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Bundesarchiv, Bild 183-S75969 / CC-BY-SA 3.0

„Belohne mich endlich!“ – Konditionierung im Klassenzimmer

5. Januar 2023
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„Du bist auf rot!“, kommentiert die Lehramtsanwärterin Roberts Verhalten. Robert beeindruckt das wenig. Er haut weiter in regelmäßigen Abständen auf den Tisch. Am Ende der Stunde bekommen alle Kinder, die auf der grünen Stufe geblieben sind, einen Smiley. „Noch 4 Smileys bis zu meiner Belohnung!“, freut sich Sophia.

„Luise“, fragt mich ein Kommilitone nach der Hospitation, „du hast doch auch ein materielles Belohnungssystem, oder?“. „Nein!“, antworte ich knapp. Die Reaktion meiner Kommilitonen schwankt zwischen Unverständnis und Entsetzen, denn für sie gehören Belohnungssysteme fast schon zum Grundinventar einer Grundschulklasse.

Sehr populär ist die sogenannte Verhaltensampel. Jedes Kind befindet sich zu Unterrichtsbeginn auf der grünen Stufe. Im weiteren Verlauf werden die Namenskärtchen dem Verhalten entsprechend zu gelb oder rot verschoben. Der Verbleib auf der grünen Stufe wird in regelmäßigen Abständen belohnt. Am meisten schockt mich der vorgeschlagene Verhaltensflohmarkt. Bei diesem Belohnungssystem können Kinder Gutscheine sammeln und in regelmäßigen Abstanden davon Belohnungen „kaufen“ sprich eintauschen. In anderen Klassen werden Mystery Boxen verteilt, deren Inhalte wie Murmeln, Süßigkeiten, Kaugummis, Sticker dann untereinander getauscht werden können. Einige Lehramtsanwärter haben extra Kaugummiautomaten in ihrem Klassenzimmer aufgestellt. Wer sich gut benimmt, darf daran drehen. Halleluja!

Für meine Kommilitonen sind Belohnungen etwas ausschließlich Gutes. Man rühmt sich, keine Strafen zu verteilen. Diese sind wegen ihrer gedanklichen Verknüpfung mit einschüchternder Disziplinierung und diese wiederum mit dunklen Zeiten unserer Geschichte universell verpönt. Es fällt nicht auf, dass auch eine ausbleibende Belohnung als Strafe gelten kann und dass Belohnen auch eine Form der Disziplinierung darstellt. Im Glauben an die Alternativlosigkeit der positiven Verstärkung wartet der Lehramtsanwärter geduldig, bis der Schüler ein belohnungswürdiges Verhalten zeigt, während er über 10 Fehlverhalten hinwegsehen muss. Denn oft wartet nach der roten Ampelstufe – genau nichts!

Reicht die persönliche Autorität nicht mehr aus, muss der Umweg über externe Hilfsmittel genommen werden, die durch Gruppendruck Konformität erzeugen sollen. Der Gipfel ist dann erreicht, wenn Belohnungen an das Verhalten an Gruppentischen gebunden und die Kinder gemeinschaftlich belohnt werden. Dies führt dazu, dass Kinder sich gegenseitig sanktionieren und anfangen, Lob und Tadel zu verteilen. Kinder fühlen sich nun nicht allein für ihr eigenes Verhalten verantwortlich, sondern um ihr Belohnungsziel zu erreichen, müssen sie die anderen Kinder miterziehen. Das ist nicht ihre Aufgabe sondern die des Lehrers. Dieser vergemeinschaftet in diesem Arrangement jedoch den Tadel und fegt diese Aufgabe von sich weg. Somit wird das so angewendete Belohnungssystem zu einem Anzeichen der Verantwortungsabgabe und des Kontrollverlusts.




