Wir alle haben es mitbekommen: Königin Elisabeth II., seit 1952 Königin von Großbritannien, ist verstorben. Ihr Nachfolger, der älteste Sohn Karl III., wartete über 70 Jahre darauf, den Thron besteigen zu können. Er ist mit 73 Jahren der älteste Thronfolger in der Geschichte des Königreichs England, und das, nachdem seine Mutter den Rekord für die längste Regierungszeit eines britischen Monarchen knackte. Als Elisabeth II. Königin wurde, war die Welt noch eine völlig andere: Winston Churchill, der britische Kriegspremier, übte das Amt des Regierungschefs in einer zweiten Amtszeit aus. Großbritannien hatte noch ein großes, wenn auch morsches Empire, auf das es stolz war. Mit ihrer Großmutter Maria von Teck, der Ehefrau Georgs V., hatte Elisabeth II. noch eine Person in ihrer nächsten Umgebung, die Königin Viktoria persönlich gekannt hatte und vom viktorianischen Zeitalter – dem unumstrittenen goldenen Zeitalter Großbritanniens – geprägt wurde.
Die Thronbesteigung Elisabeths wurde von vielen ihrer Zeitgenossen als gutes Omen betrachtet: Man beschwor regelrecht ein „neues Elisabethanisches Zeitalter“ herauf. Unter ihrer Namensvetterin Elisabeth I. stieg England zu einer bedeutenden Seemacht auf, emanzipierte sich vom katholischen Süden – insbesondere von Spanien – und hatte mit Dichtern wie William Shakespeare und Komponisten wie William Byrd eine kulturelle Blütephase. Daran anknüpfend sehnte man sich sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und mit den immer blasser werdenden Erinnerungen an Viktoria und ihr Zeitalter im Hinterkopf nach einer neuen englischen Blütezeit.
Und was wurde aus dem zweiten Elisabethanischen Zeitalter? Elisabeth II. galt stets als disziplinierte, pflichtbewusste Monarchin, die ihren göttlichen Auftrag, Königin zu sein, sehr ernst nahm. Trotz wiederkehrender Skandale und Krisen rund ums Königshaus – man bedenke etwa den Rosenkrieg zwischen Diana Spencer und dem Kronprinzen – schaffte sie es, das Ansehen des Königshauses in ein positives Licht zu rücken und die Akzeptanz der Bevölkerung für die Monarchie zu stärken. Ihr Humor trug weiterhin dazu bei, sich die Sympathien der Briten zu sichern. Doch wie entwickelte sich Großbritannien unter ihrer Herrschaft im Allgemeinen?
In dieser Hinsicht kann das Urteil alles andere als wohlwollend ausfallen: Die Stellung als Großmacht samt Empire gab Großbritannien – auch unter Druck der USA – endgültig auf. Der kulturelle und gesellschaftliche Verfall machte auch im Vereinigten Königreich keine Ausnahme – man vergleiche dazu nur die Menge, die sich bei der Beerdigung Winston Churchills versammelte, mit den Menschen, die die Prozession des Sargs der Königin durch Edinburgh beobachteten.
Weiterhin verwandelte sich das Inselkönigreich in ein wokes Shithole, wo man schon mal Besuch von der Polizei bekommen kann, wenn man etwas Böses auf Twitter postet. Und nicht zuletzt bekommt Großbritannien die Folgen des Bevölkerungsaustauschs zu spüren: War es 1952 noch ein normales westeuropäisches Land, sind die größten Städte heutzutage „not really […] English cit[ies] any more“, um es mit den Worten der Monty-Python-Legende John Cleese zu sagen – in den fünf größten Ballungszentren Englands sind mittlerweile weniger als die Hälfte (!) der Bewohner Briten.
All diese Entwicklungen passierten unter ihrer Zeit als Königin. Auch wenn es verpönt sein mag, in Großbritannien als König seine politische Meinung zu äußern, wie konnte sie all das als Landesmutter, als „Defender of the Faith“, einfach unkommentiert passieren lassen? Unter ihr wurden so einige königliche Traditionen gebrochen, warum nicht auch diese? Zumal sie sich des Verfalls bewusst gewesen sein musste. Hinzu kommt noch, dass ihr Nachfolger Karl III. als schwache Persönlichkeit gilt. Der Name „Karl“ wird von den Briten übrigens recht negativ konnotiert: Karl I. wurde von Parlamentariern im Bürgerkrieg hingerichtet, woraufhin eine Republik unter Oliver Cromwell ausgerufen wurde; Karl II. vergnügte sich eher mit Wein und Mätressen, als etwa einen legitimen Erben zu zeugen. Beiden gemeinsam ist, dass sie das Parlament auflösen ließen: Vielleicht tut es ihnen Karl III. gleich und seine Herrschaft wird bei Weitem nicht so glanzlos, wie man es erwartet?
Oder unter ihm setzt der völlige Niedergang der englischen Monarchie ein, wer weiß. Seine Mutter jedenfalls hinterlässt ihm ein schweres Erbe, dessen Schicksal er auf legalem Wege kaum beeinflussen kann. Unter ihr zerfiel das Empire, der Commonwealth, und letzten Endes auch England selbst. Sie wird den Rechten Europas, trotz ihrer Sympathien für Elisabeth II. und der Institution, die sie repräsentierte, als „Königin der Asche“ in Erinnerung bleiben.