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Olympia, China und der Westen – Monolithische Propaganda

13. Februar 2022
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Erwartungsgemäß begann die Kampagne bereits im Vorfeld der Winterspiele in Peking und steigerte sich am Tag der Eröffnung zum Crescendo: Bundesrepublikanische Politiker und Journalisten, denen das im Grundgesetz beschworene „deutsche Volk“ als angeblich völkisch-nationalistischer Begriff seit Jahren nicht mehr über die Lippen, geschweige denn in die Feder kommt, setzen sich mit Empathie für das „unterdrückte Volk der Uiguren“ und für die „Rechte des tibetischen Volkes“ ein.

Während die politmediale Elite im eigenen Land alles daransetzt, die vor fünfzig Jahren noch relativ homogene Nation der Autochthonen, jener also, „die schon lange hier leben“ (Angela Merkel), allmählich in multiethnischer und multikultureller Vielfalt aufzulösen, sollen Chinas Minderheitsvölker vor diesem menschenrechtswidrigen Los bewahrt werden.

Keine Ahnung von China, aber dafür “Haltung“

Nicht nur im „besten Deutschland, das wir je hatten“ (Frank-Walter Steinmeier) – in nahezu allen Ländern des Werte-basierten Westens steht China am Pranger. Hauptanklagepunkt ist das Schicksal Hunderttausender Uiguren, die, eingesperrt in „Umerziehungslagern“, unter Einsatz auch von Foltermethoden zur Aufgabe ihrer Religion, Kultur und Sprache gezwungen werden sollen. Mancherorts, so in den USA und Frankreich, ist von „Völkermord“ die Rede.

Niederschlagung der Demokratie-Bewegung in Hongkong, Drohkulisse gegen Taiwan und rigide Überwachung des eigenen Volkes sind weitere Vorwürfe. Sie richten sich gegen ein Regime, das China rätselhafterweise nicht trotz, sondern dank seiner kommunistischen Führung zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht entwickelt hat und das sich anschickt, die USA vom ersten Platz zu verdrängen. Wie konnte das geschehen?

Steffen Seibert, von 2010 bis 2021 Regierungssprecher unter Kanzlerin Merkel, kennt die Antwort. In einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung (Nr. 4 vom 28. Januar 2022) bekennt er: „Gegenüber der Geschichte großer Teile der Welt sind wir doch ignorant. Was wissen wir schon von Chinas Weg durch die Jahrtausende? Dort bezieht man sich heute noch auf Militärtheoretiker von vor 2.500 Jahren oder liest Dichter aus dem dritten Jahrhundert, das muß man kapieren. Unsere Geschichte ist für viele globale Zusammenhänge nicht die entscheidende. Man muß den Vorhang also beiseiteschaffen, um die großen Fragen unserer Zeit wenigstens ansatzweise zu verstehen.“

Ein wahres Wort. Doch hierzulande werden profunde China-Kenntnisse immer häufiger durch einen strammen Haltungsjournalismus ersetzt, der durch lückenhafte Berichterstattung nur die halbe Wahrheit vermittelt. Ein typisches Beispiel lieferte Holger Gertz, Sportredakteur der SZ, dessen linksliberales Meinungsbild hin und wieder auch den Hörern des Deutschlandfunks zuteil wird.

“Genocide Games“

Anläßlich der Eröffnungsfeier in Peking, an der Gertz im Gegensatz zu den Sommerspielen 2008 nicht persönlich teilnahm, stimmte er seine Leser darauf ein, was sie von dem Sportereignis zu erwarten haben: nichts Gutes angesichts einer „Parallelexistenz als Genocide Games“. Kein Wort jedoch über die Hintergründe der skandalisierten Vorgänge in Chinas autonomer Provinz Xinjiang. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland beließ es bei dem Seufzer: „Olympische Trauerspiele“.

Auch die anderen „Qualitätsmedien“ hielten sich diesbezüglich zurück. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung brachte es sogar fertig, am 1. Februar den Artikel einer Mitarbeiterin zu drucken, in dem sie das Schicksal eines chinesischen Polizisten schildert, der Uiguren verhört und gefoltert habe und jetzt mit Schuldgefühlen in Deutschland lebe. Doch war von der Kollegin über den Grund der Verhöre leider nichts Konkreteres zu erfahren.

