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Wie halten wir es mit der Religion?

12. März 2024

Die coolen Kids, auch wenn das jetzt für manche komisch klingen wird, waren in meiner kleinen süddeutschen Heimatstadt bei den Ministranten. Wie diese Töne schon vermuten lassen, war ich natürlich auch dabei – zeitweise wurde ich von meinen Kollegen dort auch mehr oder weniger aus freundschaftlichen Neckereien zum Bezirksoberministrant gewählt. Ob ich wirklich gläubig war? Schwer zu sagen – jedenfalls konnte ich Glauben und Religion von jeher nachvollziehen und habe beides immer mit einem gesunden Respekt hoch geachtet. Das hat sich bis heute nicht geändert. Immer noch bewundere ich Personen, die ihren Glauben sowohl reflektiert als auch überzeugt ausüben. Ich bin kein Wissenschaftsfanatiker, kein Materialist und auch kein selbstgerechter Agnostiker. Als Nietzscheaner bin ich eher der Überzeugung, dass ein jedweder Glaube mit Inbrunst vertreten werden sollte. Beherzte Stellungnahmen sind mir sehr viel sympathischer als Rumgedruckse und Rechtfertigungen. „Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß!“, heißt es in der Johannes-Offenbarung 3,15.

Weil Nietzsche für mich eine ebenso große Offenbarung war wie für manchen Christen die Bibel, sehe ich mich dieser Frage des Öfteren auch in Gesprächen ausgesetzt. Obwohl der Vulgärnietzscheaner das Christentum als die große Krankheit unserer Kultur sieht, ist die Sache doch etwas komplexer. Wen die Thematik interessiert, dem empfehle ich mein Gespräch mit Karl Napf:

Ich selbst kann seit einigen Jahren überzeugt von mir sagen, dass ich ein Kulturchrist bin. Ich sehe nicht nur schwache Werte im Christentum – zudem hat sich die Gesellschaft seit Nietzsches Wirkzeiten doch gehörig geändert.

Nicht einmal mehr die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist heutzutage katholisch oder evangelisch, 1950 waren es noch über 96 Prozent. Wer die leeren Kirchen außerhalb der Weihnachtszeit kennt, kann ein Chorlied auf die tatsächlichen Zahlen der Überzeugungschristen singen. Der Gott, von dem Nietzsche schrieb, ist schon länger tot – währenddessen sind diejenigen, die ihm keine Totenruhe lassen und am lautesten über seine Lebzeit schimpfen, heute die striktesten Vertreter einer absoluten und unanfechtbaren Sklavenmoral. Ob diese ein Schatten des Christentums ist, darf stark angezweifelt werden. Selbst die von Nietzsche verachteten „Vernunftchristen“ wie Martin Luther, der späte Richard Wagner oder Immanuel Kant sind ihr mittlerweile zum Opfer gefallen. Es ist die (vor allem evangelische) Kirche, die sich an die neue Moral anbiedert, ohne dass es ihr dämmert, dass diese ein Götze ist. So nahm der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands geschlossen an Klimastreiks teil, interpretiert „Gerechtigkeit“ nicht mehr paulinisch, sondern sozial, oder sieht im „Frieden“ nur noch einen laschen Pazifismus anstelle des Friedens mit Gott.

Die Protestanten werden immer säkularer und übernehmen blindgläubig die Phrasen der linken Moralinchristen, die mit Jesus ungefähr so viel am Hut haben wie Stalin mit dem antiken Spartacus. Auch die Katholiken sind davor nicht gefeit: So behauptete Papst Franziskus, Marxisten und Christen hätten einen gemeinsamen Auftrag. Als er diese Woche der Ukraine die weiße Fahne nahelegte, wurde er selbst von der CDU ausgechristet (offensichtliche Anspielung auf das „Auslinken“). „Man sieht in der Geschichte: Auch die katholische Kirche ist nicht frei von Irrtum“, äußerte Merz.

Devot geglaubt wird eben nicht mehr blindlings wie zur Zeit Nietzsches. Bibelverse und die Aussagen Geistlicher werden heutzutage am Maßstab der neuen Moral gemessen. Ein Christentum, dem ich meinen Respekt zolle, darf beides nicht. Der Christ, den ich wertschätze, weiß, wovon er spricht. Sein Glaube ist überzeugend, weil er von seiner Stärke zeugt. Dazu muss dieser Christ weder dem von Nietzsche verehrten Cesare Borgia noch dem mit Zarathustra sprechenden Heiligen im Walde gleichen. Ein Pfarrer in meiner Gegend hat den ungefirmten Kindern Schokolade gegeben und am Ende des Gottesdienstes einen Witz erzählt. Dass solche Christen wie im antiken Rom eher in den Katakomben als in den Kirchen anzutreffen sind, spricht Bände. Mir lieb gewordene Menschen wie auch der von mir hochgeschätzte Karl Napf verehren dort einen Gott, der durch eine lebensfrohe Aura auffällt. Dieser Gott steht in einem starken Kontrast zu dem leichenblassen, der in vielen gotischen, romanischen oder genau so kalten modernen Grabkammern beschluchzt wird. Ob ich deshalb in die Katakomben gehe? Dafür bin ich doch zu sehr Nietzscheaner als Christ. Aber solange es diese gibt und sich dort einige coole Kids tummeln, werde ich immer mal wieder vorbeischauen. Natürlich nur, insofern „Kulturchristen“ dort als nicht zu lauwarm gelten…

PhrasenDrescher

Der Phrasendrescher - wie könnte es anders sein - promoviert derzeit interdisziplinär in der Philosophie und der Politikwissenschaft. Als glühender Verehrer von Friedrich Nietzsche weiß er, dass man auch Untergänge akzeptieren muss und arbeitet bereits an der Heraufkunft neuer, stärkerer Werte.


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