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Eine Filmkritik

27. März 2019
in 3 min lesen

Das amerikanische Gangsterepos „Scarface“ kennt jeder. Nur wenige wissen jedoch, dass es sich bei Brian de Palmas Klassiker um das Remake eines nicht weniger furiosen Gangsterfilms von 1932 handelt. Kein geringerer als Howard Hawks – der amerikanische Meisterregisseur – setzte seinerzeit Maßstäbe für das Genre. Wie haben uns diesen Meilenstein für euch noch einmal angesehen.

Vielleicht ist dem ein oder anderen Leser die MTV-Sendung Cribs ein Begriff. In dem Format führen US-amerikanische Prominente ein Kamerateam durch ihre stattlichen Anwesen, um den Zuschauern einen Einblick in ihr luxuriöses Leben als „Celebtrity“ zu gewähren. Den Höhepunkt bildet dabei stets die Zurschaustellung des eigenen Fuhrparks, die dem deutschen Zuschauer vor Augen führt, dass die heimische Autoindustrie zumindest für US-amerikanische Prominente noch immer „einen Ruf wie Donnerhall“ besitzt, wie es der scheidende Daimler-Vorstandsvorsitzende einmal so schön auf den Punkt brachte.

Eine weitere Gemeinsamkeit, die vor allem beim Blick in die Räumlichkeiten der zumeist schwarzen US-Rapper zutage tritt, ist die Verehrung eines gewissen Gangsterfilms von 1983 und seiner Hauptfigur: Scarface. Selbst in der Popkultur ist „Toni, das Narbengesicht“ noch immer allgegenwärtig, ob in Videospielen, Hip Hop-Videos oder Fernsehserien. Weit weniger bekannt als das bildgewaltige Gangsterepos aus den 80er Jahren ist der Originalfilm von 1932. Wer den Film heute sieht, ist verblüfft wie gut sich der Klassiker gehalten hat.

Die Geschichte vom Aufstieg des lebenshungrigen Leibwächters Tony Camonte mit der einprägsamen Narbe im Gesicht wird so rasant und brutal erzählt, dass man sich kaum vorstellen kann erst am Beginn der Tonfilmära zu stehen. Wie Brian de Palmas Remake lebt das Original von der temporeichen Erzählung und einem allgegenwärtigen Hauptdarsteller.Allerdings ist die 32er Version weniger düster und Paul Munis Camonte deutlich humorvoller und menschlicher als Al Pacinos skrupelloser Mafiaboss. Deutlich wird das beispielsweise durch Camontes Umgang mit anderen Gangsterkollegen und der engen Beziehung zu seiner Schwester.

Die an das Leben von Al Capone angelehnte Geschichte erzählt das typische Narrativ vom Aufstieg und Fall eines Gangsterbosses, das damals allerdings noch weitaus seltener erzählt war als heute. Als Zuschauer entwickelt man ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zur Hauptfigur, da man kaum umhin kommt Paul Munis Camonte für einen sympathischen Zeitgenossen zu halten. Er ist mutig, gewitzt und voller Tatendrang. Andererseits wird vor allem zum Schluss hin deutlich wie nahe sich dieser Camonte am Rande des Wahnsinns bewegt, wenn er sich in der Wohnung verschanzt und seine Schwester mit zur Grimasse verkommener Visage gegen die spalierstehenden Horden der Polizei aufhetzt.

Unklar bleibt allerdings, inwieweit einige Szenen Zugeständnisse an die US-Zensoren waren und wie die ursprüngliche Version wirklich hätte aussehen sollen. Von korrupten Politikern beispielsweise, ein wichtiger Bestandteil des frühen Drehbuchs, ist nichts mehr übriggeblieben, dafür haben reale Politiker selbstredend gesorgt. Trotz dieses kleinen Wehrmutstropfens ist Scarface eine Empfehlung, nicht nur für Freunde klassischer Mafiafilme. Es gibt wohl nur ganz wenige Filme der 30er und 40er Jahre denen man ihr Alter so wenig anmerkt und die selbst eingefleischte Schwarz-Weiß-Muffel kurzweilig unterhalten. Zudem bietet der Streifen Filminteressierten die perfekte Gelegenheit sich einem der größten US-Regisseure des letzten Jahrhunderts zu nähern, Howard Hawks.

Krautnote: 8.5

Fakten, Fakten, Fakten: Der Vorspann des Films könnte das ein oder andere Schmunzeln hervorrufen, wenngleich er den Zuschauer eigentlich zum Nachdenken über die Zustände der Gesellschaft verleiten sollte. Wörtlich heißt es:

“Dieser Film ist ein Dokument über Gangster in Amerika und die Gleichgültigkeit der Regierung gegenüber der Bedrohung unserer Sicherheit und Freiheit. Jede Begebenheit dieses Films basiert auf Tatsachen, und der Film fragt unsere Regierung: Was werden Sie dagegen unternehmen? Diese Regierung ist Ihre Regierung. Was werden SIE dagegen unternehmen?”

Dass derlei wenig subtile Gesellschaftskritik nicht ganz freiwillig Eingang in den Vorspann gefunden haben dürfte, darauf deutet die komplizierte Vorgeschichte des Films hin. Eigentlich hatte Howard Hawks den Streifen bereits 1930 fertig im Kasten, den Hütern des sogenannten Hays Code, zurückgehend auf den US-Politiker und langjährigen Präsidenten des Dachverbandes der amerikanischen Filmproduktionsfirmen (MPAA) William Hays, war der Film allerdings zu gewalttätig. Zudem wurde die Darstellung des Gangstertums als zu positiv empfunden. Einige Szenen mussten geschnitten oder umgeändert werden. Beispielsweise wurde aus der ehemals stolzen Mutter Camontes in der späteren Version eine scharfe Kritikerin seines Verhaltens. Die „entschärfte“ Version lies Produzent Howard Hughes (Ja, der Typ aus Aviator) von Richard Rosson drehen, Regisseur Hawks war allerdings mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Auf eigene Faust brachte er den Film in einigen Bundesstaaten in der Originalfassung heraus. Am Ende liefen 3 verschiedene Versionen in den in amerikanischen Kinos, da Hays Moralwächter auch Rossons Version zu beanstanden hatten.

Hannes Plenge

Hannes, geborener Hannoveraner und mittlerweile stolzer Lüneburger, bereut es jeden Tag aufs Neue, nicht vor Jahren seine Kohle in Bitcoins gesteckt zu haben. Jetzt muss er mit Mitte 30 noch immer einem Beruf nachgehen – auch „Wirecard“ half dem Frugalisten in spe nicht wirklich weiter. Der nicht immer kaltblütige Norddeutsche verfügt über ein stolzes Punktekonto in Flensburg, da er es sich als anständiger Libertärer zur Aufgabe gemacht hat, gegen staatlich festgelegte Geschwindigkeitsbeschränkungen anzukämpfen.

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