Es verwundert, daß in den Redaktionen, die sich sonst soviel auf ihre Recherchearbeit zugute halten, bislang niemand auf die Idee gekommen ist, der Frage nachzugehen: Wo bleibt angesichts der ihren Glaubensbrüdern seit mehreren Jahren zugefügten Ungeheuerlichkeiten der Aufschrei der muslimischen Welt? Was sagt die 1962 gegründete Islamische Weltliga, was die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, der 56 Staaten angehören? Wo bleibt die Empörung der Türkei, der Golf-Emirate und Saudi-Arabiens als Wächter der heiligen Stätten, wo die Abberufung des chinesischen Botschafters aus Indonesien, das weltweit die meisten muslimischen Einwohner hat?

Weder Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi noch die Kronprinzen aus Riad und aus Abu Dhabi haben ein Wort der Kritik geäußert – im Gegenteil: die drei nahmen an der Eröffnungsfeier teil und wurden von Staats- und Parteichef Xi Jinping empfangen.

Wer hat Interesse an den Uiguren?

Ob sie alle von Peking bestochen sind? Zumindest hinsichtlich des pakistanischen Regierungschefs Imran Khan legt die SZ diese Annahme ihren Lesern nahe: Der Premier, der ebenfalls in Peking weilte, hatte dem Blatt zufolge noch daheim einige chinesische Journalisten zum Interview empfangen.

Darin habe er gesagt, die westlichen Vorwürfe bezüglich der Uiguren seien falsch. Pakistans Botschafter habe sich davon selbst bei einer Reise überzeugt. „Warum Khan das macht?“ fragt der SZ-Korrespondent stellvertretend für seine irritierten Leser und gibt die Antwort, die zugleich beruhigen und empören soll: „Er setzt auf Peking, um seinen Staat vor dem Finanzkollaps zu retten.“ Die Überschrift des Artikels lautete daher: „Imran Khan – Pakistans Premier, Anwalt aller Muslime außer den Uiguren“.

In Wahrheit dürfte das Schweigen zu den Vorgängen in Xinjiang leicht zu erklären sein: Es ist der islamistische Terrorismus, der nicht nur im Nahen Osten und in Afrika, sondern auch in Zentralasien seit Jahren Furcht und Schrecken verbreitet. So soll es nach chinesischen Angaben von 1990 bis Ende 2016 in Xinjiang mehrere tausend Anschläge gegeben haben – verübt von Separatisten und religiösen Fundamentalisten, die in der Region einen „Gottesstaat“ errichten wollen. Allein zwischen 1997 und 2015 gab es auch in China selbst mehr als 430 Terrortote.

Ende 2020 hatte die autonome Provinz 25,85 Millionen Einwohner, davon 11,6 Millionen Uiguren (44,9%), 10,9 Millionen Han-Chinesen (42,2%) sowie 3,3 Millionen Angehörige anderer ethnischer Gruppen (12,8%). Ob es in Xinjiang Zwangsarbeit und Straflager gibt, oder ob es sich, wie Peking behauptet, um Gebäudekomplexe handelt, die der Berufsausbildung dienen, um islamistischen Extremismus auszumerzen, ist kaum nachprüfbar.

Die in westlichen Medien präsentierten Kronzeugen sind wenig glaubwürdig. So soll Adrian Zenz, ein deutscher Anthropologe, Peking zufolge nie zu Forschungszwecken in Xinjiang gewesen sein. Zenz, der sich als „wiedergeborener Christ“ bekennt, lebt in den USA und arbeitet als China-Experte für den rechtsradikalen Think-Tank „Victims of Communism Memorial Foundation“.

2012 verfaßte er mit seinem Schwiegervater ein Buch über die „Endzeit“ in der Bibel. Gegenüber dem Wall Street Journal gab Zenz 2019 an, die Motivation, sich für religiöse Minderheiten auch in China einzusetzen, schöpfe er aus dem christlichen Glauben; er fühle sich dabei „von Gott geleitet“.

2019 veröffentlichte Zenz eine Studie, in der es heißt, seit Ende 2016 seien rund eine Million Uiguren interniert worden. In einer weiteren Studie behauptet er, die chinesische Regierung habe ein Programm zur gewaltsamen Geburtenkontrolle mit erzwungenen Abtreibungen eingeführt. Dafür soll er Peking zufolge nur acht uigurische Frauen interviewt haben, die im amerikanischen Exil leben.

