„Sklavenmoral ist die Moral der Schwachen, der Demütigen, der Passiven, der Opfer, die Angst vor der großen bösen Welt haben. Diese Schwächlinge sind chronisch passiv, vor allem, weil sie Angst vor den Starken haben. Infolgedessen sind die Schwachen frustriert. Sie werden neidisch auf die Starken.” – Was hat dieser Dualismus mit der heutigen Politik zu tun? „Eine Menge!”, meint Max Reinhardt.
„Macht“. Ein großes Wort, mit dem viel Schlechtes assoziiert wird. Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut. Politiker sind machtgeil und missbrauchen ihre Macht, um auf Kosten anderer in Wohlstand zu leben. Und so weiter. Einerseits gibt es diese Klischees natürlich aus gutem Grund, doch andererseits: Ist Macht nicht einfach nur ein Werkzeug? An sich völlig wertneutral, so wie das Küchenmesser, mit dem man morden oder Zwiebeln schneiden kann? Wenn das so ist, warum ist der Begriff dann so negativ konnotiert?
Dass Macht so negativ belegt ist, führt letztlich auch dazu, dass manche Menschen ihre eigene Macht ablehnen – und sich damit für die Machtlosigkeit entscheiden. Die Gleichung ist dann: Besser machtlos und damit moralisch gut als mächtig und damit moralisch böse. Dadurch räumen diejenigen, in deren Wertesystem Macht „böse“ ist, kampflos das Feld für diejenigen, die Macht als „gut“ ansehen.
Ein Teil der Erklärung der negativen Konnotation ist sicherlich der Zusammenhang zwischen Macht und Gewalt, beispielsweise bei der Staatsgewalt. Gleichzeitig ist natürlich auch Gewalt genauso ein an sich wertneutrales Werkzeug. Ein Mord oder die Abwehr des Mörders mit dessen Tod als Folge, beides ist tödliche Gewalt. Es kommt auf die konkrete Anwendung des Werkzeugs und den Kontext an.
Für den einen Menschen ist beispielsweise Staatsgewalt im Sinne eines starken Staats mit wehrhafter Polizei und Armee erstrebenswert, für den anderen ein Graus. Eine Frage der Perspektive. Der eine Mensch sieht sich als Teil des Staates, der Staat ist für ihn ein „Wir“. Der andere Mensch lebt geographisch im gleichen Staat, versteht „den Staat“ aber als illegitimen Monopolisten auf endrichterliche Entscheidungen und sieht folglich die Sicherheitsbehörden als Instrumente zur Sicherung der Staatsmacht, nicht zur Sicherung der Bevölkerung. „Der Staat“ ist nicht sein „Wir“ – sondern ein „Sie“. Ein „Sie“ im Sinne von: „Jetzt ham se wieder die Steuern erhöht, und den BER kriegen se auch schon seit 100 Jahren nicht fertig.“ „Sie“ im Sinne von „die anderen, nicht wir“.
Natürlicherweise wollen Menschen Macht für sich und ihr „Wir“ – lehnen aber mehr Macht für „die anderen“ ab. Somit liegt es im Interesse der Herrscher, der Mächtigen, dass die Beherrschten ihre Herrscher in ein gemeinsames Wir-Gefühl miteinschließen.
Ein gemeinsames Wir eint – auch wenn es innerhalb des Wir Konflikte gibt. Eine Nation ist ein großes Wir – wir Deutsche, wir Franzosen, und so weiter. Dieses Wir eint auch Parasiten und Produzenten und führt dazu, dass viele Menschen, die nur widerwillig Zwangsabgaben leisten, sich trotz des unliebsamen staatlichen Zwangs einen starken und gut funktionierenden Staat wünschen. Völlig paradox – ich störe mich am Zwangsapparat und wünsche mir gleichzeitig, dass eben dieser Zwangsapparat stark und funktional ist. Da spielt sicherlich auch der psychologische Effekt der Traumabindung mit rein – quasi das Stockholmsyndrom des Normalverbrauchers –, aber natürlich auch das Wir-Gefühl, das Gefühl, dass auch die unliebsamen Parasiten doch irgendwie dazugehören, dass wir doch letztlich alle eine große Familie sind und füreinander einstehen müssen.
