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IDEALE – Zu wem schaust du auf?

1. Januar 2020
in 5 min lesen

Zwischen den Jahren ist ein guter Zeitpunkt, sich einmal genau mit den eigenen Vorbildern und Idealen auseinanderzusetzen. Zu wem schaue ich auf und warum ist es überhaupt sinnvoll sich an fremden Persönlichkeiten zu orientieren?

Während der Feiertage ist ein guter Zeitraum, um das zu Ende gehende Jahr zu reflektieren und sich zu fragen, ob man im nächsten Jahr so weitermachen will. Lebe ich bereits, wie ich wirklich leben will, oder warte ich noch auf irgendetwas? Passt mein tatsächliches Verhalten zu meinen Träumen, Wünschen und Zielen? In diesen Fragen stecken mindestens zwei tiefere Fragen drin: Was sind meine Ideale, das heißt welche Werte sind mir im Leben wirklich wichtig? Und wer sind meine Vorbilder, das heißt welche Personen haben bereits ein Leben gemäß meinen Idealen gelebt und können mir meinen Weg somit gegebenenfalls einfacher machen?

In diesem Kontext sind Vorbilder einfach Personen, die bestimmte Ideale verkörpern – und Ideale sind Werte, die durch das vorbildhafte Vorleben durch bestimmte Personen überhaupt erst konkret werden. Wenn uns eine Person als Vorbild erscheint, dann weil sie sich in ihrem Leben für bestimmte Werte entschieden und diese idealtypisch gelebt hat. Somit bringen konkrete Vorbilder die abstrakten Ideale dahinter immer gleich mit.

Man kann dieses Thema also einerseits auf einer konkret-persönlichen Ebene und andererseits auf einer abstrakten Ebene diskutieren. In beiden Fällen treffen wir Werturteile. Der eine Mensch sagt beispielsweise: „Loyalität ist mir wichtig, und Person L. verkörpert Loyalität wie kein anderer – Loyalität ist mir ein Ideal und Person L. ein Vorbild.“ Fand dieser Mensch zuerst Person L. faszinierend und hat dann später erkannt, oder konstruiert, dass das am loyalen Verhalten von Person L. liegt? Was war zuerst da, die sich ideal verhaltende Vorbild-Person oder das Ideal?

Wie dem auch sei, ein anderer Mensch sagt vielleicht: „Freiheit ist mir wichtig, und Person F. verkörpert Freiheit wie kein anderer – Freiheit ist mir ein Ideal und Person F. ein Vorbild.“ War hier zuerst die Freiheitsliebe und dann ihre Projektion auf eine konkrete Person? Oder entwickelte sich die Freiheitsliebe als Folge der Faszination für Person F.? Es ist wie mit Henne und Ei.

Unabhängig von der Genealogie von Ideal und Vorbild bleibt die Frage: Zu welchem Vorbild und zu welchem Ideal schaust du auf?

Früher hätte ich mich vermutlich schwer mit der Frage getan. Zum einen, weil mir all das einfach noch nicht bewusst war. Zum anderen, weil zu jemandem oder zu etwas aufzuschauen natürlich impliziert, dass man selbst kleiner ist.

Wenn ich zu Vorbildern oder Idealen aufschaue, dann sage ich damit aus, dass ich gerne wie mein Vorbild wäre oder meinem Ideal näher kommen würde. Und das impliziert, dass ich heute noch nicht der bin, der ich gerne wäre.

Es erfordert eine gewisse Reife, das zugeben zu können. Auf der einen Seite ist es zwar wichtig, sich so anzunehmen, wie man ist – sagen zu können: „Ich bin und bleibe ich, und das ist auch gut so“ – auf der anderen Seite ist es für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit entscheidend, sich einzugestehen, dass man eben noch nicht ganz da ist, wo man gerne wäre. Sonst gäbe es keinen Grund, weiterzugehen.

Im Grunde besteht ein dauerhafter Konflikt zwischen Selbstakzeptanz und Abgrenzung auf der einen und Lernbereitschaft und Blick nach oben auf der anderen Seite. Wenn ich mich selbst nicht hinreichend akzeptiere, mich nicht mit meinen Fehlern so annehme, wie ich bin, dann lebe ich mein ganzes Leben aus einem Frame der Unzufriedenheit. Wenn ich mir selbst einrede, dass ich schon genau der bin, der ich sein möchte, dann beraube ich mich damit aller Entwicklungsziele.

Die Lösung liegt also in der Integration des Blicks nach oben in die Selbstakzeptanz. Ich akzeptiere mich dann inklusive meinem Wunsch nach Verbesserung. Anstatt mir meine Selbstentwicklungswünsche nicht eingestehen zu können, weil sie Unvollkommenheit implizieren, bejahe ich jetzt mein Streben nach Weiterentwicklung – weil ich mich nicht aus Unzufriedenheit, sondern aus wohlverstandener Selbstliebe weiterentwickeln will. Ich sage dann: Ich will mich verbessern, weil ich es mir wert bin, an mir zu arbeiten.

Dadurch kann ich dann auch problemlos und ganz bewusst zu Vorbildern und Idealen aufschauen. Die Implikation des Kleinerseins stört mich nicht mehr. Ich kann dann in die Schülerrolle schlüpfen und proaktiv von meinen Vorbildern lernen und meine Ideale anstreben. Die Betonung muss hier auf „proaktiv“ liegen, denn die wenigsten Vorbilder und Ideale liefern einen schön ausgearbeiteten Lehrplan mit. Was sie hingegen liefern, ist Inspiration. Sie zeigen auf, was möglich ist, und erweitern den Horizont.

