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Buchkritik: Reserve (Prinz Harry)

24. Januar 2023
in 6 min lesen

Ich gestehe offen und frei heraus: Es war der blanke Voyerismus, der mich vor ein paar Wochen dazu trieb den Chef „ganz unbefangen“ zu fragen, ob ich ihm nicht die neue Harry-Biografie auf die Rechnung setzen dürfte – als „Rezensionsexemplar“. Akademisches Interesse. Zum Wohle unserer Leser. Aus Liebe zum Vaterland. „Na klar, Fechter, ausgezeichnete Idee, wie immer!“, antwortete er. Nicht. Wahrscheinlich runzelte er nur die Stirn, aber schon wenige Tage später überbrachte mir der Kurier ein Paket von Amazon. Gerade erst lag die deutsche Übersetzung der von Geisterhand geschriebenen Lebensbeichte des verschmähten Windsors vor, der Medienpöbel zerriss sich bereits das Maul. Es wurde also Zeit.

Jetzt, kanpp zwei Wochen später ist es vollbracht: 503 Seiten Nöhlerei, garniert mit präpubertären Schniedel-Geschichten und sehr wenigen, aber immerhin einigermaßen interessanten Einblicken aus dem Alltagsgeschäft der berühmtesten Königsfamilie der Welt. Das alles unterteilt in endlos viele Kapitel und Kapitelchen, die dem Buch etwas anekdotenhaftes und unverfängliches geben sollen – aber davon lassen wir uns nicht täuschen. Unser Teil der Pflichterfüllung endete nämlich nicht mit Seite 503, sondern umfasste auch das Studium der Danksagung. Viele, viele Namen, die zeigen: Der gefallene Prinz und seine Frau stehen nicht mit dem Rücken zur Wand, so wie sie es gerne darstellen. Sie kämpfen nicht auf sich allein gestellt gegen eine feindlich gesinnte Welt. Nein, Harry und Meghan sind der Mittelpunkt eines Medienunternehmens, das jedes Wort und jeden Auftritt der beiden haargenau inszeniert.

Das Buch ist in drei Abschnitte unterteilt: Kindheit und Jugend, Militärzeit und schließlich die Beziehung zu Meghan sowie der Bruch mit der Familie. Durch diese drei Abschnitte ziehen sich zwei rote Fäden: Die unverarbeitete Trauer über den Tod der Mutter, Lady Diana, und der Hass auf die Presse. Beide Motive sind eng miteinander verflochten. Es waren Pressevertreter, die in der schicksalshaften Nacht des 31. Augusts 1997 den Wagen durch Paris jagten, in dem Diana mit ihrem Lebensgefährten Dodi Al-Fayed saß. Für die beiden endete die Flucht tödlich: Der Wagen prallte gegen einen Tunnelpfeiler, Harry und sein Bruder William waren von da an Halbwaisen.

Mit dieser Schlüsselszene beginnt Harrys eigentliches Leben, man könnte auch sagen: Es hört nie damit auf. Nach Seite 100 erhärtete sich mein Verdacht, dass Harry irgendwie auf dem Stand eines 12-Jährigen stehengeblieben ist. Ist dieses Urteil zu hart? Zu anmaßend? Sagt man Menschen, die in frühen Jahren einen Elternteil verlieren nicht nach, dass sie früher erwachsen werden? Erwachsen werden müssen? Es ist dann zum Ende des Buches Harry selbst bzw. seine Therapeutin, die ihm genau das diagnostiziert. Der zweite Sohn von König Karl III. ist das Kind geblieben, dass er zum Todeszeitpunkt seiner Mutter war.

