Des Öfteren habe ich mich als Chefredakteur einer exponentiell wachsenden Printzeitschrift herabgelassen und die Niedergänge zahlreicher Mainstreamblätter kommentiert. Besonders schmackhaft sind dabei meist die Talfahrten der scheinkonservativen Blätter. Aktuell riss mich eine Meldung des „Cicero“ aus dem Redaktionsschluss. Das Heft bewarb auf Instagram seine aktuelle Ausgabe und schockierte wieder so sehr, dass ich zur Feder greifen musste.
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(Bitte auch umblättern, um etwas konservativen Zeitgeist zu schnuppern.)
Aus unerfindlichen Gründen hat der „Cicero“ noch immer einen deutlich konservativeren Ruf als die typischen Mainstreamblätter, was vielleicht seinem Nischendasein, vielleicht seinem knackigeren Auftreten, vielleicht seinem „alternativen“ Anstrich geschuldet ist.
Dunkel erinnere ich mich auch noch daran, dass der „Cicero“ früher weniger Müll verbreitet hat und die Flüchtlingspolitik von Merkel scharf angriff. 2019 war die Monatszeitschrift sogar noch im Fokus von „Blick nach Rechts“, dem Antifa-Rechercheportal der SPD. Wie absurd mutet diese Einschätzung an, wirft man den eigenen Blick auf die aktuelle Blattlinie.
Das Magazin ist der Idealtyp des liberal-konservativen Stimmenfängers, irgendwo zwischen unzufriedenen CDU/FDP-Scheinintellektuellen, Altlinken SPDlern mit zwei Lebensversicherungen und allerliberalsten AfDlern. Aber ganz ehrlich: geschenkt. Soll jedes Blatt mit seiner eigenen Ausrichtung zugrunde gehen.
Was mich aber wieder dermaßen auf die Palme bringt, ist das aktuelle Titelbild: Das suggeriert nämlich auf perfideste Weise, dass erstens eine „gute Politik“ den Euro nicht kaputt gemacht hätte und zweitens der Euro unabhängig vom politischen Willen betrachtet werden könne.
„Cicero“ schreibt dazu: „Jetzt entwickelt sich auch noch der Euro zum Sorgenkind. Höchste Zeit für eine realistische Bestandsaufnahme.“
Jetzt. Vermutlich meinen sie damit seit der Inflationsrate von über vier Prozent. Das ist größter Humbug, was jedem, der die letzten zehn Jahre mit einem halbgeöffneten Auge beobachtet hat, klar sein sollte: Was ist der Grund für das Scheitern des Euros? Richtig, es ist der Euro. Denn eine Gemeinschaftswährung, die den unterschiedlichsten Ökonomien das Recht auf Ab- und Aufwertung nimmt, muss zwangsläufig zu einer Transferunion werden – mit allen bekannten Folgen.
Wer sich heute hinstellt und den Euro in Schutz nimmt, ist an larmoyanter Elitengläubigkeit und intellektueller Unterdurchschnittlichkeit kaum zu überbieten. Selbst die Wohlfühl-„Cicero“-Leser, die an Unwillen zum Konflikt und dem Willen, nur irgendwie weiterzuwurschteln, ohne die wirklich schmerzhaften Fragen zu stellen, wohl nur noch von „Süddeutsche“- und „Zeit“-Lesern überboten werden können, merken langsam, wo der Hase langläuft.
Da hilft auch nicht die 1001. total rationale Bestandsaufnahme. „Bestandsaufnahme“. Kein Wort steht so gut für den liberalkonservativen Niedergang. Man müsse innehalten und erst mal Inventur machen, während ein Großteil der bundesdeutschen Elite das Land zerstört. „Erst einmal innehalten und Bilanz ziehen. Sachlich“, so der Liberalkonservative.
2016 stand das zwölf Jahre zuvor gegründete Magazin mit 83.500 verkaufter Auflage auf seinem Höhepunkt. In den folgenden Jahren rauschte der „Cicero“ in den Keller und liegt jetzt bei 43.800 verkauften Exemplaren. Ohne E-Paper, die einen Teil des Verlustes auffingen, läge die Auflage bei gut 35.000. Damit hat der „Cicero“ einen Rückgang um ungefähr 50 Prozent in fünf Jahren zu verzeichnen.
Dass es auch anders geht, zeigt beispielsweise die „Junge Freiheit“, die ernsthafter konservative Positionen bezieht und im gleichen Zeitraum und in einer ähnlichen Größenordnung zulegen konnte.
Warum der „Cicero“ oder all die anderen „konservativen“ Medien den Weg nach links eingeschlagen haben, ist oft schleierhaft. Geht es in unserem Fall um das Ego der Chefetage? Alexander Marguier und Christoph Schwennicke übernahmen 2016 den „Cicero“ vom Schweizer Verleger Michael Ringier. Marguier kam von der „FAZ“, Schwennicke von der „Süddeutschen Zeitung“; die letzten fünf Jahre leiteten sie damit ihr eigenes Unternehmen.
Ab Januar 2021 ist Marguier alleiniger Chefredakteur und Geschäftsführer. Eigentlich war Marguier der konservative Part der Doppelspitze – schaut man sich jedoch die Entwicklung des „Cicero“ an, mag man daran zweifeln. Eine unbekannte Variable fehlt aber noch in der Gleichung: Schwennicke, der seinen Anteil am „Cicero“ abgab, verkaufte nach Angaben des „Spiegel“ an Dirk Notheis, der ehemals deutscher Chef der Investmentbank Morgan Stanley war.
Notheis gilt als Merz-Unterstützer und ist CDU-Mitglied, also dem Establishment zugehörig, wenngleich man ihn sicherlich nicht als linksoffen bezeichnen kann.
Ein Auflagenverlust von 50 Prozent kann aber nicht nur an Personalien festgemacht werden: Hat man Angst vor kantigen Artikeln und einem „Bruch“ mit der älter werdenden Leserschaft? Vertraut man auf Marktanalysten, die – wie auch der Union – bescheinigen, dass in der „Mitte“ ein größerer Markt liegt? Oder schielt man auf Staatsgelder, die möglicherweise über regierungstreue Medien ausgeschüttet werden?
Ein wichtiger Faktor sind auch die Werbepartner: Eine ganzseitige Anzeige im „Cicero“ kostet laut den Medienangaben des Verlages knapp 20.000 Euro – und entspricht damit dem Umsatz von 1.600 verkauften Exemplaren (berechnet mit 11,80 Euro pro Ausgabe).
Rechnet man spaßeshalber mit einer Gewinnmarge von zehn Prozent an einem verkauften Heft, hat ein ganzseitiger Werbepartner die gleiche Bedeutung wie 16.000 zahlende Leser. Damit bringen drei Werbepartner à DIN A4 ungefähr den gleichen Gewinn wie die gesamten „Cicero“-Verkäufe! Eine reine Mutmaßung: Sollte man in „rechtere“ Fahrwasser abdriften, würden zahlreiche Unternehmen die Werbepartnerschaften kündigen.
Als „Schmuddelkinder“ ist es schwierig, regelmäßige Werbepartner zu finden, wie wir aus erster Hand bestätigen können. (Möchte eigentlich jemand Werbung schalten? 😊)
Wie auch immer: Es werden viele Gründe für den Niedergang des „Cicero“ zusammenkommen. Was aber feststeht, ist, dass der Markt (noch) entscheidet und mit Zaunpfählen zeigt und winkt, dass gerade für scheinkonservative Medien wieder eine Sache ansteht: Blättersterben im deutschen Herbst.