Mein geschätzter Kollege Fridericus Vesargo hat sich in seiner letzten Kolumne dahingehend geäußert, dass das Verkleiden mit historischen Gewändern bei Wahlkampfveranstaltungen etwas Gutes sei. Mein Problem an der Sache ist, dass man sich durch den Helm der Ritterrüstung so schlecht artikulieren kann. Spaß beiseite: Stein des Anstoßes war eine sächsische Lokalpolitikerin, die in einem sorbischen Trachtenkleid samt typischer Kopfbedeckung Flyer an einem Wahlkampfstand verteilte. Nun mag es in unserer Blase durchaus Leute geben, die das total authentisch und aufgeweckt finden.
Bei den meisten Normalos löst ein solches „Live Action Role Play“ aber eher Fremdschamgefühle aus. Deutschland ist nicht mehr im 18. Jahrhundert, und die Sachsen sind keine Amischen. Wer an diese Zeit anknüpfen will oder den Deutschen das Leben der Amischen als unsere Zukunft schmackhaft machen will, macht sich vor allem lächerlich. Jedem Deutschen ist klar, dass Trachten keine Alltagsgegenstände sind. Dafür spricht zu viel gegen sie, angefangen mit der Bequemlichkeit.
Das bedeutet nicht, dass sie nicht ihre Berechtigung zu feierlichen Anlässen haben. Da ich aus der Alpenregion stamme, sind Trachten für mich nicht per se LARP. Bei Hochzeiten und von manchen sogar im Alltag wird in meiner Heimat durchaus eine (jeweils unterschiedliche) Lederhose getragen. Der Unterschied zum LARPEN? Der lässt sich beispielsweise auf dem Oktoberfest beobachten. Die authentische Tracht und die billigen Lederhosen und pinken Dirndl aus China trennen Welten. Genau wie Sorben im traditionellen Gewand und Menschen aus Sachsen, die an einem Wahlkampfstand vorbeilaufen.
Deutschland ist nicht die Alpenregion, und Sachsen ist nicht Bayern. Nördlich von Süddeutschland stehen Trachten im Alltag nun mal weder für Authentizität noch für Ästhetik oder einen anderen vergleichbaren Wert, der ihr Tragen rechtfertigen würde. Reaktionäre können sich noch so dagegen wehren, aber diese Zeiten sind vorbei. Restauration schön und gut; aber selbst traditionellen Konservativen geht es nicht um die Erhaltung des Alten an sich, sondern um die Erhaltung der ästhetischen und kulturellen Werte. In welche Hüllen diese sich kleiden, ist von Zeit zu Zeit unterschiedlich. Seit dem 19. Jahrhundert haben wir uns nun mal entwickelt: Der beste Maler heutzutage, der den romantischen Stil (oder den einer anderen Epoche) nachahmt, ist nicht einmal ein Stückchen so revolutionär wie die alten Meister, die mit ihrer Kunst alte Zeiten und Stile überwunden haben.
Auch das Mädchen mit dem authentischsten Dirndl hat schon zu viel moderne Luft geschnuppert, als dass sie selbst noch darin authentisch wirken kann. Wer heutzutage überzeugen und ästhetisch auffallen will, der darf nicht so wirken, als ob er einem historischen Roman entflohen ist. Es ist auch in unseren Zeiten möglich, sich schick zu kleiden.
Der Normie von der Straße wird sich beim Anblick eines Trachtenkostüms denken, dass die Vorurteils-Zuschreibungen „rechtsextrem“ und „völkisch“ wahr sind – und nichts anderes. Überzeugt wird so niemand außerhalb dieser Blase, der nicht sowieso schon ein traditionelles Weltbild hat und die linken Kampfwörter durchschaut hat. Aber ist derjenige das Ziel einer Wahlkampfveranstaltung? Wohl kaum.
In seiner Kolumne urteilt Vesargo, dass „LARP“ die letzte Ausflucht ist, ein wenig Tradition über die Zeit zu retten. Kinder und Enkel würden LARP schließlich nicht mehr als solches erkennen. Auch dieses Argument halte ich nicht für valide. Warum nicht die Tradition des 15. Jahrhunderts oder gleich des 1. Jahrhunderts nach Christus über die Zeit retten? Und unsere Kinder könnten das doch ebenso? Diese Zeiten sind vorbei, und beide Kleidungsstile gehören ins Museum, wo sie eine ähnliche Überzeugungskraft auf die Jugend haben wie am Körper von Wahlkampfhelfern.
Kinder, deren Eltern sie nur in Tracht von der Schule abholen, werden vor allem gehänselt. Und wenn es alle Eltern so machen, dann sind wir eben wieder bei den Amischen. Kann das ein Ziel für unsere Gesellschaft sein? Dann heißt die Strategie nicht mehr „Deutschland, aber normal“, sondern „Deutschland, aber so, wie wir es zu einem bestimmten, mehr oder weniger zufällig ausgewählten Punkt in der Geschichte rückwirkend für eine ganz gute Zeit halten“. Linke machen sich genau darüber lustig. Die Frage lautet: Sollen Menschen tatsächlich überzeugt werden, oder sollen einfach starke Reaktionen der politischen Gegner provoziert werden?
Ich fasse noch einmal zusammen: LARPen kann man fantastisch auf Mittelaltermärkten und ähnlichen Veranstaltungen. Wer die Trachten aus vergangenen Zeiten unironisch und ohne Schmäh auf Wahlkampfveranstaltungen trägt, ist gerne eingeladen, eine völkische Siedlung im Stile der Amischen – ohne Auto und Handy, dafür mit acht Kindern – zu gründen. Natürlich wird das keiner von ihnen machen, geschweige denn durchhalten. Dafür haben sie die Bequemlichkeit der Moderne dann doch zu liebgewonnen.