Was bei dem Belohnungsmarathon leider vergessen wird, ist, dass es im Leben nicht immer für gutes Verhalten eine Belohnung geben wird. Es mag Anstrengungen geben, deren Ernteerfolge lange auf sich warten lassen oder gar ausbleiben. Wie wollen wir so den Kindern beibringen, langfristige Anstrengungen zu erbringen? Mit solchen Methoden konditionieren wir eine Generation von Kindern, die für jedes angemessene Verhalten, für jede Leistung eine Gegenleistung erwartet. Sie werden in ein Abhängigkeitsverhältnis zur erwarteten Belohnung versetzt.

Kinder brauchen keine Belohnungsorgien sondern Lehrer, die ihnen als Erzieher mit einer persönlich zugewandten Führung gegenübertreten. Die Belohnungssysteme dienen nicht dem Aufbau eines einsichtigen Gewissens. Sie sind universell, ein Momentpflaster, und somit abgekoppelt von den jeweiligen Konfliktfeldern und  den sich daraus ergebenden Lernchancen. Eine Ursachenergründung findet in den meisten Fällen nicht statt. Kinder lernen so nicht, ihr Verhalten zu begründen und unter Anleitung eines Erwachsenen darüber nachzudenken.  Das Ausbleiben dieser Führung führt dazu, dass die Kinder dauerhaft auf der Suche nach dieser sein werden und sich Institutionen unterordnen, die ihnen Belohnungen und Bestätigung (somit Sicherheit) bieten.

Die Früchte dieser pawlowschen Konditionierungspädagogik können wir schon jetzt ernten: Es ist der Typus „Bestraft uns endlich“, der zu keiner eigenverantwortlichen Selbstregulation mehr fähig ist. Die zukünftigen Erwachsenen brauchen die externe Rückmeldung und Bestätigung, da sie nicht gelernt haben, selbst ihr Verhalten situationsbezogen zu hinterfragen und an den Konsequenzen orientiert abzuwägen. Die Kinder lernen, dass der Wert des richtigen Verhaltens die soziale Anerkennung durch die Anderen ist, indem man im öffentlich ausgehängten Belohnungssystem aufsteigt. 

Die Hierarchie besteht nun weniger zwischen Lehrer und Schüler. Vielmehr überträgt der Lehrer die Autorität auf das Belohnungssystem, das gleichzeitig die Folgsamkeitshierarchie mehr oder weniger öffentlich zur Schau stellt. Der Schüler hinterfragt nicht mehr, er testet nicht mehr aus, warum bestimmte Regeln bestehen und er rebelliert nicht mehr gegen Grenzen. Er sieht sich um, was belohnt wird und macht mit.  Zu dieser behavioristischen Verhaltenskonditionierung gibt es schon Übertragungsideen auf das politisch korrekte Handeln. Fröhlich sammeln wir dann Anstecker für klimafreundliches Einkaufen, die wir trophäenähnlich an unser Äußeres heften können. Das Maskottchen in der Klima-App kommentiert jede unserer Handlungen und verteilt Geldboni. Was wir für dystopisch halten, ist für andere selbst langersehnte (nachgeholte) Begrenzung bzw. dringend benötigte positive Bestätigung.

„Ich finde Belohnungssysteme trotzdem echt praktisch“, kontert eine Kommilitonin nach meinen Ausführungen. „Stellt euch vor, man würde das System auf den Hausarbeitsfleiß des Freundes übertragen. Wenn er 10 Smileys gesammelt hat, dann- na ihr wisst schon.“ Ich grinse über diesen absurden Vergleich, meine Kommilitoninnen nicht. Dass das kein Witz war, realisiere ich erst, als mich ihre Blicke in empörter Ernsthaftigkeit durchbohren….

Luise Witt

Nach ihrem Lehramtsstudium entschied sich Luise Witt für eine Laufbahn abseits des pädagogischen Mainstreams. Wenn ihre Gedanken gerade nicht um die Schule kreisen, findet man sie umgeben von neurechten, dystopischen und philosophischen Bücherbergen, am Klavier oder in der Küche. Sie ist ein vehementer Verfechter toxischer Weiblichkeit, weshalb sie progressive Stadtbewohner und Demokratiepädagogen gern durch das Tragen von langen Röcken und Flechtfrisuren triggert.

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