Wenn kreative Erzeugnisse auf eine überdreht absurde Art von ihren Schöpfern absichtlich oder gar unabsichtlich so schlecht gemacht werden, dass sie dem Publikum wider Erwarten als gut und gelungen erscheinen, ist das nicht gerade ein Ausweis von Hochkultur. Zugegeben, so etwas wie Hochkultur gibt es in unseren Gefilden seit 1914 sowieso nicht mehr, im Zeitalter der großen Ernüchterung schwimmen wir alle im Strom der Tiefstapler. Dennoch gibt es Überraschungen, selbst in unserer Bildschirmdiktatur hat man noch nicht alles gesehen! Und wer hätte gedacht, dass die Logik der Umkehrung auch in politischen Dimensionen greift: Es gibt Erzeugnisse, die sind auf eine überspannte Weise so „woke“, dass man ihnen den Warnhinweis „sehr basiert“ anheften müsste.
Es geht natürlich um den pinken Albtraum namens „Barbie“, der, so hört man es von überall her, Zuschauerrekorde bricht. Vor ein paar Wochen habe ich mir vom Kritiker meines Vertrauens den Film haltlos schlechtreden lassen und eigentlich wäre die Sache damit auch erledigt gewesen. Eigentlich. Denn vor ein paar Tagen betraten zwei Bekannte von mir das Kino – die eine, um unterhalten zu werden, die andere, um sich ihre Weltanschauung bestätigen zu lassen – und nach etwa zwei Stunden verließen sie es. Jede der beiden war auf ihre (unverschämt teuren Eintritts-)Kosten gekommen. Das machte mich stutzig: Kann denn ein Film wirklich solch einen Spagat schlagen? Und ist ausgerechnet das vielleicht der Erfolg von „Barbie“?
Gestern Nachmittag war es dann soweit: Etwa zwei dutzend Zuschauer ließen sich im riesigen Kinosaal zunächst von Werbeeinspielern für kommende deutsche Schrottproduktionen terrorisieren. Negativ hervorheben möchte ich hierbei „Enkel für Fortgeschrittene“, der mich einmal mehr daran erinnerte, dass jeder einzelne Linksboomer unerträglicher ist, als alle Rechtsboomer zusammengenommen je sein könnten. Sozialhilfe ist übrigens auch abzulehnen, wenn sie sich Filmförderung nennt, aber genug dazu.
Der Film beginnt inmitten einer trostlosen Felslandschaft, in der traurige Mädchen mit ihren Puppen spielen. Eine Stimme aus dem Off, die den Ungeist von Ruth Handler darstellen soll, erklärt uns Zuschauern, dass von Anbeginn der Zeit an kleine Mädchen mit Puppen spielten, diese Puppen aber stets Babypuppen waren. (Ich bin mir sicher, dass das irgendein Soyencaeologe auch glasklar nachweisen kann.) Jedenfalls ist die Tristesse schlagartig vorbei, als ein Barbie-Titan gottgleich erscheint. Die Mädchen sind ergriffen von dem Anblick, packen ihre Babypuppen an den Beinen und zerschmettern die Porzelanköpfchen an den Felsen.
Was sich hier bereits zu Beginn des Films als (szenerisch an 2001: Odyssee im Weltraum angelehnte) Katharsis inszenieren will, ist das ungefilterte Substrat einer Ideologie, deren exterminatorischer Hass sich gegen alles richtet, was lebt, liebt und sich aneinander bindet. Der Feminismus manifestiert sich in der überdimensionierten Modepuppe eines US-amerikanischen Megakonzerns, der seinen in Fernost produzierten Plastikmüll auch weiterhin verkaufen will. Nachdem also die Mädchen ihre Babypuppen sozusagen postnatal abgetrieben haben und damit das Initationsritual zum Konsumfeminismus vollzogen ist, lächelt der Barbie-Titan diabolisch. Hier steht kein Gott, sondern ein Dämon.
