Das Bundesverfassungsgericht wird gerne als neutraler „Hüter der Verfassung“ bezeichnet. Aber wie neutral ist das Bundesverfassungsgericht wirklich und was hat die Wahl der Verfassungsrichter damit zu tun?
Das Bundesverfassungsgericht hat in Fragen der Verfassungsauslegung das letzte Wort inne. Durch den Richterspruch stecken die Verfassungsrichter den Freiraum unserer Grundrechte ab und setzen dem Gesetzgeber damit Grenzen oder eröffnen ihm Möglichkeiten. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts gestalten unsere Politik mit – sie sind politisch.
Das folgt bereits aus Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes. Demnach ist der Gesetzgeber an die Verfassung gebunden. Die Politik hat keine absolute gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit, sondern unterliegt den Grenzen der Verfassung und damit den Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht festlegt. Denn durch die strukturelle Offenheit der Grundrechte sind diese nicht selbsterklärend. Sie bedürfen einer „ausfüllenden Interpretation“ durch das Verfassungsgericht, wie der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde formulierte. So werden politische Entscheidungen in letzter Konsequenz zu (verfassungs‑) gerichtlichen Entscheidungen.
Dabei ist das Verfassungsrecht kein neutrales Recht, in welchem Richter die Verfassung lediglich anhand starrer Definitionen auslegen. Gerade aufgrund der Grundsätzlichkeit und des offenen, abstrakten Wesens der Verfassung ist sie – man könnte sagen – Ansichtssache. Die Wertung und Auslegung der Grundrechte hängen davon ab, welche Ansicht die Richter auf Verfassung, Staat und Mensch haben.
Diese Einflüsse schlagen sich dann auf die konkrete Verfassungsinterpretation nieder. Während zum Beispiel eine Richtung dafür argumentiert, tragend für die Auslegung der Verfassung sei die Intention der Verfasser der Normen, argumentiert eine andere Richtung für eine Auslegung anhand der aktuellen geistig-sozialen Wirklichkeit. Dazwischen existieren weitere Facetten. Veranschaulichen lassen sich diese Unterschiede und ihre Folgen für die Politik am Beispiel des Begriffs der „Ehe“ in Artikel 6 Grundgesetz:
„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“
Vertritt man die historische Auslegung, könnte man argumentieren, dass mit „Ehe“ in Artikel 6 nur die Bindung von Mann und Frau gemeint sei. Demnach wäre für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe eine Verfassungsänderung und damit eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig gewesen. Der anderen Auffassung nach wären mit dem Begriff der „Ehe“ unter Einbeziehung der geistig-sozialen Wirklichkeit der Gegenwart auch ohne Verfassungsänderung bereits gleichgeschlechtliche Paare mitgemeint. Somit wäre lediglich eine einfachgesetzliche Änderung und die damit einhergehende einfache Mehrheit im Bundestag notwendig gewesen. Konkret votierten 2017 insgesamt 63 Prozent der Abgeordneten für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch Änderung des Paragrafen 1353 im Bürgerlichen Gesetzbuch. Für eine einfache Gesetzesänderung reichte diese einfache Mehrheit. Für eine Verfassungsänderung hätten jedoch drei Prozent gefehlt.
Das Beispiel zeigt, wie wichtig es für die einzelnen Parteien sein kann, dass die Richter am Bundesverfassungsgericht eine ihnen genehme Auffassung vertreten. Deshalb liegt es nahe, Personen für das Amt vorzuschlagen, deren Ansichten mit der Parteilinie konform gehen. Eine Studie der Universität Mannheim bestätigt diese Vermutung in der Praxis:
„Parteinähe spielt bei den Entscheidungen der Richter […] sehr wohl eine Rolle.“
Denn während die Verfassungsrichter laut Artikel 93 Absatz 1 Grundgesetz selbstständig und unabhängig in ihrem Amt sind, ist es ihre Wahl nicht. Hier entscheiden die Parteien im Bundestag und – in Form der Landesregierungen – im Bundesrat über die Besetzung. Im Bundestag kann das Bundestagsplenum nur über den Vorschlag abstimmen, der aus dem Wahlausschuss für das Amt des Verfassungsrichters vorgelegt wird. Eine Aussprache im Plenum findet nicht statt. Auch die zwölf Mitglieder des Wahlausschusses sind bezüglich der Ausführungen und Abstimmungen im Wahlausschuss zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Abstimmungen über mögliche Kandidaten erfolgen somit hinter verschlossenen Türen. Dass es auch anders geht, zeigen die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort muss sich jeder Kandidat für den Obersten Gerichtshof einer öffentlichen Befragung durch den Justizausschuss des Senats unterziehen. Nicht so im Deutschen Bundestag.
Hier werden die Richtersitze im parlamentarischen Hinterzimmer nach Parteiproporz ausgehandelt. Der aktuelle Schlüssel sieht drei Vorschläge durch CDU/CSU, drei Vorschläge durch die SPD und jeweils einen Vorschlag durch FDP und Grüne vor. Man kann eine solche Aufteilung nach Schlüssel bereits grundsätzlich kritisch sehen. Schließlich führt er dazu, dass Kandidaten von anderen Fraktionen mitgetragen werden, nur damit sie selbst auch an die Reihe kommen; selbst wenn das in der konkreten Entscheidung nicht dem Willen des Volkes entsprechen mag.
Zumindest solange dieser Schlüssel dem tatsächlichen Kräfteverhältnis der Parteien im Bundestag entspricht, lässt sich dadurch noch ein gewisser Grad an Legitimation ableiten. Problematisch wird es jedoch, wenn der Schlüssel dieses Kräfteverhältnis nicht mehr widerspiegelt, sich also Parteien systematisch verbünden, um einen Teil des Volkes im Bundesverfassungsgericht nicht vertreten zu sehen.
Dass das Bundesverfassungsgericht politisch ist, ist weniger ein Problem, sondern vielmehr Charakter des besonderen Aufgabengebiets des Gerichts – die Auslegung der Verfassung. Doch aus so umfassender Macht über einen Kernbereich unserer Demokratie folgt ein hohes Maß an notwendiger Legitimation. Das klandestine Vorverfahren im Hinterzimmer des Wahlausschusses sowie Bestrebungen, der AfD keinen Einfluss auf die Richterwahl zuzugestehen ziehen diese Legitimation in Zweifel.
2025 hat der Bundestag zwei Richterposten neu zu besetzen. Hält diese Entwicklung an, müssten selbst die Verfassungsrichter feststellen: Das Wahlverfahren zum Bundesverfassungsgericht ist in keiner guten Verfassung.
In anderen Demokratien, z.B. in den Vereinigten Staaten, ist es ein schöner, demokratischer Brauch, leitende Staatsanwälte und den Chef des Sheriff Departements direkt durch die Bevölkerung wählen zu lassen. Die Bewerber müssen also kandidieren und und für sich als Person öffentlich werben. Somit ist gewährleistet, dass der entsprechende Amtsinhaber sich gegenüber den Wahlberechtigten besonders verpflichtet fühlt. Wer erneut gewählt werden möchte, wird in seiner Amtszeit alles daran setzen, seine Eignung unter Beweis zu stellen.
Im Falle eines Polizeipräsidenten / Sheriff´s und getreut dem Motto „First things first“ wäre wohl die Sicherheit an öffentlichen Plätze durchaus ein geeigneteres Argument.
Im Falle eine leitenden Staatsanwaltes wäre es dann bestimmt die hohe Verurteilungsrate bei Gewaltdelikten, Dealern und Vergewaltigern. Oder vielleicht doch möglichst viele „Schwachkopf-Hausdurchsuungen“?