So weit, so gut – die Parasiten halten die Produzenten mit einer cleveren Mischung aus Wir-Gefühl, Umverteilung und Zwang unter Kontrolle und nutzen sie bestmöglich aus – und damit das immer so weitergehen kann, achten die mächtigen Parasiten dabei darauf, die Produzenten, ihren Wirt, nicht zu töten. Nur lebendige Sklaven können für ihren Plantagenbesitzer arbeiten. Nur eine funktionierende Volkswirtschaft kann auf Dauer viele Berufspolitiker gut ernähren. Der Parasit hat also immer ein Interesse daran, dass sein Wirt überlebt – nur so kann der Parasit weiter Blut saugen. Ergo muss ein Berufspolitiker, bei aller Klientelpolitik, Korruption und so weiter, immer noch darauf achten, den Bogen nicht zu überspannen und die Wirtschaftsmaschine weiterlaufen zu lassen.
Wie passt das zur tatsächlichen Politik in Deutschland, die scheinbar das ganze Land systematisch schwächt, seine Macht mindert und damit letztlich sowohl den Produzenten als auch den Parasiten schadet?
Auch das ist eine Frage der Perspektive. Der Politiker, der Deutschland (als Gesamtheit aus Parasiten und Wirten) schadet, damit aber zunächst seinen Eigeninteressen (Einkommens- und Machterhalt) dient, handelt innerhalb des gegebenen Systems gewissermaßen rational. Denn sein Wir ist zuerst seine eigene Familie beziehungsweise sein engerer Kreis, und erst viel später dann „die Bevölkerung“. Dass ein Berufspolitiker zuerst an das Wohlergehen seiner selbst beziehungsweise seiner Angehörigen denkt, ist logisch und entspricht einfach der tribalen menschlichen Natur. Das gilt ja auch als Argument für die gute Versorgung von Berufspolitikern – wir schmeißen ihnen einfach so viel Kohle in den Rachen, dass sie für Korruption und Ähnliches gar nicht mehr empfänglich sind und sich ganz auf das Wohl der Nation konzentrieren können. Theorie und Praxis. Doch auch dieser Effekt müsste eigentlich vom natürlichen Eigeninteresse des Parasiten begrenzt werden. Er saugt vielleicht mal für eine große Parasitenparty so viel Blut, dass der Wirt danach für eine Weile leistungsschwach ist – aber man lässt ihn sich rechtzeitig erholen. Für die nächste Party und so.
Das alles ändert sich jedoch durch Ressentiment, Sklavenmoral und sozialistischen Todestrieb. Eine mächtige Person wird ihre Macht zwar immer in einem gewissen Rahmen für ihre unmittelbaren Eigeninteressen nutzen – auch und gerade auf Kosten der Beherrschten –, aber der psychisch gesunde Mächtige wird dabei Kosten und Nutzen abwägen. Beispielsweise wird der berufspolitische Parasit seinen Wirt nicht so leersaugen, dass dieser stirbt – aus Eigeninteresse.
Jedoch gilt das natürlich nur unter der Bedingung, dass der Parasit das Leben an sich wertschätzt. Seins natürlich mehr als das des Wirts, aber das Leben ist für ihn grundsätzlich wertvoll. Würde er allerdings das Leben an sich verachten, wäre es nur konsequent, wenn er seinen Wirt bis zum gemeinsamen Tod von Parasit und Wirt aussaugt.
Wenn der Ruin Deutschlands der Effekt ist, ist dann der Ruin Deutschlands vielleicht auch das Ziel?