Das alles ist kein Grund für billigen Spott. Ich glaube, keiner von uns würde in der Haut eines Menschen stecken wollen, auf den sich Tag und Nacht die Kameras von Reportern richten. Der seinen Namen jeden Tag im Zusammenhang mit obszönen Lügengeschichten in der Zeitung sieht. Und doch, selbst wenn alle anderen es mit einem so böse meinen, wie Harry es in seiner Biographie darstellt (oder eher darstellen lässt): Der feine Unterschied zwischen dem Adel und jenen, die ihre Einkaufswagen an den Regalen mit der „Bunten“ und „Gala“ vorbeischieben ist einerseits Zucht – mittlerweile ein verruchtes Wort -, vor allem aber Haltung. Als Adeliger, vor allem als Prinz eines weltumspannenden Königreiches mit fast eintausendjähriger Geschichte gibt es schlichtweg Dinge, die man nicht macht. Und wenn man sie macht, dann redet man nicht darüber.

Das ist überhaupt so eine Sache, die zeigt, wie schäbig das Leben einer Generation sein kann, die durch die Existenz der sozialen Medien und die Beeinflussung der Kulturindustrie glaubt, dass jedes intime Lebensdetail herausposaunt werden müsse. 1.000 Leuten gefällt dein Hochzeitsfoto. Plastikmensch Nr. 312 kommentiert deinen blödsinnigen Beitrag. Hinterlasse eine Bewertung. Man könnte sagen, Prinz Harry hatte bereits ein Facebook-Profil, bevor es Facebook gab. Die herausragende Stellung seiner Familie bringt es eben mit sich, dass jede Banalität unter öffentlicher Beobachtung steht. Prinz Harry findet das nicht gut und wird nicht müde zu wiederholen, wie ungerecht und falsch die Darstellungen über ihn und seine tadellose Ehefrau doch wären. Aber wieso schafft es ein Teil der Royals diese Kaskade aus Klatschmeldungen, Nötigungen und Beschimpfungen abzuschütteln und stattdessen Kränze niederzulegen, Reden zu halten, auf die Jagd zu gehen – also Haltung zu wahren – während ein anderer Teil die andauernde Verletzung seiner Intimität beklagt und im gleichen Atemzug darüber fabuliert, wie ihm bei einer Reise zum Nordpol beinahe das Gemächt erfroren wäre.

Ja, wieso müssen solche Unappetitlichkeiten vor aller Welt ausgebreitet werden, während man gleichzeitig die Hochzeitszeremonie des großen Bruders schildert. Das ist nichts als dummer Seth Rogen-Humor – einerseits also eine pubertär-perverse Zügellosigkeit, andererseits dann aber die rigide Absteckung der Zirkusmanege durch ideologisierte Kampfbegriffe: Rassismus. Sexismus. Blabla. Was bleibt, wenn der Rauch sich verzogen hat? Entwürdigung und Entweihung. Auch solche Merkmale unserer Zeit.

Die Armee gilt seit jeher als Auffangbecken für schwierige Männer. Wo das väterliche Mahnen verhallt und auch der Rohrstock es nicht richten kann, da ist es schließlich die körperliche und geistige Grenzerfahrung durch den militärischen Drill, die aus schwierigen Jungs allseits anerkannte Männer macht. So die geläufige Erzählung, so auch der Fall bei unserem Problemprinzen. Die Armee ist wahrscheinlich die einzige Institution, mit der sich Harry vollauf identifizieren kann. Hier erhält er Anerkennung unabhängig seiner Herkunft, hier erhält er die Möglichkeit sich zu beweisen. Harry im Cockpit eines Kampfhubschraubers – dieses Bild versöhnte wahrscheinlich die meisten Yellow Press-Leser mit dem Prinzen. Endlich macht der Junge etwas vernünftiges!



Das glaubt auch Harry, und da wird es dann wieder in der Selbstdarstellung gewohnt haarig. Seine Vorfahren, da ist er sich ganz im Sinne der postmodernen Ideologie sicher, sind als plündernde und brandschatzende Kolonialisten über den Rest der Welt hergefallen. Mit so etwas will er nichts zu tun haben. Sein Einsatz in Afghanistan (er wollte zunächst in den Irak, das ließ sich aus Sicherheitsgründen aber nicht einrichten) hingegen ist ein tadelloser Krieg. So frei von Kritik, dass er nicht genug davon bekommen kann. Hier sind die Rollen klar verteilt: Es gibt die Guten, die Bösen und die Zwielichtigen – etwa die Offiziere, die ihm keine Feuerfreigabe erteilen.

