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Buchkritik: Weltunordnung (Carlo Masala)

5. November 2022
in 3 min lesen

Frankfurter Buchmesse. Da Exgesundheitsminister Jens Spahn erwartungsgemäß nicht viel zu sagen hat, lausche ich stattdessen den Ausführungen des Politikwissenschaftlers Carlo Masala über die Illusionen des Westens. Masala, 1968 als Kind einer österreichischen Verkäuferin und eines italienischen Gastarbeiters in Köln geboren, gilt als Neorealist und lehrt an der Universität der Bundeswehr in München. Sein Buch Weltunordnung wurde 2016 vom Verlag C. H. Beck herausgegeben und ist gerade in der vierten Auflage erschienen. Erweitert um ein Kapitel, das der durch den russischen Überfall auf die Ukraine losgetretenen Entwicklung gewidmet ist.

Da Carlo Masala die Fragen des Moderators souverän beantwortet und dabei eine rhetorische Brillanz an den Tag legt, die Politiker in aller Regel vermissen lassen, bleibe ich bis zum Ende der Buchvorstellung und unterhalte mich anschließend noch kurz mit dem Ordinarius, um die Tiefe seiner Argumente auszuloten. Als ich das Buch tags darauf in der Frankfurter Bahnhofsbuchhandlung für 16,95 Euro ausliegen sehe, greife ich zu.

Eines vorweg: Der Traum einer Neuen Weltordnung, wie George H. W. Bush sie skizzierte, ist aus Sicht des Autors ausgeträumt. Schon in der Einleitung konstatiert Masala, es sei „erstaunlich, wie wenig der ‚Westen‘ aus seiner fehlgeschlagenen Politik der Universalisierung seiner Werte und Normen gelernt“ habe. Das Buch wende „sich gegen all jene in Politik, Medien und Wissenschaft, die ihre Analysen und Kommentare der internationalen Politik oder gar ihre konkreten politischen Forderungen von dem gefährlichen Wunschdenken leiten“ ließen, man müsse einem bestimmten liberalen Modell einer neuen Weltordnung „notfalls mit Gewalt zum Durchbruch verhelfen“. Diese Form der Politik bezeichnet Masala als „liberalen Imperialismus“. Der habe sich in Übersee in einer harten und in Europa in einer weichen Spielart durchgesetzt, aber letztlich sei man sich in der Zielsetzung einig gewesen.

Zur weichen Form des liberalen Imperialismus zählt der Politikwissenschaftler beispielsweise das Wirken von Nichtregierungsorganisationen wie der Konrad-Adenauer-Stiftung oder die Tatsache, dass die Vergabe von Krediten an die Erfüllung von Vorgaben geknüpft worden sei. Jene Auflagen hätten bis weit in die innere Politik der betreffenden Staaten hineingereicht und deren Souveränität faktisch ausgehöhlt. Inzwischen ist das autoritär regierte China der größte Kreditgeber für afrikanische Staaten geworden, weil es die Vergabe von Krediten selbstredend nicht an Demokratisierungsbemühungen und rechtsstaatliche Reformen der betreffenden Staaten knüpft, und hat sich im Gegenzug exklusive Schürfrechte auf dem Schwarzen Kontinent gesichert.



Allerdings unterliegt die Politik der Demokratisierung von Staaten „aus westlicher Perspektive dem strategischen Kalkül, dass mit ihr keine fundamentale Veränderung der Innen-, aber vor allem der Außenpolitik einhergehen darf, die westlichen Interessen entgegensteht.“ Wenn eine solche Veränderung sich abzeichne, übertrumpfe „realpolitisches Interesse die idealistische Vision“, was dazu führe, dass die Politik des Westens als doppelbödig empfunden werde. Als Faustregel gelte: Je wichtiger ein Staat für Washington, Paris, London oder Berlin ist, desto eher sei man gewillt, „auf Demokratisierungsbemühungen zu verzichten und eklatante Menschenrechtsverletzungen in diesen Staaten stillschweigend zu billigen“.

Exemplarisch führt Masala den Umgang mit Saudi-Arabien und dem ägyptischen Staatspräsidenten General Sisi an. Habe ein Land aus amerikanischer oder europäischer Perspektive hingegen keine strategische Bedeutung, bekomme es „das ganze Instrumentarium der zur Verfügung stehenden Druckmittel“ zu spüren. Und nicht selten steht am Ende das letzte Mittel: die militärische Intervention.

Da eine unmittelbare Bedrohung für Europa oder die USA in den seltensten Fällen plausibel ist, lassen sich die Interventionen der eigenen Bevölkerung gegenüber mit einem Bedrohungsszenario – der Kreuzzug gegen den internationalen Terrorismus kann als Ausnahme betrachtet werden – kaum rechtfertigen, weshalb man dazu übergegangen ist, „sie mit dem Verweis auf humanitäre Notlagen und ungerechte Herrschaft zu begründen und oftmals die ebenfalls vorhandenen konkreten geostrategischen Interessen zu verschweigen.“ An die Stelle des alten Nichteinmischungsgebots in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, das auf den Westfälischen Frieden von 1648 zurückgeht, sei mittlerweile eine „pan-interventionistische Weltideologie“ getreten. Begonnen habe diese Entwicklung nach dem Ende des Kalten Krieges. Um aber „die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung für Interventionen im Namen der Gerechtigkeit sicherzustellen“, sei „es notwendig, den Gegner als das absolut Böse darzustellen.“ Allerdings diskreditiere die Dämonisierung des Gegners diesen „als Partner für mögliche Waffenstillstandsverhandlungen.“

Es sei schlechterdings nicht möglich, mit dem Bösen zu verhandeln: „Seine Vernichtung muss das Ziel jeglicher militärischer Intervention sein.“ Die Dämonisierung des Gegners und die Androhung strafrechtlicher Verfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof trage indes zur Eskalation von Konflikten bei, da dem betreffenden Diktator nebst Gefolge keine andere Möglichkeit gegeben werde, „als ‚bis zum Letzten‘ zu kämpfen.“ Sie wissen nur allzu gut, was ihnen im Falle einer Kapitulation blüht. Hierdurch verliere der Krieg „seinen Clausewitz’schen Sinn, die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln zu sein.“ Masala rät dazu, künftig „nur in solchen Fällen zu intervenieren, in denen es eine strategische Notwendigkeit gibt und diese gegenüber der eigenen Bevölkerung auch klar zu kommunizieren.“ Man wäre gut beraten, ihm zuzuhören.

Jonathan Stumpf

Jonathan, dem der Libertarismus als geborenem Ami eigentlich in die Wiege gelegt wurde, benötigte dennoch einige Umwege und einen Auslandsaufenthalt an der Universiteit Leiden, um sich diese politische Philosophie nachhaltig zu eigen zu machen. Zuvor hatte er bereits im Bachelor auf Staatskosten zwei Semester in Rumänien zugebracht. Wie jeder Geistes- oder Kulturwissenschaftler mit Masterabschluss, der etwas auf sich hält, bewegt Jonathan etwas in unserem Land. In seinem Fall sind es Container. Er hat im Sommer 2021 als Decksmann auf einem Containerschiff angeheuert.

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