Wenn man sich selbst und „das Eigene“ hasst – dann ist die systematische Zerstörung des Eigenen und damit letztlich auch des Selbst nur konsequent.
Nietzsche benutzt das Konzept des Ressentiments, um in „Jenseits von Gut und Böse“ und später in „Zur Genealogie der Moral“ seinen berühmten Dualismus von Herren- und Sklavenmoral auszuarbeiten. Herrenmoral ist die Moral der Lebenslustigen und Starken, die Abenteuer lieben und Freude an Kreativität, Zielstrebigkeit und Selbstbestimmung haben.
Sklavenmoral ist die Moral der Schwachen, der Demütigen, der Passiven, der Opfer, die Angst vor der großen bösen Welt haben. Diese Schwächlinge sind chronisch passiv, vor allem, weil sie Angst vor den Starken haben. Infolgedessen sind die Schwachen frustriert. Sie können nicht bekommen, was sie vom Leben und der Welt wollen. Sie werden neidisch auf die Starken. Und sie beginnen auch, sich heimlich selbst dafür zu hassen, dass sie so feige und schwach sind. Aber niemand kann mit der Erkenntnis leben, dass er oder sie voller bitteren Ha
sses ist. Und so erfinden die Schwachen eine Rationalisierung.
Eine Rationalisierung, die ihnen sagt: Sie sind die Guten – und damit zumindest moralisch die Besseren –, gerade weil sie schwach, demütig und passiv sind. Geduld wird so zur Tugend – denn ein Schwächling kann sich nicht einfach sofort nehmen, was er will. Gehorsam wird so zur Tugend – denn die Schwachen müssen den Starken gehorchen. Schwäche und ihre Ableitungen werden zur Tugend, für moralisch richtig, erklärt. Diese Umkehr der Werte macht dann die Schwachen, die Passiven, die Armen, die Leidenden, die Opfer, die Fügsamen, zu den Guten. Und die Gegensätze dieser Werte müssen dann natürlich böse sein – Stärke, Aggressivität, Stolz, Unabhängigkeit, körperlicher und materieller Erfolg –, und so werden die Starken, die Erfolgreichen, zu den Bösen.
Aber das ist natürlich eine Rationalisierung. Und ein kluger Schwächling wird sich selbst nie ganz davon überzeugen können. Und das wird in seiner Psyche Schaden anrichten. Während die Starken über ihn lachen. Was innerlich weiteren Schaden anrichtet. Und währenddessen werden die Starken immer reicher und genießen das Leben. Das richtet noch mehr Schaden in der Seele des Schwächlings an. Irgendwann wird der Schwächling dann eine derart giftige Kombination aus Selbsthass und Neid verspüren, dass er sich wehren, sich ein Ventil suchen muss. Er wird den Drang verspüren, seinen verhassten Feind zu verletzen. Aber natürlich kann er keine direkte Konfrontation riskieren – er ist ein Schwächling. Seine einzigen Waffen sind Worte.
In unserer heutigen Zeit sind die Kapitalisten die Starken. Für eine Weile, im letzten Jahrhundert, konnten Sozialisten glauben, dass die Revolution kommen würde. Dass endlich „Gerechtigkeit“ einkehrt und die Reichen, die Starken, entmachtet und bestraft werden – während die Schwachen endlich und verdientermaßen belohnt werden. Aber diese Hoffnung wurde grausam enttäuscht. Der Kapitalismus hat gewonnen, und die Sozialisten hassen diese Tatsache. Der Sozialismus ist der Verlierer, und die Sozialisten hassen auch diese Tatsache. Sie hassen die Gewinner dafür, dass sie gewonnen haben. Und sie hassen sich selbst dafür, dass sie sich für die Verliererseite entschieden haben. Und Hass als chronischer Zustand führt zu dem Drang, zu zerstören. Aber die einzigen Waffen der Schwächlinge sind Worte. Also, wie kann ich mit Worten zerstören?
