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Kein Fußball den Bürokraten! Schafft den Videobeweis endlich wieder ab!

30. April 2020
in 3 min lesen

Welcher Fußballfan erinnert sich nicht? Irgendwann musste jeder einmal zusehen, wie der eigene Verein durch ein Abseitstor, ein nicht geahndetes Foul oder einen unberechtigten Elfmeter verlor, ausschied oder vielleicht sogar abstieg (Dortmund oder Bayern-Fans können hier bereits aufhören, zu lesen.).

Das schmerzt und sicher hat man sich in diesen Momenten immer eine Art höhere Gerechtigkeit gewünscht, nach der (hier Deinen Drecksverein einsetzen) dann mindestens Champions League spielen würde. Leider gab es die jedoch nie. Stattdessen ärgerte man sich in der darauffolgenden Woche auf die gleiche Weise und in der danach und in der danach. Wenn man ganz ehrlich zu sich selbst ist, dann waren viele der Situationen, die man zusammen mit 20.000 anderen Bielefeldern im Stadion noch einhellig als glasklaren, nicht gegebenen Elfmeter für Arminia gesehen hatte, nicht immer ganz so eindeutig waren.

Natürlich gibt es auch tatsächliche Benachteiligungen, die meist zu Lasten der kleineren Scheißvereine gehen. Was all die Dortmund, Bayern-, Schalke- und Bremen-Fans stets bestritten und alle Augsburg-, Kiel- und Rostock-Fans längst wussten, ist nämlich statistisch bestätigt: Der Verein mit dem größeren ‚Prestige‘ ist auch der Verein, zu dessen Gunsten häufiger die Fehlentscheidungen getroffen werden. Wenn sich also das nächste mal wieder ein Dortmunder in Eure Umgebung verirrt und den Bayernbonus anprangert, erklärt ihm doch gerne kurz, dass sein Verein nicht nur aber auch statistisch den Bayern sehr ähnlich ist.

Solche Tendenzen, die vermutlich auf einen psychologischen Effekt bei den Schiedsrichtern zurückzuführen sind, lassen sich jedoch auch mit einem perfekt eingesetzten Videobeweis nicht gänzlich ausschließen. Wer beispielsweise hält den Schiedsrichter davon ab, in einer unterbrechungsarmen Partie am 7. Spieltag der Saison 18/19 beim Stand von 3-3 zwischen Dortmund und Augsburg fünf Minuten Nachspielzeit anzuzeigen und dann sechs spielen zu lassen, bis doch noch (Überraschung! Fußballwunder!!) Der Siegtreffer für Dortmund fällt? Genau, Keiner.

Der Videobeweis im Fußball ist die Illusion von Kontrolle und Rationalisierung eines irrationalen Phänomens, das von seiner Unkontrollierbarkeit lebt: Dem Fußball. Denn auch, wenn es Fehlentscheidungen gibt und die sogar noch tendenziell zu Gunsten der Großen ausfallen, macht nichts diesen schönen Sport mehr kaputt, als die vollständige Abschaffung aller ihm innewohnenden Fehler. Was den Fußball so besonders macht, ist eben, dass man nicht das ganze Geschehen durch 237 Stellen bewerten und am Ende eine allen DFL-Statuten angemessene Schiedsrichterentscheidung erhält.

Vielmehr wären die meisten Fans vermutlich sogar bereit, auf diese asynchrone Form der vermeintlich perfekten Gerechtigkeit zu verzichten, wenn der Fußball dafür seine Unmittelbarkeit zurückgewinnen würde. Ein plötzlicher Ballwechsel, ein Querschläger, der sich in das Tor senkt, lebt davon nicht der Fußball? Oder lebt er davon, dass Schiedsrichter Robert Schmidt drei Minuten später nach Betrachtung von 12 Wiederholungen zu dem Ergebnis kommt, dass der den Ball abfälschende Spieler circa einen Zentimeter weit im Abseits stand?

Innerhalb von Sekunden entscheiden sich oftmals ganze Vereinsschicksale für Jahre oder sogar Jahrzehnte. Der Jubel über ein spätes Tor ist irrationale Glückseligkeit in ihrer schönsten Form, war er zumindest, bis man dem Schiedsrichter beibrachte, ein bescheuertes Rechteck in die Luft zu malen, um sich sogleich in Minuten quälender Ungewissheit 48 Perspektiven anzugucken und dann auf passives Abseits zu entscheiden, weil Irgendjemand vielleicht im Sichtfeld des Torwarts stand.

Fußball dient dem Abbau von Affekten, simuliert die Höhen und Tiefen, die der Alltag oftmals nicht bieten kann. Diese Zerstreuung muss aber direkt sein, sie darf nicht verwässert werden. Der Fußball ist kein bürokratischer Vorgang, der bis zuletzt jeder formalen Regelung gerecht werden muss oder kann, war er nie und wird er nie sein. Der wichtigste Punkt aber: Auch mit Videobeweis gibt es die Diskussionen noch, die mit ihm eigentlich abgeschafft werden sollten. Sie kreisen aber eben nicht mehr um die Pfeife des einzig neutralen Mannes auf dem Platz, sondern um einen kleinen Kellerraum in Köln. Das ist nur logisch: Wieso sollte der gleiche fehlbare Mensch, der zuvor eine reale Situation eventuell falsch bewertet hat, in jedem Fall das ihm vorgeführte Video richtig bewerten, das auch nur andere, wiederum fehlbare Menschen, ihm vorführen?

Der Videobeweis macht sich im Wesentlichen eine dem Zeitgeist entsprechende Vorstellung absoluter Gerechtigkeit zu Nutze. Leute, die an den Videobeweis und seinen Nutzen glauben, glauben vermutlich auch, dass eine Erbschaftsteuer von 100% Vermögen gerecht verteilen würde, dass alle Menschen auf der Welt ein Recht darauf haben, überall zu leben, wo sie wollen, auch wenn das die jeweils Autochthonen bezahlen müssen und dass es solidarisch wäre, wenn Staaten mit Haushaltdisziplin und ihre Steuerzahler in Form von Corona- oder Eurobonds für jeden Pleitestaat und dessen Schulden in Haftung genommen werden können. Du findest all diese Sachen „richtig und wichtig?“ – Herzlichen Glückwunsch, der Videobeweis ist genau Dein Ding. Alle jedoch, die nicht infantil genug denken um diesen Beispielen für gesinnungsethische Gerechtigkeits-Demagogie auf den Leim zu gehen: Bürokraten nehmen Euch den Fußball weg!

Maximilian Kneller

Kneller ist Politikwissenschaftler und Linksextremismusexperte. In seiner Freizeit engagiert er sich sehr zur Freude seiner Frau für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Etwa durch die deutliche statistische Reduktion des „orgasm gap“, der dank Pullover tragender Sörens aus dem AStA immer noch ein veritables gesellschaftliches Problem ist. Neben der Zugehörigkeit zu einer gewissen Oppositionspartei schlägt sein Herz für Arminia Bielefeld; er hat also nicht viel Freude im Leben und deshalb vermutlich so bedenkliche Ansichten.

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