Im Angesicht der geschmacklosen aber eben auch entlarvenden Brachialität müssen wir uns – bevor wir auf den Rest der Handlung eingehen – die Frage stellen, ob die Drehbuchautorin und Regisseurin Greta Gerwig hier wirklich einfach nur aus Selbstsicherheit den Bogen überspannt, oder ob es sich womöglich bei der Dame um ein kryptoreaktionäres Genie handelt. Schon klar, ihre bisherige Arbeit war eine einzige Unterwerfungsgeste an den linken Zeitgeist. Aber vielleicht gehörte das bloß zum Plan von Gerwig. Vielleicht hat sie von Anfang an geplant mit einem massenkompatiblen Film wie eben „Barbie“ die Bombe platzen zu lassen. Sie könnte sich wirklich gedacht haben: „Ich mache den Scheiß jetzt so woke, dass er verdammt basiert wird!“
Kommen wir also zum Rest der Handlung: Barbie lebt zusammen mit all den anderen Barbies in ihrer amerikanisch-perfekten, pinken Plastikspielzeugbarbiewelt. Sie sagt den ganzen Tag solche Sachen wie „Hi Barbie“ und hat immer gute Laune, während sie Astronautin-Barbie oder Präsidentin-Barbie (schwarz) zuwinkt. Es gibt außerdem Nobelpreisgewinnerin-Barbie und Rechtsanwältin-Barbie (übergewichtig) und Dr. Barbie (die uns Eingeweihte daran erinnert, dass Du als Mann auch weiterhin alles schaffen kannst) und weiß der Geier was noch alles.
In diesem konsumfeministischen Utopia kann Barbie also sein, was immer sie will, denn Mattel verkauft praktischerweise für alle Berufe die passenden Zubehörsets. Lediglich die schwangere Barbie wird von ihren Genossinnen merkwürdig beäugt. Das alles gibt es also, und dann wäre da noch Ken. Nicht einer, nicht zwei, sondern viele Kens, denen in der pinken Barbiewelt allerdings kein Beruf, keine Rolle, keine Wertschätzung zuteil wird.
In dieser pinken Dystopie ist ein Tag wie der andere und es ist eben nicht Barbie, sondern Ken, der aus diesem Hamsterrad der Eitelkeiten und Pyjamaparties ausbrechen will. Abend für Abend will er mit Barbie eine echte Beziehung aufbauen, Abend für Abend werden seine Avancen abgewiesen – die anatomischen Merkmale vorausgesetzt, wird er also gecockblocked. Man könnte meinen, dass diese Welt aus Plastik genau das ist, was alle Mädchen wollen, immerhin meinte es Ruth Handler so doch gut mit ihren Kundinnen, aber nein: Irgendwas ist ja immer…
Mit Barbie passieren plötzlich komische Sachen, man führt das schließlich darauf zurück, dass ihre Besitzerin in der realen Welt in eine Krise gerutscht ist und beschließt alsbald, dass Barbie also in eben jene Welt reisen müsse, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ihr zur Seite steht natürlich Ken, selbstverständlich ohne dafür ein „Danke“ oder „Schön, dass Du mir beistehst“ zu hören.
Beide landen in Kalifornien und während Barbie ihre Besitzerin sucht und dabei Nebensächlichkeiten erlebt, ist es – gewollt oder ungewollt – Ken, der in den Fokus der Zuschauer rückt. Als man ihn völlig unbefangen nach der Uhrzeit fragt, erfährt Ken das erste Mal in seinem Leben so etwas wie Wertschätzung. Er lernt, dass es für Männer auch Berufe, Rollen und Anerkennung gibt. Der Vorgabe ihrer Geldgeber folgend, stellt Gerwig die echte Welt im Kontrast zur Barbiewelt als Patriarchat dar, versteht es aber diesen fadenscheinigen Antagonismus subtil zu entkräften. Die echte Welt ist im Film genau so ambivalent wie außerhalb des Films: Die Führungsriege des Mattel-Konzerns ist männlich, die Arbeiter von der Baustelle sind es allerdings ebenfalls. Wie viele Bewerberinnen man hier wohl tagtäglich ablehnt?
Ken hat also so etwas wie seine „Little Dark Age“-Erweckung…
… und wird sich später in der Schulbibliothek einen Stapel Bücher über Männerkram besorgen, denn er wird sich plötzlich seiner selbst bewusst. Ja richtig, der Barbie-Film handelt von der Eman(n)zipation. In eben jener Schule trifft Barbie auf das Mädchen, das sie für ihre Besitzerin hält. Doch die Freude währt nur kurz: Die Schülerin entpuppt sich als indoktrinierte Kulturmarxistin, die ihren postmodernen Anschuldigungskatalog herunterbetet und – wie sollte es anders sein – Barbie als Anhängerin des Faschismus brandmarkt. Der Puppe kullern die Tränen aus den blauen Augen.