Indem ich Gerüchte streue und Lügen verbreite. Ob die Gerüchte stimmen oder ob ich die Lügen selbst glaube, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist nur, dass sie in der Psyche meines Gegners Schaden anrichten. Das Endziel ist dabei, das Selbstwertgefühl des Gegners zu zerstören. Denn wer nicht mehr glaubt, den Sieg verdient zu haben, wird nicht entschlossen um ihn kämpfen. Also sind psychologische Kriegsführung, moralische Diskreditierung der Starken und Aufhetzung der Herde die Waffen der Wahl.
Natürlich weiß der kluge Schwächling, was er da tut. Also muss eine weitere Rationalisierung her. Der Zweck heiligt die Mittel, und wenn der Schwächling in den Spiegel schaut, sagt er sich: „Ich mache das nur für eine gerechtere Gesellschaft und die Rettung der Welt!“ Und da ist sie, die Rechtfertigung für alles. Erst für Lügen, Verleumdung und Rufmord – später dann für Totalitarismus, Konzentrationslager, Gulags, Killing Fields und den großen Sprung vorwärts in die genozidale Kulturrevolution.
All das ist dann ein notwendiges Übel, um endlich eine Welt zu erschaffen, die es dem Schwächling wert ist, in ihr zu leben. Denn in der alten Welt ging es ihm schlecht – und war ist die Schuld der Welt, nicht des Schwächlings! Also muss die schöne neue Welt um jeden Preis erschaffen werden – koste es, was es wolle! Und sollte das nicht gelingen, dann ist der Untergang der ganzen Welt, inklusive des Schwächlings, nur verdient.
Hitler ist sicherlich ein Paradebeispiel für den hier geschilderten Mechanismus, als Künstler verschmäht, als Soldat besiegt, immer wieder erniedrigt. Wie das wohl bei seinen Kollegen Stalin, Mao und Pol Pot war? Konkrete Vergleiche zu gegenwärtigen Akteuren sind mir aufgrund konsequenter Ignoranz zum Glück nicht möglich – der tagespolitisch interessierte Leser wird sie jedoch sicherlich mit Leichtigkeit finden.
Wenn ich mich in der als kapitalistisch empfundenen Welt schlecht fühle und die Welt statt mein Verhalten dafür verantwortlich mache, dann will ich diese Welt, „das System“, zerstören. Das gilt insbesondere für all das in der Welt, was besonders gut und erfolgreich funktioniert und mir damit meine eigene Minderwertigkeit noch deutlicher macht. Wenn ich leistungsschwach bin und mich und die Welt dafür hasse – dann ist das Leistungsprinzip an sich mein Feind.
Die seelische Gesundheit unserer Berufspolitiker können wir nicht beeinflussen – aber unsere eigene. Der verständliche Impuls, mächtige Personen mit ausgeprägter Sklavenmoral zu bekämpfen, ist nicht die Lösung – sondern macht uns zu Sklaven der Sklaven, zu Opfern der Opfer. Wer jemanden bekämpft, richtet sein Handeln am Gegner aus, gerät in Reaktion und damit in Fremdbestimmung. Wenn wir uns Konflikte als Pendel vorstellen, dann hält jeder Schlag, egal aus welcher Richtung, das Pendel in Schwingung. Die Lösung liegt im Ignorieren, im Loslassen, im Sich-davon-lösen. Und mit der so gewonnenen Energie und Zeit können wir dann vielleicht ein bisschen dazu beitragen, bessere Alternativen zu erschaffen – ohne sie irgendjemandem aufzuzwingen.
Und Ressentiment und Sklavenmoral in der eigenen Psyche vermeiden wir am besten durch Nietzsches „aristokratische Wertgleichung“, Kreativität und Selbstschöpfertum.
Der Text erschien zuerst bei: Das Glück ist ein Freund des Starken