Das kann ganz praktische, sogar körperliche, Konsequenzen haben. Beispielsweise hatte ich das Glück, vor einem Bandscheibenvorfall im Jahr 2011 von Valentin Dikul zu lesen. Valentin Dikul stürzte als junger Zirkusartist ab, brach sich die Wirbelsäule und saß dann querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Die Ärzte sagten ihm, er müsse sein Schicksal akzeptieren und sich mit dem Rollstuhl arrangieren. Stattdessen begann er jedoch, im Rollstuhl sitzend, auf eigene Faust zu trainieren. Nach mehreren Jahren gelang es ihm, wieder zu stehen und zu gehen. Und von da an gab es kein Halten mehr – er startete eine zweite Zirkuskarriere, nun mit Kraft-Kunststücken. Ganz nebenbei stellte er noch Weltrekorde im Kraftdreikampf auf.

Durch Dikuls Geschichte wusste ich, dass es möglich ist, sich von einer Querschnittslähmung zu erholen – also musste es mir auch möglich sein, mich von meinem Bandscheibenvorfall zu erholen. Wer weiß, ob ich ohne dieses Vorbild den Weg der proaktiven Erholung durch Krafttraining überhaupt eingeschlagen hätte – oder meinen kaputten Rücken akzeptiert hätte und auf der Couch geblieben wäre. In jedem Fall wurde durch den ganzen Prozess von Inspiration durch das Vorbild und die sich daraus ableitende Selbstheilung das Ideal des Niemals-Aufgebens sehr konkret für mich. Eine Erfahrung, die ich dann natürlich auch in andere Situationen mit hineingenommen habe.

Mit der Wahl meiner Vorbilder und Ideale beeinflusse ich also ganz konkret meinen Lebensweg. Deswegen ist es so wichtig, das Aussuchen, das Auswählen, ganz bewusst zu gestalten. Das ist natürlich nicht die Art, wie es gewöhnlich abläuft. Im Gegenteil, normalerweise findet dieser Prozess ganz unbewusst statt: Bestimmte Dinge und Personen faszinieren uns, lange bevor wir verstanden haben, warum. Diese Dinge und Personen beeinflussen dann unser Denken und Handeln und nehmen Platz in unserer Psyche ein. Manche Dinge und Personen faszinieren uns vielleicht auch gar nicht, werden uns aber so lange immer wieder vorgesetzt, bis sie trotzdem ihren Platz in unserem Geist ergattert haben.

Sich diese Prozesse bewusst zu machen und zu analysieren, trägt zu einem selbstbestimmten Leben bei. Fundamental ist dabei die Einsicht, dass es in meiner Psyche diesen Platz für Vorbilder und Ideale gibt – und dass meine Psyche diesen Platz in jedem Fall mit etwas füllen wird. Die menschliche Psyche wird sich immer einen Wertekompass bilden und sich immer einen Nordstern zur Orientierung suchen. Und wenn ich diese Position des psychischen Nordsterns nicht bewusst mit meiner Wahl besetze, dann ist mein Lebensweg nicht selbstbestimmt.

Das ist gerade in unseren Zeiten von Entwurzelung und kollektivem Identitätsverlust wichtig. Versucht nicht so mancher Mensch, die unterschwellig nagende Frage nach der eigenen Identität mit seinen Konsumentscheidungen zu beantworten? Natürlich sind manche Marken
und Produkte identitätsstiftend – sonst gäbe es zum Beispiel keine Harley-Davidson-Tattoos. Aber Identitäten, die man kaufen kann, sind allein auf Dauer nicht befriedigend – es bleibt immer der Hunger nach mehr.

Wichtiger als die Frage, was ich kaufen möchte, ist die Frage, wer ich werden will. Wer meine Vorbilder sind und warum. Denn wenn ich weiß, wer ich werden will, dann weiß ich auch schon verdammt viel darüber, wer ich bin.

Und als Folgefrage: Was sind die Ideale der Gruppen, denen ich angehöre? Gruppen bilden sich um gemeinsame Werte, um gemeinsame Ideale. Und welchen Gruppen wir angehören, bestimmt, wer wir werden. Belonging is becoming. Es ist schwer, seine Ideale als Einzelkämpfer mit Leben zu füllen.

Was heißt all das jetzt konkret? Mein Appell an Sie ist, sich folgende Fragen zu stellen und am besten schriftlich zu beantworten: Was sind Ihre Ideale und warum? Möchten Sie diese Ideale tatsächlich und konsequent leben? Welche Personen verkörpern diese Ideale vorbildhaft für Sie? Verhalten Sie sich wie Ihre Vorbilder? Falls nein, warum nicht? Wie setzen Sie Ihre abstrakten Ideale sonst in konkrete Taten um? Gehören Sie Gruppen an, die Ihre Ideale teilen? Falls nein, warum nicht?

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog Das Glück ist ein Freund des Starken

Max Reinhardt

Max Reinhardt arbeitet in Hyperborea an einem geheimen Forschungsprojekt zur Entwicklung einer Zeitmaschine, um die Geburt von Karl Marx, Karl Lauterbach und weiterer Sozialisten zu verhindern. Nebenbei schreibt und trainiert er und ruft entgegen behördlichen Anordnungen zu gemeinschaftlichen Wanderungen auf.

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