Januar 2016: Die zurückliegenden zwölf Monate standen ganz im Zeichen der sogenannten „Flüchtlingskrise“. Mehrere Hunderttausend, ja vielleicht auch eine Million Illegale – so genau weiß das ja keiner – hatten die deutsche Grenze überschritten. Das politmediale Kartell klatschte sich die Hände wund, bis es in der Silvesternacht 2015/16 in Köln – und nicht nur dort! – zu „Ausschreitungen“ kommen sollte. Die Realität der alltäglichen Erfahrung mit herumlungernden „Gruppen junger Männer“ und die medial transportierte Propaganda über „geflüchtete Familien“ wichen derart voneinander ab, dass die daraus resultierende Spannung in der Gesellschaft förmlich greifbar war. Wenig überraschend war es schließlich die zahlenmäßig starke, aber eher zurückhaltende Gemeinschaft der Russlanddeutschen, die den „gesellschaftlichen Konsens“ aufkündigte.
Kurz nach dem Bekanntwerden der Silvesternachtkrawalle verschwand am 11. Januar 2016 die 13-jährige Lisa aus Berlin-Marzahn. Am Folgetag tauchte sie wieder auf und behauptete, von „Südländern“ vergewaltigt worden zu sein. Eine Dynamik, die bei autochthonen Deutschen nicht denkbar wäre, setzte ein: Russlanddeutsche versammelten sich und bekundeten ihren Unmut über das, was der grünlinke Mainstream ein Jahr lang „Willkommenskultur“ nannte.
Anfang der Neunziger waren die Russlanddeutschen zu Hunderttausenden nach Deutschland gekommen. Damals gab es keine Willkommenskultur, und kein Grüner stand am Bahnhof, um zu klatschen. Im Gegensatz zu 2015 kamen hier echte Familien, die zunächst im Auffanglager in Friedland registriert wurden. Klang der Name für den Beamten komisch, gab es eben einen neuen. Anschließend verteilte man „die Russen“ über die Bundesländer, wo sie sich in den folgenden Jahrzehnten mit harter Arbeit eine Existenz aufbauten. Viele erfüllten sich den Traum vom verklinkerten Häuschen mit Gemüsegarten, manche scheiterten. Vielleicht gehört Lisas Familie eher zu Letzteren.
Im Januar 2016 waren es also die Russlanddeutschen, die in einem kurzen, aber heftigen Impuls grundsätzliche Opposition signalisierten. Russische Medien nutzten den Fall aus und heizten die Stimmung an, die seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise im Jahr 2014 von Misstrauen geprägt war. So schnell der Sturm aufgezogen war, so schnell brach alles in sich zusammen – die Untersuchungen der Polizei ergaben, dass Lisa nicht vergewaltigt worden war. Sie hatte gelogen. Die Demonstrationen zerstreuten sich in beschämtem Schweigen.
Der „Fall Lisa“ dient seitdem den Medien zur Mahnung: Seht her, was Falschnachrichten und Vorurteile anrichten. Seht her, wie manipulativ russische Medien sind. Seht her, den Russlanddeutschen mit ihrem Patriotismus ist nicht zu trauen. Seht her, das kleine Mädchen hat gelogen und die rassistischen Reflexe der weißen Mehrheitsgesellschaft bedient…
Zeit- und Szenewechsel, Leipzig im Oktober 2021: Der Sänger Gil Ofarim lädt auf Instagram ein Video hoch, in dem er mit bebender Stimme verkündet, dass man ihn an der Rezeption des „Westin“-Hotels wegen seiner Davidstern-Kette abgewiesen habe. Der Film schlägt hohe Wellen, Hunderte Demonstranten versammeln sich vor dem Hotel, Politiker und Medienmenschen sind entsetzt und wollen es schon immer gewusst haben: Deutschland hat ein Problem mit Antisemitismus! Ofarim bekommt das, was er wollte: Aufmerksamkeit. Der Sohn eines Israelis sieht sich als lebendes Symbol dafür, dass in diesem Land nichts wirklich vorbei ist. Worte, Assoziationen, Bilder: Auschwitz, Viehwaggons, gestreifte Kleidung.
Ermittlungen werden in Gang gesetzt, Videomaterial wird ausgewertet. Eigentlich fehlt nur noch ein UN-Sonderermittler, aber auch ohne ihn steht schnell fest: Ofarim trug keine Kette, die Gegendarstellung des Hotels deckt sich mit den Aufnahmen. Ofarim hat also gelogen. Er ist ein Lügner. Das, und nur das, wäre also die einzige logische Schlagzeile, die der Zeitungsleser erwarten dürfte. Nicht aber in Deutschland, wo man diesen Fall jetzt ernsthaft in die Behauptung umzumünzen versucht, dass Ofarim ja „eigentlich“ ein „grundsätzliches Problem“ in Deutschland offengelegt habe: Deutschland ist antisemitisch, die Deutschen sind Antisemiten, und selbst das Herbeifiebern dessen auf Kosten Unschuldiger ist am Ende des Tages eine gute Tat, denn sie „entlarvt“. Wen entlarvt sie? Natürlich „uns alle“.
Welchen Schluss ziehen wir aus beiden Theaterstücken? Ganz offensichtlich: Das politmediale Kartell nutzt doppelte Maßstäbe – wem erzähle ich da etwas Neues? Es gibt Gruppen, die stehen in der Gunst des politmedialen Kartells weniger weit oben. Auch das ist nichts Neues, aber wir nähern uns dem Minenfeld, die Luft wird dünner. Ein Drittes noch, das geht an uns alle: Vor der Solidaritätsbekundung, egal ob ehrlich gemeint oder als bloßes „Virtue signalling“ gedacht – abwarten, was die Ermittlungen zeigen. Das erspart Peinlichkeiten. Man kann das nicht oft genug sagen. Abschließend, zur Unterhaltung in schweren Zeiten: