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„He, Stift!“ – Woher stammt die Bezeichnung für Lehrling?

10. September 2023

Frühschicht. Ich bin gerade meinen Kilometer geschwommen und sitze mit nasser Badehose auf meinem ebenfalls feuchten Hintern. Der wiederum befindet sich pünktlich zur Frühstückspause im Aufenthaltsraum eines Hallenbads auf einem Plastikstuhl. Mit mir im Raum zwei Fachangestellte für Bäderbetrieb.

„Diese Woche hätte der neue Azubi angefangen“, sagt eine der beiden Personen.

Die andere seufzt: „Ja, echt schade, dass dieses Jahr keiner die Ausbildung anfängt. Sonst hatten wir ja immer einen.“

„Will halt keiner mehr Stift sein“, werfe ich ein.

Da beide Gesichter sich in große Fragezeichen verwandeln, hake ich nach: „Ihr wisst, was ich mit Stift meine, oder?“

Beide verneinen kopfschüttelnd.

„Komisch, im Gartenbau wird zu Lehrlingen Stift gesagt, aber nur zu denen im ersten Lehrjahr.“

„Warum gerade Stift?“, fragt einer der Fachangestellten.

„Da kann ich nur spekulieren. Ich vermute, dass die Meister und Gesellen halt öfters mal einen Stift gebraucht haben und selbst keinen einstecken hatten. Deshalb haben sie dann nach einem Stift gerufen und so wurde der Lehrling allmählich selbst zum Stift. Als pars pro toto sozusagen.“

Aber natürlich möchte ich anschließend per Google überprüfen, ob ich mit meiner volksetymologischen Erklärung ins Schwarze getroffen habe, was leider nicht der Fall ist. Warum also sagt man zu einem Lehrling „Stift“?

Meine kurze Internetrecherche hat Folgendes ergeben: Stift bezeichnet neben dem vom Ottonormalverbraucher sofort assoziierten Schreibutensil einen kleinen Pflock oder einen Nagel ohne Kopf. Im übertragenen Sinne wird der Begriff seit dem 19. Jahrhundert für einen jungen Lehrling gebraucht. Schon im 17. Jahrhundert ist hingegen die Bedeutung „Halbwüchsiger“ – und zwar zunächst im Rotwelschen – bezeugt. Sie ist deshalb wohl eine sexuelle Metapher und Metonymie. Das Wort geht auf das althochdeutsche „steft“ zurück, was sowohl „Stachel“ als auch „Zapfen“ oder sogar „Radnabe“ bedeuten konnte.

Die übertragene Verwendung für einen Lehrling im ersten Lehrjahr geht indes aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Bedeutungsnuance „etwas Kleines, Geringwertiges“ zurück. Da verwundert es nicht, dass es im Netz hitzige Diskussionen darüber gibt, ob es sich bei dem Wort um eine Beleidigung handele. Den Kommentaren der deutschen „Snowflakes“, die es nicht einmal aushalten, ein einziges Jahr lang als Stift angeredet zu werden, hält ein basierter Schweizer entgegen: „Ich kenne nur Stift! Das sagt man in der Schweiz seit jeher! Das Wort Azubi kenne ich nur aus dem TV von DE! Bei uns geht man auch in die ‚Stifti‘, also in die Lehre!“ Auch ich bin der Ansicht, man sollte die Kirche mal im Dorf lassen. Lehrjahre sind schließlich keine Herrenjahre.



Für weit hergeholt halte ich jedenfalls die folgende volksetymologische Erklärung, die ich den Lesern der Krautzone dennoch nicht vorenthalten möchte: „Stifte sind Nägel ohne Köpfe – und dieser Begriff wurde unter vielen Handwerkern (vorwiegend im Holzgewerbe ) – für Lehrlinge im ERSTEN LEHRJAHR benutzt, weil die LEHRLINGE scheinbar (zumindest fachlich) am Anfang ihrer Lehre nicht viel im Kopf hatten und weil man sie dann auch gerne mal geschlagen hatte, wenn sie nicht spurten oder was kaputt machten. Körperliche Züchtigung war früher in der Lehrlings-Ausbildung normal.“

Dass sich das Wort für Lehrling von der kirchlichen Institution, die auch als Stift bezeichnet wird, herleitet, wie ein Foren-User meint, halte ich ebenfalls für abwegig. Aber egal, woher die Bezeichnung letztlich rührt, das Grundproblem bleibt bestehen: Keiner möchte mehr eine Lehre absolvieren, seit linksgrüne Weltverbesserer auch noch dem minderbemitteltsten Kiffer einen Studienplatz versprochen haben.

Jonathan Stumpf

Jonathan, dem der Libertarismus als geborenem Ami eigentlich in die Wiege gelegt wurde, benötigte dennoch einige Umwege und einen Auslandsaufenthalt an der Universiteit Leiden, um sich diese politische Philosophie nachhaltig zu eigen zu machen. Zuvor hatte er bereits im Bachelor auf Staatskosten zwei Semester in Rumänien zugebracht. Wie jeder Geistes- oder Kulturwissenschaftler mit Masterabschluss, der etwas auf sich hält, bewegt Jonathan etwas in unserem Land. In seinem Fall sind es Container. Er hat im Sommer 2021 als Decksmann auf einem Containerschiff angeheuert.


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