoderner Sicht nur ein Weg der Wissensproduktion unter vielen. Bestimmte Formen des Erkenntnisgewinns sind nicht etwa deswegen dominant, weil sie verlässlichere Ergebnisse zu Tage fördern, sondern weil sie der dominanten Kultur und ihren Machthabern mehr nutzen. Andere Arten des Erkenntnisgewinns werden in dieser denkbar zynischen Interpretation menschlicher Entwicklung im Sinne des Machterhalts abgewertet.

Politische Praxis

Die postmodernen Theorien der 60er und 70er Jahre waren geprägt von einem radikalen Zweifel an allem Bestehenden und in der Folge wenig geeignet für die politische Praxis. Wie sollte man für die Rechte der Frau eintreten, wenn eine „Frau“ nichts weiter ist, als eine sozial konstruierte Karikatur, eine durch mächtige Diskurse geformte Vorstellung dessen, was es bedeutet, eine Frau zu sein.

Die Aufgabe, die neu gewonnenen Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Welt und der Wirkungsweise von Macht nicht in nihilistischer Verzweiflung und zielloser spielerischer Dekonstruktion zerfließen zu lassen, sondern für Anliegen der sozialen Gerechtigkeit fruchtbar zu machen, übernahm die folgende Generation postmodern beeinflusster Social Justice Aktivisten in den 80er und 90er Jahren.

Dafür war es unter anderem nötig, gewisse gesellschaftliche Phänomene der fundamentalen Skepsis zu entziehen und ihnen einen gewissen objektiven Wahrheitsgehalt zuzubilligen. Rassen sind soziale Konstruktionen, aber die Unterdrückung aufgrund von angenommener Rassenzugehörigkeit ist real, hieß es nun. Mit diesem Kunstgriff wurde postmoderne Theorie in der Realität verankert und ihre Theoretiker in die Lage versetzt, konkrete Handlungsanweisungen abzuleiten. Die häufig in Kommentarspalten als Beweis für die Dämlichkeit der Linken angeführte Unvereinbarkeit der Ansichten, dass es zwar keine Rassen aber überall Rassismus geben würde, ist demnach kein Widerspruch, sondern entspricht exakt dem postmodernen Denken.

Macht kaputt, was euch kaputt macht!

Auf Basis der „Erkenntnis“, dass die gesamte westliche Struktur auf Ungerechtigkeiten beruht, kann nahezu jeder Aspekt westlicher Lebensweise problematisiert w
erden. Die Methodik und die notwendige Verflachung der Theorie für Anliegen der Social Justice Bewegung kann an einem beliebigen Beispiel verdeutlicht werden. Nehmen wir die Zeitrechnung. Die ältesten bekannten Kalender, sowie die 7-Tage Woche, stammen zwar aus Mesopotamien, aber von solchen unwichtigen Details sollte man sich im Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat nicht aufhalten lassen.

Zeitrechnung könnte verstanden werden als eine sinnvolle Art und Weise, das menschliche Leben im Einklang mit der Natur zu strukturieren und zu organisieren. Das persönliche Erleben von zeitlichen Abläufen kann allerdings stark variieren. Die Kritik des klassischen postmodernen Zweiflers wäre in etwa die, dass man, indem man Zeit in einem formalisierenden und totalisierenden Prozess zu fassen versucht, sie also auf den Begriff bringt, an wiederkehrenden Sonnen- und Mondphasen aufhängt, ihr ein Gerüst in Form eines Kalenders gibt, einen Tag definiert und diesen wiederum in Stunden und Minuten unterteilt, der vorausgehenden Vielfalt des Erlebens Gewalt antut. Die pulsierende Pluralität des Lebens wird zum leblosen unbeweglichen Konstrukt.

Die Aufgewachten

Auch für den Social Justice Krieger wäre „Zeitrechnung“ nur eine Konstruktion, die in nicht unerheblichem Maße beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen. Er würde sich allerdings nicht mit Fragestellungen akademischer Natur, wie etwa diesem formalisierenden Prozess zu begegnen sei, aufhalten, sondern sich dem angenommenen Zweck dieser Konstruktion widmen. Die Argumentation könnte in etwa wie folgt lauten:

„Die Messung von Zeit in einer spezifischen als universell, rational und neutral ausgewiesenen Weise konstruiert Kategorien, die ausschließlich dazu dienen, Menschen anhand dieser künstlichen Bruchlinien zu spalten. Zeitrechnung, als Werkzeug zur Vermessung menschlichen Lebens, trennt den Pünktlichen vom Unpünktlichen, also denjenigen, der im bestehenden (kapitalistisch-heteronormativ-weiß-suprematistischen) Rahmen funktioniert und denjenigen, der sich nicht an künstlich erschaffene Regeln hält oder schlicht aufgrund seiner Herkunft oder seiner Zugehörigkeit zu einer nicht-dominanten Gruppe einen anderen Zugang zu zeitlichen Abläufen hat.

Das binäre Begriffspaar Pünktlichkeit/Unpünktlichkeit ist nur im gegenseitigen Verweis aufeinander zu verstehen und transportiert durch die Vorsilbe „Un-“ bereits eine Wertung, da dem kapitalistischen System das pünktliche Rädchen im Getriebe selbstverständlich mehr nutzt als das unpünktliche. Wer also Uhren trägt und pünktlich ist, macht sich somit bewusst oder unbewusst zum Werkzeug der Unterdrückung!“

Wer hätte das gedacht? Die Analyse und Dekonstruktion dieses auf den ersten Blick unverdächtigen Diskurses, befähigt den Gerechtigkeitskrieger, Unterdrückungsmechanismen wahrzunehmen, die anderen verborgen bleiben. Es ist die Geburtsstunde der „Wokeness“!

Im zweiten Teil dieser Serie widmen wir uns der pseudointellektuellen Social Justice Ideologie und gehen der Frage nach, warum 2 + 2 nicht auch 5 sein kann.

Gastautor

Hier schreiben unsere Gastautoren, bis sie sich in unserer klebrigen Mischung aus Hass und Hetze verfangen, und schließlich als regelmäßige Autoren ein eigenes Profil bekommen.

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