Gerwig zeigt hier dem historisch nur oberflächlich gebildeten Massenpublikum, dass die brutale Logik der permanenten Revolution in der eigenen Häutung liegt. Die entwurzelten und aufgehetzten Kinder stoßen die alten Vorbilder vom Sockel. In Asien verrichtete man diese Form des gesellschaftlichen Autokannibalismus noch vor ein paar Jahrzehnten mit Genickschüssen – für den Barbiefilm wäre das zugegebenerweise etwas drüber gewesen, außerdem greift die plakative Brandmarkung als „Faschist“ wesentlich besser die im Westen übliche Methode der Denunzierung auf.
Barbie landet schließlich im Hauptquartier von Mattel, wo man sich darüber einig ist, dass die Puppe in ihre angestammte Heimat remigrieren muss. Doch die schafft es zu fliehen und tritt die Heimreise zusammen mit der verhetzten Schülerin und deren Mutter an, die wiederum bei Mattel arbeitet und der eigentliche Grund für Barbies schleichende Normabweichung ist. Kompliziert? Egal!
Protagonist Ken ist inzwischen ebenfalls in die Barbiewelt zurückgekehrt und hat den anderen Kens das Licht der Erkenntnis gebracht. Zusammen schafft man nun Ordnung, was stellenweise als präpubertäre Dauerparty daherkommt, im Kern aber eine tiefgreifende Veränderung zeigt. Die Kens haben nun alle Berufe und Hobbys, echte Interessen und stabile Beziehungen mit den Barbies. Die wiederum haben sich bereitwillig diesem „Schicksal“ gefügt. Das Leben hat nun auch in der Plastikwelt so etwas wie einen Sinn.
Doch nicht lange: Barbie und ihr Agitationskommando hecken einen Plan aus, um eine Barbie nach der anderen zu entführen (!), nur um ihre isolierten Opfer dann im Stauraum eines Lieferwagens (!!) geistig zu manipulieren (!!!). Im finalen Akt der Verschwörung hetzen die reprogrammierten Barbies nun vereint ihre Ken-Freunde gegeneinander auf und es kommt zum Krieg zwischen diesen. Das ist ein klitzekleinesbisschen wie damals vor den Mauern Trojas, wo eine Stadt und ihre Helden untergehen musste, weil eine-… egal, zurück zum Film:
Hier kommt es jetzt zum eigentlichen Höhepunkt, einem von Gerwig gekonnt inszenierten Handlungsbruch, bei dem Ken die ganze Tragik seiner Existenz in eine Ballade schmiedet:
Dass das passiert, also das der durch Sympathieträger Ryan Gosling verkörperte Ken hier seine ehrwürdigen Motive als vertonte Dichtung vortragen darf, ist der ganz weite Wurf des Films und entkräftet auf der Stelle alle Anschuldigungen, die von rechter Seite gegen Barbie abgefeuert wurden. Alle „Songs“ und „Tracks“ in dem Film sind so beliebig und austauschbar wie die Garderobe von Barbie. „Just Ken“ hingegen ist anders. Dieses Lied hallt nach, mit diesem Auftritt hat Gosling auch den letzten Normie für die reaktionäre Sache gewonnen.
Jedenfalls merken Ken und seine Kameraden plötzlich, dass sie gelinkt wurden. Während sie abgelenkt waren, haben sich die Barbies versammelt und allein über die Zukunft von Barbiewelt abgestimmt. Sprich: Einem totalitären Entscheidungsprozess wurde ein pseudodemokratischer Legitimationsmantel übergestreift. Der Teil der Bürger, der wieder unter die Knute der matriarchalischen Knechtschaft gelangt, hatte keine Chance über sein eigenes Schicksal abzustimmen. Auch das kennen wir Zuschauer aus unserer „Postdemokratie“, auch dieser reale Missstand wird von Greta Gerwig einmal mehr gekonnt in Plastik gegossen.
Kens Schicksal und das seiner Gefährten bleibt trotz der Lippenbekenntnisse der neuen, alten Machthaberinnen ungewiss. Ruth Handler erscheint noch einmal und erzählt Barbie irgendetwas, von dem ich mir sicher bin, dass es für einige Frauen sehr bewegend ist. Barbie entschließt sich in die echte Welt zu wechseln. Am Ende sitzt sie freudestrahlend beim Frauenarzt. Auch wieder so ein subtiler Wink von Gerwig.
Im Großen und Ganzen hat mir der Film gefallen, ich bin aber froh, dass „die Firma“ mir den Ticketpreis erstatten wird. Die Euphorie der letzten Monate wurde durch den Film, der in einer gerechteren Welt „Ken“ heißen würde, nochmal bestärkt. Wenn ihr könnt, dann lasst euch „widerwillig einladen“. Und Finger weg vom Popcorn!