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Henri Paul Motte, La Prise des Tuileries (10 août 1792), 1892, gemeinfrei

„Vive le Roi!“ – Vor 230 Jahren ging in den Tuilerien die Alte Ordnung unter

10. August 2022
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Der 10. August 1792 markiert das Ende der ersten Phase der Französischen Revolution, für welche exemplarisch der 14. Juli 1789 steht. Diesen Tag kennt jedes Schulkind: Da stürmte der Pariser Mob das städtische Gefängnis, die Bastille, und befreite unter großem Tamtam sieben Taugenichtse, darunter, so munkelt man, den Marquis de Sade. Diese erste Phase der Revolution wird gemeinhin als so etwas wie ein europäisches Woodstock dargestellt, das unter der Parole „Liberté, Égalité, Fraternité“ den roten Teppich für Menschenrechte und Demokratie ausrollte. In Wirklichkeit zeigte bereits dieser 14. Juli 1789, was passiert, wenn die Verhältnisse von den Füßen auf den Kopf gedreht werden, wenn also die Unteren an die Stelle der Oberen treten. Der johlende Mob schnitt an diesem Tag dem Kommandanten der Bastille, Bernard-René Jordan de Launay, einem unbekannten Wachsoldaten und dem städtischen Vogt, Jacques de Flesselles, die Köpfe ab, spießte diese auf und trug sie durch die Straßen der französischen Hauptstadt.

Drei Jahre lang befand sich Frankreich im politischen Schwebezustand und wusste nicht so recht, wie es mit dem König einerseits und den demokratischen Versprechungen andererseits umgehen sollte. Als Österreich und Preußen schließlich drohten, wieder für Ordnung zu sorgen, entlud sich die latent gewaltätige Stimmung des revoltierenden Mobs. Die Stunde der Einpeitscher hatte geschlagen, unter ihnen der Prophet des modernen Staatsterrorismus, Maximilien de Robespierre.

Im Tuilerienpalast, der provisorischen Residenz der Königsfamilie, war man sich bewusst, was nun blühen würde: Eilig versuchte man die dort stationierte Schweizer Garde zu verstärken. Diese blickte auf eine lange und traditionsreiche Dienstzeit als Eliteeinheit zurück und galt, im Gegensatz zu der ebenfalls in den Tuilerien stationierten Nationalgarde, als politisch zuverlässig. Der Eindruck musste sich verstärken, als die Revolutionäre am Morgen des 10. August den Kommandaten der Nationalgarde zum Hôtel de Ville lockten und feige ermordeten. Sein Posten wurde umgehend von einem Jakobiner übernommen.

Währenddessen strömte der Pariser Mob zum Tuilerienpalast. Es war eine apokalyptische Szene für die Verteidiger, denen jetzt gewahr wurde, dass es in den folgenden Stunden um alles gehen würde. Die Königsfamilie zeigte sich ihren Soldaten, die Schweizer Garde schmetterte darauf hin ein „Vive le Roi!“, was von den wankenden Einheiten der Nationalgarde mit einem „Vive la Nation!“ beantwortet wurde. Diese Szene im Hof des Palastes müssen wir uns genau vor Augen führen, denn genau hier, zwischen dem König und seiner Garde einerseits und der Nationalgarde andererseits, öffnete sich in diesem Moment die ideologische Kluft zwischen der rechten, reaktionären und aristokratischen Alten Ordnung einerseits und der linken, revolutionären und egalitären Moderne andererseits. Nationalismus im modernen Sinne – und mit der französischen Revolution beginnt diese Moderne – ist nicht rechts. Nationalismus im modernen Sinne ist links. Mehr dazu in unserer kommenden Ausgabe…

Jedenfalls war für die Verteidiger nun endgültig klar, dass auf die Nationalgarde kein Verlass sein würde. Bis auf eine Einheit Grenadiere liefen sie zum stetig wachsenden Mob vor den Toren des Palastes über. Unterhändler versuchten zu vermitteln und konnten schließlich erreichen, dass die Königsfamilie im Schutze von 150 Schweizer Gardisten den Tuilerienpalast verlassen konnte. Wir stellen uns bildlich vor, wie diese Eskorte an der schreienden Menge vorbei ins ungewisse zog. Königin Marie-Antoinette hatte ihren Mann zuvor bekniet zu bleiben. Beide endeten auf dem Schafott – der König am 21. Januar 1793, die Königin am 16. Oktober desselben Jahres.

Nach dem Abzug der Königsfamilie befanden sich im Tuilerienpalast noch knapp eintausend Verteidiger. Zwischen den roten Uniformröcken der Schweizer Gardisten stachen etwa 200 Adlige hervor, die sich dem Schutz den Königs verschrieben hatten. Der Mob, mittlerweile auf zwanzig- bis dreißigtausend Bürger angeschwollen, setzte nun mit Unterstützung der verräterischen Nationalgarde zum Sturm an. In den Vorgärten und im Inneren des Palastes entbrannte ein Gemetzel, bei dem kein Pardon gegeben wurde. Beißender Pulverdampf lag in der Luft, Glassplitter und zertrümmerte Wandvertäfelungen säumten den Boden. Die Verteidiger hielten sich tapfer und konnten den unorganisierten Angreifern schwere Verluste zufügen, aber sie wurden im stundenlangen Kampf zerdrückt. Seit den lang vergangenen Tagen des Hundertjährigen Krieges hatten französische Adlige nicht mehr ein so heroisches Bild abgegeben, wie an diesem 10. August. Ihre weißen Perrücken und Seidenmäntel wurden versengt und zerfetzt, und doch hielten sie im Angesicht ihres sicheren Todes den Nimbus ihres Standes aufrecht.

Jaja, man kann über die Verschwendungssucht und politische Blindheit der französischen Aristokratie viele schlechte Worte verlieren, aber dieser 10. August gereicht ihnen zur Ehre, dieser heroische Untergang im Tuilerienpalast ist eine opernreife Inszenierung. An ihrem Untergang sollt ihr sie bewerten! Wir wissen, wie dieser Tag ausging und vielleicht können wir uns vorstellen, welches grausame Bild der Palast am Abend des 10. August abgegeben hat. Als ob er seine Boshaftigkeit ein weiteres mal unter Beweis stellen wollte, machte sich der Mob nun daran, die Leichern der tapferen Verteidiger zu schänden. Ein deutscher Augenzeuge, der Chronist Konrad Engelbert Oelsner, beschrieb die Szenerie wie folgt:

„Die Weiber sind es, welche in allen stürmischen Auftritten der Revolution immer zuerst Entsetzlichkeiten ersannen und ausübten oder Männer zu frischen Qualen und Mordtaten aufmunterten. In der auf den schrecklichen Tag folgenden Nacht sollen sie sich auf den Leichnamen preisgegeben, die Glieder der Getöteten gebraten und den Vorschlag, sie zu fressen, gemacht haben. Noch am Morgen des elften habe ich Weiber in den Leichnamen wühlen und die leblosen Teile verstümmeln sehen. Diesen Hang zur Ausschweifung bemerkt man selbst in der gebildeten Klasse des Geschlechts.“

Noch jemand wohnt diesem Ereignis bei, wahrscheinlich nicht so unmittelbar wie Oelsner. Ein junger französischer Offizier wird sich rückblickend erinnern: „Ich habe an diesem Tag gesehen, was Barbaren sind.“ Dieser Offizier wird einige Jahre später die Revolution beenden und sich selbst zum Kaiser krönen.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

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