Einstimmung auf zukünftige Konflikte

Im Fall Hongkong wird in den Medien gern unterschlagen, daß die vornehmlich von jungen Menschen aus der Mittelschicht getragene Demokratie-Bewegung keineswegs den Anspruch erheben konnte, für die Mehrheit der Bevölkerung zu sprechen. Rund drei Millionen Einwohner unterzeichneten im Mai 2020 eine Petition zur Unterstützung eines vom chinesischen Volkskongreß beschlossenen Sicherheitsgesetzes.

Als es immer häufiger zu blutigen Straßenkämpfen mit der Polizei kam und Rufe nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonie laut wurden, setzte Peking das Sicherheitsgesetz in Kraft, das „Separatimus, Subversion, Terrorismus und Verschwörung mit ausländischen Kräften“ unter Strafe stellt.

Am 25. Januar druckten mehrere Zeitungen, so auch die Süddeutsche, eine dpa-Meldung ab, derzufolge wieder einmal chinesische Flugzeuge in den taiwanesischen Luftraum eingedrungen seien. Der vorletzte Satz lautete: „Peking sieht das demokratische Taiwan, das sich 1949 vom Festland abspaltete, als abtrünnige Provinz und nicht als unabhängigen Staat an.“

Alles falsch. 1949 gab es kein demokratisches Taiwan, vielmehr war die Insel eine Provinz der Republik China, der Rechtsnachfolgerin des 1911 gestürzten Kaiserreichs. 1949 floh der im Bürgerkrieg den kommunistischen Truppen unterlegene Staatspräsident Tschiang Kai-schek nach Taiwan, erklärte die Insel zur „Republik China“ und hoffte, mit Unterstützung der USA bald das Festland zurückerobern zu können. Alle Staaten, die diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik unterhalten, erkennen seit deren Aufnahme in die UNO (1971) nur sie als das einzig rechtmäßige China an, zu dem auch Taiwan gehört.

Arrogante Haltung

Und was ist mit dem Überwachungsstaat? Die Mehrheit der Chinesen hat gegen das als „Sozialkreditsystem“ bekanntgewordene Projekt offensichtlich nichts einzuwenden. Die meisten begrüßen es, weil es schlechtes Verhalten bestraft und positives belohnt. Auf diese Weise lassen sich die jedem zugeteilten 1.000 Punkte im Laufe der Zeit erhöhen, oder sie werden minimiert. Da es Peking nach Angaben der Weltbank gelungen ist, 850 Millionen Menschen aus der Armut zu holen und mittlerweile mehr als 400 Millionen zur Mittelschicht gehören, genießt Chinas Regierung hohe Zustimmungsraten.

Aus den jüngsten Daten des „Trust Barometers“ der amerikanischen Firma Edelman, eines führenden Beratungsunternehmens für Öffentlichkeitsarbeit, geht für 2022 hervor, daß 91 Prozent der befragten Chinesen Xi Jinping und seinen Gefolgsleuten das Vertrauen aussprechen – im Gegensatz zu nur 39 Prozent der US-Bürger, die ihrer Regierung vertrauen.

Vielleicht hat der Kommentator Tucker Carlson recht. Im US-Sender Fox News erklärte er am 31. Januar: „Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß die Staats- und Regierungschefs fast aller Länder der westlichen Welt alle irgendwie gleich wirken? Sie sind alle schwach und ängstlich. Doch wenn man sie reden hört, könnte man meinen, sie seien allmächtig. ˋWir werden den globalen Klimawandel rückgängig machen. Wir werden die Welt impfen. Wir werden die Demokratie in den ungebildeten Nationen mit Waffen verbreiten, und sie werden uns dafür lieben…´ Nun, meistens sind es mickrige Leute. Aber wenn sie sprechen, klingen sie wie Cäsar, der in purpurroten Gewändern auf dem Forum steht und die ganze Welt beherrscht.“

Mehr zu China und seinem Verhältnis zum Westen gibt es hier.

Peter Kuntze

Kuntze wurde 1941 in Kiel geboren und hat nach Abitur und Wehrdienst eine verlagskaufmännische Lehre in Hamburg absolviert. Anschließend ein Redaktionsvolontariat in Ansbach. 1968 gelang ihm der Sprung nach München zur Süddeutschen Zeitung, wo er als außenpolitischer Nachrichtenredakteur sein Brot bis 1997 verdient hat. Nebenbei schrieb Kuntze etliche Kinderbücher, zwei Romane und acht politische Sachbücher über China. Seine konservative Wende geschah in den letzten Berufsjahren.

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