Dieser sich ständig widersprechende Twist, der viel über das kindliche Gemüt des Prinzen verrät, findet sich auch an anderer Stelle. Da wird sich etwa seitenlang darüber ausgelassen, dass man als Zweitgeborener nur der „Spare“ – also die Reserve – für den Thron sei. Dementsprechend gehe das Umfeld mit der zweiten Garnitur nicht so sachte um, wie mit der ersten. Für sich genommen ist diese Feststellung schlüssig. Natürlich kann so etwas wütend machen. Aber Harry steht – wie immer – über den Dingen: Er wolle ja gar kein Prinz sein. Seinetwegen könne William das alles regeln. Aha.

Aus dieser Argumentation heraus folgt dann die nächste Rochade: Als lässiger Zweitgeborener beugt man sich nicht den überkommenen Konventionen. Man braucht das alles nicht. Dann verkündet Vater Charles, der Hüter der Familienfinanzen, dass es für Harry und seine Angetraute bald vorbei sein werde mit der royalen Quersubventionierung. Aufschrei! Wie kann Daddy das nur tun! Wovon sollen wir leben? Ich habe doch nie etwas gelernt. Und was ist mit dem Personenschutz? Blablabla.

Es bleibt das ganze Buch über so kindlich-unreflektiert. Schuld haben immer die anderen. Sich seinen Joint drehend fragt der ewige Punk, wieso ihn keiner versteht. Nun, weil er sich selbst nicht versteht. Ich glaube, das sagt ihm auch seine Therapeutin. Auch so etwas, auf dass der Plastikmensch von Welt zurückgreifen muss: Professionelle Hilfe. Selbstoptimierung. Denn Studien belegen… Nachdem man hinter verschlossener Tür vom Freud-Automaten seziert wurde, wird der ganze Seelenplunder in die Öffentlichkeit gekehrt. In jene Öffentlichkeit, wohlgemerkt, die sich, so lesen wir es auf 503 Seiten, in jeden Winkel des privaten Prinzengemachs hineinzwängt.

Dem ewig jungen Prinzen fehlt es einfach an Haltung in allen Lebenslagen. Man kann ein schweres Schicksal auch mit Würde tragen. Würde – die begegnet uns im Buch sehr, sehr selten, aber es gibt sie. Etwa dann, wenn dem Prinzen die unbekannten Passagiere im Flugzeug anlässlich des Todes der Queen kondolieren. Na bitte, denkt man sich bei Abschnitten wie diesem, geht doch. Für „die da draußen“, für dein Volk, bist du eben nicht der Idiot, als den die Presse dich unentwegt darstellt. Und als den du dich zu oft gebärst.

Fazit: Biographien nehme ich auch weiterhin nur ernst, wenn sie kurz vor oder lange nach dem Tod der entsprechenden Person geschrieben werden. Mein Voyerismus ist erstmal gesättigt, der schale Nachgeschmack beweist einmal mehr: Jedes Leben lässt sich auf zwei, drei große Momente zusammendampfen. Ein ergrauter, endlich erwachsen gewordener Harry hätte mit dem nötigen Abstand über diese, seine großen Momente erzählen können und der Leser hätte sich irgendwie bestätigt gefühlt: Dass es sich beim Zweitgeborenen, trotz der andauernden Negativpresse, um einen Pfundskerl handelt. Aber so? No, zänk ju.

Friedrich Fechter

Nachdem sich Fechter von den beiden Chefs die Leitung der Netzredaktion hat aufquatschen lassen, musste er mit Enttäuschung feststellen, dass die Zeiten von Olymp-Schreibmaschinen und reizenden Vorzimmerdamen vorbei sind. Eine Schreibmaschine hat er sich vom hart erarbeiteten Gehalt trotzdem gekauft. Und einen antiken Schreibtisch. Auf irgendwas muss man im Hausbüro schließlich einprügeln können, wenn die faulen Kolumnisten wieder ihre Abgabefristen versemmeln…

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